Lexikon

Tenochtitlạ́n

[tɛnotʃti-]
die auf einer Insel im See von Mexico gelegene, durch Dämme mit dem Festland verbundene ehemalige Hauptstadt der Azteken, deren Pracht H. Cortés als Gast Motecuzomas II. (1519) erlebte. Der Sage nach soll Tenochtitlán an einem vom Stammesgott Huitzilopochtli geweissagten Ort von dem aztekischen Häuptling Tenoch 1370 gegründet worden sein, wo den Azteken ein auf einem Kaktus sitzender Adler erschien, der eine Schlange fraß. Dieses Motiv ist heute noch das Staatswappen von Mexiko. Tenochtitlán wurde bei der Eroberung durch die Spanier 1521 völlig zerstört, auf seinem Schutt stehen die Bauten der heutigen Stadt Mexico. Tenochtitlán war eine Großstadt mit rechteckigem Grundriss auf einer Fläche von etwa 1000 ha, hatte etwa 235 000 Einwohner und war mit Tempelpyramiden, Palästen, Aquädukten, Brücken, großen Plätzen und einem System von sich kreuzenden Straßen und Kanälen ausgebaut. Die Mitte der Stadt beherrschte der von einer „Schlangenmauer“ abgegrenzte Haupttempelbezirk.
mittelamerikanische Kulturen in vorspanischer Zeit
mittelamerikanische Kulturen in vorspanischer Zeit
México: Tenochtitlán
Tenochtitlán
Darstellungen aus dem Codex Mendoza: Entstehungsgeschichte und Grundriß von Mexiko-Stadt. Diese Stadt Tenochtitlan war gleichzeitig umgürtet von dem Geviert des Sees Texcoco.
Prachtvolles Tenochtitlán
Prachtvolles Tenochtitlán
1519, zwei Jahre vor der vollständigen Zerstörung der Aztekenhauptstadt, gibt der spanische Hauptmann Bernal Díaz einen lebendigen Eindruck vom Reichtum und der Größe des Ortes. Besonders die Warenvielfalt der Märkte stellt er heraus:

Dort fanden wir eine unerwartet große Menge Menschen, zahlreiche Verkaufsstände und eine ausgezeichnete Ordnungspolizei. Die Kaziken machten uns auf alle Besonderheiten aufmerksam. Jede Warengattung hatte ihre Plätze. Da gab es Gold- und Silberarbeiten, Juwelen, Stoffe, Federn, Baumwolle und Sklaven. Der Sklavenmarkt war hier genauso groß wie der Negermarkt der Portugiesen in Guinea. Damit sie nicht fliehen konnten, waren sie mit Halsbändern an lange Stangen geschnallt. Nur wenige durften frei herumgehen.

Dann kamen die Stände mit einfacheren Waren, mit grobem Zeug, mit Zwirn und Kakao zum Beispiel. Ganz Neuspanien bot hier seine Erzeugnisse an. Ich kam mir vor wie auf der großen Messe zu Hause, in meinem Geburtsort Medina del Campo, wo auch jede Ware ihre eigene Straße hat. Da gab es Sisalstoffe, Seile und Strickschuhe. Dort wurden gekochte Yucawurzeln und andere aus dieser Pflanze gewonnene Produkte angeboten. Es gab rohe und gegerbte Häute von Tigern, Löwen, Schakalen, Fischottern, Rotwild, wilden Katzen und anderen Raubtieren. Wir fanden aber auch Stände, an denen Bohnen, Salbei und vielerlei Gemüse und Gewürze verkauft wurden. Es gab einen besonderen Geflügel- und Wildbretmarkt, einen für Kuchenbäcker und einen für Wursthändler. In den Ständen der Töpfer fanden wir von großen irdenen Gefäßen bis zum kleinsten Nachttopf alles. Wir gingen an Verkäufern von Honig, Honigkuchen und anderen Leckereien vorbei, an Möbel-, Holz- und Kohlenhändlern. Ganze Kähne mit menschlichen Fäkalien lagen am Ufer. Die Mexikaner brauchen sie zum Gerben. Ich finde kein Ende mit dieser Aufzählung, und doch habe ich das Papier, die Röhren mit dem flüssigen Eukalyptusöl und mit dem Tabak, die wohlriechenden Salben und die Hallen mit den Sämereien noch gar nicht genannt, ganz zu schweigen von den Heilkräutern. Und nun hätte ich fast die Handwerker vergessen, welche die Feuersteinmesser machen, das Salz, den Fischmarkt und die Brote, die aus getrocknetem Schlamm gemacht werden, den man in den Seen fischt. Sie schmecken wie Käse. Schließlich gab es noch Instrumente aus Messing, Kupfer und Zinn, handgemalte Tassen und Krüge aus Holz, kurz so vielerlei Waren, dass mein Papier nicht ausreicht, sie alle zu nennen.
Wir wollten aber den großen Cue [Haupttempel[ besteigen. Als wir auf dem Weg dorthin an den Vorhöfen des Marktes vorbeikamen, sahen wir noch Kaufleute, welche die Goldkörner aus den Bergwerken verkauften. Sie schütteten ihre wertvolle Ware in große Gänseknochen, deren Wände sie so lange bearbeiteten, bis das Gold durchschien. Je nach der Länge und Dicke dieser Röhren konnte man dafür soundso viele Packen Zeug oder Kakaobohnen oder Sklaven eintauschen."
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