Früher waren fast alle jungen Männer dort – heute ist der Bedarf geringer, dafür sind in einigen Teilbereichen auch Frauen gefragt: die Bundeswehr. Gegründet 1955 und von Anfang an umstritten, scheiden sich an ihren Kompetenzen bis heute die Geister, und unter Politikern gilt das Amt des Bundesverteidigungsministers auch weiterhin als "Schleudersitz". Wie hat sich die Bundeswehr seitdem entwickelt – und wo liegen heute ihre Aufgaben? Welchen Weg wird sie in Zukunft nehmen?
Eine Armee im kalten Krieg
Bonn, Mai 1955. Die Bundeswehr wird gegründet. Kein selbstverständlicher Schritt für ein Land, das nach dem Ende des Zweiten Weltkrieg komplett demilitarisiert wurde und dessen Wiederbewaffnung über Jahre hinweg fraglich war. Noch 1949 hatte der Deutsche Bundestag die Einführung einer Armee ausgeschlossen. Hintergrund für diese Entscheidung waren die Erfahrungen der Hitler-Diktatur und die von den Nationalsozialisten geführten Angriffskriege. Doch die Zeiten änderten sich. Deutschland hatte 1954 seine Souveränität erlangt und wurde nun Mitglied der NATO, ganz offensichtlich galt die Bundesrepublik als unverzichtbarer Bestandteil einer Verteidigungslinie gegen die Sowjetunion und den kurz darauf gegründeten Warschauer Pakt.
Diesem Schritt war eine mehrjährige Entwicklung vorausgegangen. In Bonn kümmerte sich seit 1950 das so genannte „Amt Blank“ im Ansatz um militärische Belange; es war nach dem CDU-Politiker Theodor Blank benannt, der 1955 der erste Bundesverteidigungsminister werden sollte. Große Entscheidungsspielräume bestanden hier aber nicht. Auch führte die Diskussion über eine mögliche Wiederbewaffnung zu heftigen innenpolitischen Kontroversen und erhitzten öffentlichen Debatten. Sollte Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg wieder über Streitkräfte verfügen? Würden sich in einem solchen Fall nicht alte Wehrmachts-Kader in deren Reihen wiederfinden? Doch die Idee einer Bundeswehr setzte sich durch. Am 12. November 1955 wurden die ersten 101 Freiwilligen als Rekruten vereidigt.
"Staatsbürger in Uniform“
Als integraler Bestandteil der neuen Armee galt die Wehrpflicht. Hintergrund war zum einen, dass sich keine Berufsarmee und damit ein möglicher "Staat im Staate“ bilden sollte; hier hatte man nicht zuletzt aus der Zeit der Weimarer Republik gelernt. Zum anderen sollte ein enges Bindeglied zwischen Republik und Bürger installiert werden; manch einer sprach sogar vom "Staatsbürger in Uniform“. Schließlich galt es, eine große Menge an Soldaten auszubilden und für den Ernstfall in Reserve zu halten. All dies war nur mit der Wehrpflicht zu erreichen. Sie betrug zu Beginn ein Jahr, stieg dann aber rasch an und erreichte in den Jahren 1962–1973 mit 18 Monaten ihre längste Dauer; danach sank sie – beschleunigt durch das Ende des "Kalten Krieges“ – nach und nach wieder ab; seit Juni 2010 beträgt sie nur noch ein halbes Jahr. Bei der Personalstärke ist eine ganz ähnliche Entwicklung zu beobachten: 1985 erreichte der Umfang der Bundeswehr rund 495.000 Soldaten, davon 230.000 Wehrpflichtige; mobilisierbar waren 1,3 Millionen Soldaten. Zum Vergleich: 2010 besteht die Bundeswehr aus knapp 250.000 Einsatzkräften, davon über 17.000 Frauen; es gibt rund 33.000 Grundwehrdienstleistende und 26.500 Wehrdienstleistende, die ihre Zeit freiwillig verlängert haben. Die Armee ist heute also erheblich kleiner als zur Zeit des "Kalten Krieges“.
Übrigens: Von Anfang an gab es die Möglichkeit, aus Gewissensgründen den "Kriegsdienst mit der Waffe zu verweigern“, was jedoch erst seit 1967 in nennenswerten Umfang geschah und mit einer Reihe von Hürden verbunden war, die sich erst ab 1983 nach und nach senken sollten. Heute ist der Zivildienstleistende ebenso anerkannter und unentbehrlicher Helfer im Sozialwesen.
Chancen und Schwächen
Natürlich ließ es sich nicht umgehen, in die Bundeswehr Personal der Wehrmacht zu integrieren – 1958 betraf dies 12.800 Offiziere. Alle Ränge vom Oberst aufwärts wurden jedoch von einem Ausschuss überprüft, und dem Selbstverständnis nach hat sich die Bundeswehr immer auf demokratische Traditionen berufen. So bewirkt beispielsweise das Konzept der "Inneren Führung“, das sich mit Legitimation, Integration und Identität der Bundeswehr beschäftigt, eine deutliche Abgrenzung von früheren deutschen Armeen. Trotzdem führt beispielsweise die Benennung von Schiffen oder Kasernen immer wieder zu Protesten, wenn sich die auf diese Weise geehrten Persönlichkeiten als historisch belastet herausstellen.
Chancen eröffnen die beiden Bundeswehrhochschulen, die 1972 und 1973 auf Bestreben des damaligen Verteidigungsministers Helmut Schmidt eingerichtet wurden. Hier können Offiziersanwärter – die weitgehend vom Dienst freigestellt sind und weiterhin Bezüge erhalten – unabhängig von ihrem späteren Aufgabenbereich studieren. Die Abschlüsse erfolgen nach dem Hochschulrecht und sind damit keineswegs nur innerhalb der Streitkräfte gültig.
Übrigens kennt die Bundeswehr neben dem Wehrpflichtigen den Zeit- und den Berufsoldaten. Während der Berufssoldat unbefristet in der Armee tätig ist, hat sich ein "Soldat auf Zeit“ für zwei bis maximal zwölf Jahre verpflichtet; in einigen Aufgabenbereichen gibt es auch längere Zeiträume. Auch Zeitsoldaten können die Offizierslaufbahn einschlagen und sich ggf. als Berufssoldaten übernehmen lassen.
Die Bundeswehr im neuen Jahrtausend
Seit dem Ende der DDR ist in der Bundeswehr viel passiert. Sie hat nach 1990 Standorte und Ausrüstung der aufgelösten Nationalen Volksarmee übernommen; etwa ein Zehntel der Angehörigen der Nationalen Volksarmee wurden eingestellt. Nachfolgend veränderte sich durch den Zerfall des Ostblocks auch die Ausrichtung der Bundeswehr – statt Landesverteidigung beschäftigt sie sich nun verstärkt mit Krisenbewältigung und Konfliktverhütung. Dazu gehören auch Auslandseinsätze, die früher aufgrund der deutschen NS-Vergangenheit undenkbar gewesen wären. Ausschlaggebend sind dabei UN-Mandate, die die als "Friedensmissionen“ bezeichneten Einsätze sanktionieren. Umstritten bleiben diese Aktionen aber trotzdem, insbesondere unter der deutschen Bevölkerung. Sie gelten als riskant, teuer und wenig effektiv; dies gilt insbesondere für die Lage in dem seit 2001 grassierenden Afghanistan-Konflikt.
Problematisch sind zudem die Männlichkeitsrituale, über die immer wieder berichtet wird. Aufsehen erregte insbesondere die fingierte Geiselnahme während der Allgemeinen Grundausbildung in Coesfeld 2002, bei der 163 Rekruten gefesselt, getreten, geschlagen und beschimpft worden waren. Das massive Fehlverhalten – bei dem es sich keineswegs um einen Einzelfall handelt – kam nur durch Zufall ans Licht, die Verantwortlichen wurden mit Bewährungs- und Geldstrafen belegt.
Interessant ist hingegen, dass sich Frauen ihre Karrieremöglichkeit in der Bundeswehr erstritten haben. Nachdem sie ursprünglich von militärischen Aufgaben ausgeschlossen waren, stand ihnen ab 1975 nur die Laufbahn im Sanitätsdienst und ab 1991 im Militärmusikdienst offen. Doch nach der Klage einer Elektronikerin entschied der Europäische Gerichtshof 2000, dass Frauen der Zugang zur Bundeswehr uneingeschränkt möglich gemacht werden muss. 2010 stellen sie einen Anteil von knapp 9% aller Berufs- und Zeitsoldaten; langfristig wird von einer Quote um die 15% ausgegangen.
Unterdessen steht längst das gesamte Prinzip der Wehrpflicht auf dem Prüfstand. Da nur noch ein Teil der potenziellen Rekruten benötigt wird, kann von "Wehrgerechtigkeit“ keine Rede mehr sein; der sechsmonatige Grunddienst ist angesichts der Aufgaben eigentlich zu kurz – das gilt auch für den Zivildienst. Mehrere Lösungen stehen zur Auswahl, und so mag es sein, dass sich der Charakter der Bundeswehr als einer Wehrpflichtigenarmee in absehbarer Zeit ändern wird.