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Chopins 24 Préludes: Das Klavier als poetisches Ausdrucksinstrument

Wo entstanden die »Préludes«?

Frédéric Chopin schrieb den größten Teil des Zyklus der 24 Préludes auf Mallorca. Er hatte dort jedoch unter großen gesundheitlichen Problemen zu leiden. Seine starke Anfälligkeit für Krankheiten war erstmals im Jahr 1835 zutage getreten; es gelang den Ärzten aber nicht, eine konkrete Diagnose zu stellen. Als er 1838 zusammen mit seiner damaligen Lebensgefährtin George Sand nach Mallorca aufbrach, sollte dort Sands Sohn Maurice sein Rheuma auskurieren, nicht Chopin seine Hustenanfälle. Der Komponist stöhnte: »Das Land hier ist eine Hölle, was Post, Menschen und Bequemlichkeit anlangt.« Sintflutartige Regenfälle ließen den Aufenthalt zu einem Abenteuer werden, Feuchtigkeit und Kälte machten ihn gereizt und krank. Chopin bekam eine Kehlkopfentzündung. Trotzdem konnte er komponieren.

Welchem Vorbild folgte der Komponist?

Vorbild für Chopins »Préludes« war Johann Sebastian Bachs »Wohltemperiertes Klavier« mit seinen zwei mal 24 Präludien und Fugen. Während Bach das Präludium in seiner ursprünglichen Bedeutung fasst, also als Vorspiel zu den Fugen, ist der Begriff bei Frédéric Chopin eher irreführend. Was der polnische Komponist nämlich als »Préludes« vorstellt, sind musikalische Stimmungsbilder von präziser Konzentration.

Der Aufbau ist in seiner äußeren Struktur wie im Bezug der einzelnen Miniaturen zueinander genau kalkuliert. Wie bei Bach durchlaufen sie alle Dur- und Molltonarten, jedoch nicht in chromatischer Folge, sondern im Quintenzirkel. An jede Durtonart schließt die Moll-Parallele an. Bei der Zuordnung der »Préludes« achtet der Komponist genau auf die Kontraste innerhalb seiner Ausdrucksskala, sodass auch die Tempowechsel exakt geplant sind. Auf Agitato folgt Lento, auf Vivace Largo, auf Presto con fuoco Allegretto und so weiter.

Was ist so romantisch an Chopins Tondichtungen?

Der Reichtum an Tonfarben und atmosphärischer Dichte macht die »Préludes« zu einem unvergleichlichen Panorama musikalischer Emotionalität. Sie bieten einen ganzen Kosmos von Ausdrucksformen und doch trägt jedes Poem den Stempel einer in sich geschlossenen Empfindungswelt. Dieser Facettenreichtum im Einzelnen sollte aber nicht davon ablenken, dass sich erst in der zyklischen Gestaltung die Fülle der Wechselwirkungen offenbart. Jede Miniatur steht für sich und ist Glied einer Kette.

Diese Konsistenz als Zyklus konnte Chopin selbst in seinen Etüden nicht übertreffen. Als Tondichtungen für Klavier haben die »Préludes« mit ihrer romantisch fein nuancierten Stimmungskunst spätere Komponisten, allen voran den Impressionisten Claude Debussy, nachhaltig beeinflusst.

Wurden die 24 »Préludes« am Stück aufgeführt?

Chopin selbst hat seine »Préludes« in den Pariser Salons nie als Zyklus aufgeführt. Auch nach seinem Tod im Jahr 1849 begnügte man sich noch eine lange Zeit damit, nur einzelne Teile vorzustellen. Erst Mitte der 80er Jahre des 19. Jahrhunderts »wagte« sich ein Pianist, es war Arthur Friedheim, an eine Gesamtaufführung. Und bis dann Ferruccio Busoni diesem Beispiel folgte, schrieb man bereits das Jahr 1900.

Den Grund für diese Zurückhaltung wird man im Rezeptionsverhalten des damaligen Publikums suchen müssen. Ein Salonpublikum, das zwischen Plaudereien und Champagner Musik konsumiert, stellte andere Ansprüche als ein Konzertpublikum, das seine volle Aufmerksamkeit der Musik schenkt. Und selbst dort bedurfte es noch mancher Erziehungsarbeit, denn sogar bei der Aufführung von Symphonien war es vor hundert Jahren durchaus üblich, nur einzelne Sätze, nicht das ganze Werk zu Gehör zu bringen. Eine »ganze« Symphonie, gar von Mahler'schen Ausmaßen, galt häufig als allzu schwere Kost, von der die Veranstalter fürchteten, sie könnte die Aufnahmefähigkeit der Hörer zu sehr strapazieren. Nicht weniger »rücksichtsvoll« verfuhr man beim Solo-Rezital. Und so legten Frédéric Chopins »Préludes«, die über 50 Minuten konzentrierte Aufmerksamkeit erfordern, in ihrer Rezeptionsgeschichte eine beträchtliche Wegstrecke zurück, bis sich ihre zyklische Aufführung endlich durchgesetzt hatte.

Wussten Sie, dass …

Chopins Herz im Gegensatz zu seinen übrigen sterblichen Überresten nicht auf dem Friedhof Père Lachaise in Paris beerdigt wurde? Auf Chopins ausdrücklichen Wunsch wurde es nach Warschau gebracht und dort in einer Säule der Heilig-Kreuz-Kirche beigesetzt.

Warum entsprach Chopin dem Klischee des romantischen Künstlers?

Zunächst entsprach er dem Klischee des an der Welt leidenden Künstlers, da er an Tuberkolose litt, was 1849 zum Tod im Alter von nur 39 Jahren führte. Der 1810 in Polen geborene Frédéric Chopin zeigte sich zudem als musikalisches und pianistisches Wunderkind, das schon bei ersten Kompositionsversuchen einen eigenen Gestaltungswillen an den Tag legte. Die französisch geprägte Familie (der Vater stammte aus Lothringen) unterstützte die künstlerischen Ambitionen, die sich in Auftritten als Pianist in Warschau, Wien und Paris bestätigten. Als romantischer Künstler erwies sich Chopin auch in seinem Liebesleben. Nach einer unglücklichen Leidenschaft für eine junge Polin wurde die sechs Jahre ältere französische Schriftstellerin George Sand seine langjährige Lebensgefährtin. Die beiden zählen mit ihrer schöpferisch ungemein kreativen Beziehung zu den berühmtesten Künstlerpaaren des 19. Jahrhunderts.

Wussten Sie, dass …

Heinrich Heine ein Bewunderer von Chopin war? Er schrieb: »Ja, dem Chopin muss man Genie zusprechen, in der vollen Bedeutung des Worts; er ist nicht bloß Virtuose, er ist auch Poet, er kann uns die Poesie, die in seiner Seele lebt, zur Anschauung bringen, er ist Tondichter, und nichts gleicht dem Genuss, den er uns verschafft, wenn er am Klavier sitzt und improvisiert.«

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