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Epilepsie: Wenn es im Gehirn gewittert

Die meisten verbinden Epilepsie wahrscheinlich mit schweren Krampfanfällen, bei denen eine Person auf dem Boden liegt und ihr gesamter Körper zuckt, doch die Gehirnkrankheit hat viele Gesichter. Welche Formen kann ein epileptischer Anfall neben Zuckungen sonst noch annehmen? Wie entsteht er? Und wie verhalte ich mich am besten, wenn jemand in meinem Umfeld einen Anfall erlebt?
AMA, 05.10.2023
Symbolbild epileptischer Anfall

© Tunatura, GettyImages

Epilepsie ist eine Erkrankung des Gehirns und äußert sich durch wiederholte epileptische Anfälle, die bei jedem Betroffenen andere Formen und Ausmaße annehmen können. Den Anfällen gemeinsam ist jedoch, dass sie entstehen, wenn das Zusammenspiel der Nervenzellen in unserem Gehirn vorübergehend gestört ist. Größere Gruppen von ihnen geben dann wie in einem Gewitter auf einmal gleichzeitig Signale ab und sorgen so dafür, dass das Gehirn überaktiv ist, was wiederum kurzzeitige Störungen verschiedenster Bereiche verursacht.

Epileptische Anfälle haben viele Gesichter

Wie genau sich diese Störungen äußern, variiert stark von Betroffenem zu Betroffenem. So ist es etwa möglich, dass der plötzliche Aktivitätsschub im Gehirn „nur“ Sinneswahrnehmungen betrifft und somit von außen nicht unbedingt sichtbar ist. Epileptiker hören, sehen, schmecken oder riechen dann vorübergehend anders oder sind eventuell geistig abwesend. Manche haben dabei einen leeren, starren Blick, schmatzen mit den Lippen oder führen nestelnde Bewegungen mit den Händen aus.

Schwerere Formen von epileptischen Anfällen führen wiederum dazu, dass einzelne Extremitäten wie ein Arm oder Bein unkontrolliert zu zucken beginnen. In einigen Fällen betrifft dieses Krampfen den gesamten Körper und führt sogar zu Bewusstlosigkeit: ein epileptischer Anfall, so wie ihn sich wahrscheinlich die meisten vorstellen würden. Im Fachjargon spricht man auch von einem „generalisierten tonisch-klonischen“ Anfall. Selbst ein solcher schwerer Anfall hinterlässt in der Regel keine bleibenden Schäden, kann allerdings je nach Situation zu schweren Stürzen und Unfällen führen und somit indirekt Schaden anrichten.

Welche Form und Stärke ein Anfall auch annimmt: nach zwei bis drei Minuten hört er in der Regel von selbst auf. Betroffene sind dann häufig sehr erschöpft und schlafen erst einmal viel. Manche haben nach einem Anfall auch mit vorübergehenden Gedächtnisproblemen, depressiven Verstimmungen oder Sprachstörungen zu kämpfen. Es gibt jedoch ebenso Betroffene, die sich schon nach wenigen Minuten wieder gut fühlen und keine weiteren Beschwerden haben. Generell sind Epileptiker zwischen den Anfällen symptomfrei und spüren außer der Sorge vor dem nächsten Anfall nichts von ihrer Krankheit.

EEG mit Wechsel zu den typischen Spikes eines epileptischen Anfalls.
EEG mit Wechsel zu den typischen Spikes eines epileptischen Anfalls.

© undefined undefined, Gettyimages

Ist es wirklich Epilepsie?

Ein Anfall muss jedoch nicht immer gleich bedeuten, dass eine Person auch an Epilepsie leidet. Ebenso gibt es sogenannte Gelegenheitsanfälle, bei denen Menschen zwar einen epilepsieähnlichen Anfall haben, dieser sich aber auf eine andere Krankheit oder äußere Einflüsse zurückführen lässt. Beispiele dafür sind etwa Hirnverletzungen, hohes Fieber oder ein Schlaganfall. Wenn man zum allerersten Mal einen größeren Anfall hatte, wird also zunächst untersucht, ob es unmittelbare Auslöser dafür gegeben hat, die sich behandeln lassen.

Als Epileptiker gilt man erst, wenn man mindestens zwei Anfälle ohne ersichtlichen Auslöser hatte, zwischen denen außerdem mehr als 24 Stunden lagen, oder wenn man einen einzigen Anfall „aus dem Nichts“ hatte, der sich aber mit hoher Wahrscheinlichkeit wiederholen wird. Was genau die wiederkehrenden Anfälle bei Epileptikern auslöst, ist weitestgehend unbekannt. Es wird lediglich vermutet, dass die Erkrankung genetisch bedingt sein könnte. Epilepsie kann in jedem Alter zum ersten Mal auftreten. Bei den meisten zeigt sie sich entweder bereits im Kindes- oder später im Seniorenalter.

Medikamente helfen nicht bei jedem

Ähnlich wie die Blitzeinschläge eines Gewitters ist auch der nächste epileptische Anfall praktisch unvorhersehbar. Es gibt jedoch bestimmte Faktoren, die Anfälle bei Epileptikern begünstigen können, zum Beispiel Schlafmangel, Stress, hohes Fieber oder flackerndes Licht. Aber auch sie lösen nicht immer zwingend einen Anfall aus.

Um weitere Anfälle zu verhindern, nehmen Betroffene häufig sogenannte Antiepileptika. Ob und wie gut diese helfen, ist jedoch sehr individuell. Es gibt Epileptiker, die durch die Medikamente über Jahre hinweg keinen einzigen Anfall haben und auch nach dem Absetzen anfallsfrei bleiben. Andere hingegen müssen ihr Leben lang Medikamente nehmen. Bei einem Drittel der Menschen mit Epilepsie helfen jedoch nicht einmal Antiepileptika. Ist ihre Situation besonders schlimm, kann in manchen Fällen auch eine gezielte Operation Abhilfe schaffen.

In der Regel beginnt eine Behandlung aber erst nach dem zweiten Anfall, auch wenn beim ersten eindeutig Epilepsie als Ursache diagnostiziert wurde. Denn nur rund die Hälfe der Betroffenen erleidet nach dem ersten auch tatsächlich einen zweiten Anfall. Bei vielen bleibt es bei einem einzigen in ihrem gesamten Leben. Kommt es allerdings zu einem zweiten Anfall, so steigt das Risiko für weitere Anfälle immer weiter an und es besteht medizinischer Handlungsbedarf.

Wie verhalte ich mich, wenn jemand einen Anfall hat?

Da nur etwa ein bis drei Prozent der Bevölkerung an Epilepsie leiden, sind viele mit einem epileptischen Anfall überfordert, wenn er in ihrem Umfeld oder an einem öffentlichen Ort auftritt. Es gibt allerdings ein paar simple Grundregeln für die Ersthilfe. Allen voran: Man sollte dem Anfall stets freien Lauf lassen und nicht versuchen, ihn zu stoppen, etwa indem man die betroffene Person auf den Boden drückt oder festhält.

Am besten hilft man einer Person mit Krampfanfall, indem man sie auffängt, falls sie das Bewusstsein verliert, und sie dann vor ihrer Umgebung schützt. Man sollte ihr zum Beispiel die Brille abnehmen, damit diese nicht zersplittern und die Augen verletzen kann, oder gefährliche Gegenstände wie Messer und Schere zur Seite legen. Trägt die Person Kleidung um den Hals, zum Beispiel einen Schal, sollte man diese außerdem lockern, um das Ersticken zu verhindern. Ansonsten verhält man sich am besten ruhig und lässt die krampfende Person nicht allein. Sobald der Anfall abgeklungen ist, sollte man sich um die Bedürfnisse der Person kümmern. Vielleicht möchte sie schlafen, braucht Wärme oder Kleidung, weil sie sich versehentlich eingenässt hat.

Ebenfalls wichtig: auf die Uhr schauen. Dauert ein epileptischer Anfall länger als fünf Minuten, handelt es sich um einen Notfall, und man sollte umgehend einen Rettungswagen rufen. Das gilt ebenso, wenn die Person mehrere Anfälle hintereinander erlebt, Probleme mit dem Atmen hat, sich verletzt hat oder nicht mehr zu sich kommt. Auch wenn man sicher weiß, dass es der erste Anfall dieser Art ist, sollte man die 112 wählen, um die genaue Ursache ärztlich abklären zu lassen. In jedem Fall lohnt es sich, den Verlauf eines Anfalls genau zu beobachten, um ihn später dem Rettungspersonal schildern zu können, denn die betroffene Person hat selbst meist kaum Erinnerungen an das Geschehen.

Infrografik Verhaltensregelb beiem epileptischen Anfall
Was tun, wenn jemand einen epileptischen Anfall hat?

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