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Flimmerkiste und Computerfieber - China zwischen Tradition und Moderne (Podcast 6)

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In der letzten Woche schlug die Meldung wie eine Bombe ein: Den Journalisten in Beijing wird der freie Zugang zum Internet während der Olympischen Spiele nicht gewährt. Was bedeuten Computer, Internet und Fernsehen für die Chinesen selber. Dieser Frage sind wir nachgegangen.
 

Freizeit macht Kariere
 

Während der ersten Jahrzehnte kommunistischer Herrschaft gab es für den Einzelnen in China kaum Freizeit. Die Verpflichtung jeden Bürgers war es, sich ganz in den Dienst zum Aufbau der Nation zu stellen. Es galt, das richtige politische Bewusstsein zu schulen und alles zu vermeiden, was nach westlicher Dekadenz aussehen könnte. Printmedien, Radio, das Fernsehen und auch der Film standen im Dienste der Partei. Mit der Liberalisierung während der 1980er-Jahre änderte sich auch das gesellschaftliche Klima nachhaltig und es entstand eine neue kommerziell ausgerichtete Unterhaltungsindustrie.
 

Das Fernsehen flimmert überall
 

Im Alltag der Chinesen dominiert in allen Schichten inzwischen unbestritten das Fernsehen die Freizeit der Stadt- und Landbevölkerung. Es ist neben dem immer noch zensierten Internet das wichtigste Medium einer stetig globaler werdenden Kultur. Das chinesische Fernsehen wurde in den 1950er-Jahren mit Unterstützung sowjetischer Techniker aufgebaut. 1958 produzierte der Sender Beijing erste Versuchsprogramme. Weitere Sender in den Großstädten folgten und sendeten fortan regelmäßig. 1973 wurde das Farbfernsehen eingeführt. Nachdem bis zum Ende der 1970er-Jahre Fernsehapparate öffentlichen Institutionen vorbehalten waren und man im Kollektiv fernsah, hielten ab den 1980er-Jahren Fernsehgeräte ihren Einzug in die Privathaushalte. Dort sind sie heute nicht mehr wegzudenken. Inzwischen können über 90% der Bevölkerung selbst in den äußerst entlegenen Provinzen Fernsehen empfangen. Standen zu Beginn die »Erziehung« des Volkes und die politische Propaganda im Vordergrund des staatlich kontrollierten Fernsehens, so räumte man im Rahmen der wirtschaftlichen Öffnung der Unterhaltung einen größeren Raum ein. Privatfernsehen ist nicht erlaubt und auch der Empfang ausländischer Sender via Satellit ist eingegrenzt.
 

Nachtleben mit Karaoke
 

Orte des pulsierenden Nachtlebens sind in China wie auch anderswo die Städte. Hier finden sich inzwischen alle Sparten der Unterhaltung. Neben traditionellen Theatern werben riesige Kinos um Besucher. Clubs, Diskotheken und Bars verheißen ihrer Kundschaft ein Ausbrechen aus der Alltagsrealität. Das ist nicht billig, jedoch für die neue Schicht wohlhabender junger Mittelständler kein Hindernis. Auch in China wechseln dabei die Moden schnell. Heute noch eine angesagte Adresse, ist morgen vielleicht schon ein anderer Club in. Dabei greift man in China auch gern auf ausländische Erfolgsmodelle zurück und so feiert man längst nicht nur in der Hauptstadt Beijing das deutsche Oktoberfest mit reichlich Bier. Beim abendlichen Ausgehen mit Freunden ist die Bereitschaft sich in Karaoke, in China meist KTV genannt, zu versuchen auch für den westlichen Austauschstudenten eine Notwendigkeit, will er nicht als Spaßverderber gelten. Für die meisten Chinesen ist es völlig normal, dass man gern öffentlich ein Lied oder Gedicht vorträgt. Sie lernen dies mit Beginn der Kindergartenzeit und verfügen als Erwachsene häufig über ein erstaunliches Repertoire. KTV-Bars finden sich in allen Orten und bieten private Räume für kleinere und größere Gruppen. Aber auch sportliche Unterhaltungen wie Billard und Bowling sind längst ein Teil der Unterhaltungskultur in China geworden. Traditionell gehört auch der Besuch des Nachtmarktes zur urbanen chinesischen Lebenskultur. Man geht von Stand zu Stand und probiert von den unterschiedlichsten Speisen. Trotz der späten Stunde sind auch noch viele kleine Kinder mit ihren Familien zu sehen.
 

Jugend im Computerfieber
 

Das neue China gehört der Jugend. Die städtische Jugend ist es, die am offensichtlichsten vom Wirtschaftswachstum und der Liberalisierung Chinas profitiert. Vor wenigen Jahren noch undenkbar, gehen heutzutage Paare Händchen haltend durch die Straßen. Nichts erinnert mehr an den uniformen Maolook, wenn man die gestylte urbane Jugend der Küstenstädte sieht. Sie ist stets modisch gekleidet, oft in Markenartikeln, bei denen man erst bei einem genauen Blick die nicht autorisierte Herkunft aus dem eigenen Land feststellen kann. Als Statussymbol gehört auf jeden Fall ein brandneues Handy dazu. Mit diesem lässt sich auch einfach ein Erinnerungsfoto schießen, welches dann gleich der Freundesclique übersandt werden kann. Musikkonsum spielt auch in China unter Jugendlichen eine große Rolle. Vorbei aber scheinen die Zeiten, in denen politisch engagierte chinesische Musiker die Jugend mitrissen. Stattdessen orientiert man sich an der globalen Musikszene und per Raubkopie ist so mancher internationale Hit in China schneller verbreitet als sonst wo auf der Welt. Gleiches gilt auch für den Film und trotz öffentlicher Beschlagnahmungen von raubkopierten DVDs, finden diese doch weiterhin ihren Markt. Das Lieblingsspielzeug der städtischen Jungend ist wie im Westen der Computer und alles, was sich mit ihm machen lässt. So verwundert es gar nicht, jugendliche Mönche vor einem Computerspiel anzutreffen.
 

Reiselust
 

Vorbei sind die Zeiten, als das Hauptaugenmerk der chinesischen Tourismusbranche den Parteikadern und ausländischen Touristen galt und der Normalbürger allenfalls einen kleinen sonntäglichen Ausflug unternahm. Längst liegen auch pauschale Busreisen mit ihren festgelegten Abläufen nicht mehr im Trend. Chinesische Reisegruppen erobern das Ausland und besichtigen die europäischen Hauptstädte oder geben sich auf deutschen Autobahnen dem Geschwindigkeitsrausch hin. Sollten noch mehr Chinesen genug Geld und Zeit besitzen, um ins Ausland reisen zu können, so dürfte eine letzte Barriere in der für Chinesen so unbefriedigenden Versorgung mit gewohnter chinesischer Kost im Ausland liegen. Neben Fernreisen macht sich die neue wohlhabende Schicht Chinas aber auch auf, das eigene Land zu entdecken. Während es einige zu den Naturschönheiten des Landes zieht, suchen viele Städter in den Grenzregionen Chinas die vermeintlich ursprüngliche Welt der nationalen Minderheiten, wobei sie häufig dem gleichen exotisch anmutenden Touristenprogramm aufsitzen wie die ausländischen Reisenden auch. Für viele junge chinesische Familien ist der Familienurlaub ein Inbegriff des Glücks und gleichzeitig stolzes Zeichen ihres wirtschaftlichen Aufstiegs.
 

Jörg Peter Urbach, wissen.de-Redaktion

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