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Harry Potter - das Ende einer Ära? (Podcast 142)

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„Mr. und Mrs. Dursley im Ligusterweg Nummer 4 waren stolz darauf, ganz und gar normal zu sein, sehr stolz sogar. Niemand wäre auf die Idee gekommen, sie könnten sich in eine merkwürdige und geheimnisvolle Geschichte verstricken, denn mit solchem Unsinn wollten sie nichts zu tun haben.“

In diese merkwürdige und geheimnisvolle Geschichte verhedderten sich dann jedoch nicht nur die biederen Durselys, sondern auch zahlreiche Leser dieser ersten Passage eines Buches mit dem Titel „Harry Potter und der Stein der Weisen“.  Erstmalig 1997 in England erschienen.

Einmal ins Netz der Harry Potter Autorin Rowling gegangen, folgten die Leser Außenseiter Harry, der, nach dem frühen Tod seiner Eltern, zunächst bei eben jenen Dursleys aufwuchs, bereitwillig in eine Welt voller Magie. Und standen ihm fortan bei seinen Kämpfen gegen Lord Voldemort jahrelang treu zur Seite.

Von 1997 bis 2007 erschienen die sieben Harry Potter Bände – und lösten einen ungekannten Hype auf dem internationalen Buchmarkt aus. Einen Hype um Bücher? Unwissende konnten nur staunen! Gegen Harry Potter kamen selbst Teenie-Stars aus Fleisch und Blut nicht an! Manch einer fühlte sich fast selbst in eine Zauberwelt katapultiert, als ihn Meldungen erreichten, wonach tausende Zauber-Fans tagelang vor Buchläden campierten - in Zauberumhänge gehüllt und mit Besen ausgestattet. Ihr Ziel? Endlich ihr Exemplar eines neu erschienen Potter- zu ergattern!  Als sie sich dann  anschließend tagelang hinter dem Buchrücken verschanzten, verstanden die Nicht-Eingeweihten die Welt endgültig nicht mehr: Das war doch kein normales Verhalten für Teenager! Sogar Erwachsene schienen dem „Harry Potter Wahn“ verfallen. Die Dursleys hätten angesichts solch eines Verhaltens nur den Kopf geschüttelt!  

 

Harry Potter auf der Leinwand

 

Aus ökonomischer Sicht sind die Harry Potter Bände die erfolgreichsten Kinder- und Jugendbücher aller Zeiten. Sie wurden in über 65 Sprachen übersetzt, in über 200 Ländern veröffentlicht und weltweit mehr als 400 Millionen Mal verkauft.

14 Jahre nach Veröffentlichung des ersten Bandes, und nachdem Harry Potter Lord Voldemort im finalen Zauberduell im Buch längst ordnungsgemäß entsorgt hat, nimmt er diesen schmutzigen und doch essentiellen Job noch einmal auf sich.

Diesmal auf der Leinwand. „Harry Potter und die Heiligtümer des Todes Teil 2“ kommt ins Kino – begleitet von kreischenden, verkleideten Fans weltweit. Auch die Verfilmungen der ersten Bände waren überaus erfolgreich: Sie rangieren unter den 30 meistgesehenen Filmen weltweit. Darsteller wie Emma Watson und Daniel Radcliffe haben nach dem Dreh der Serie große Chancen, sich als international agierende Schauspieler zu etablieren.

 

J.K. Rowling und ihr persönliches Märchen

 

„Er wird berühmt werden – eine Legende -  es würde mich nicht wundern, wenn der heutige Tag in Zukunft Harry-Potter-Tag heißt – ganze Bücher wird man über Harry schreiben – jedes Kind der Welt wird seinen Namen kennen!“

Für eine Autorin, die gerade ihr Erstlingswerk veröffentlicht hat, klingt das ziemlich selbstbewusst. Doch Joanne Rowling, heute weltweit bekannt als J.K. Rowling, war keinesfalls dem Größenwahn anheimgefallen, als sie die Passage schrieb. Vielmehr entstammt dieses Zitat ebenfalls dem ersten Potter-Buch.

Harry Potter ist in der Geschichte schließlich der „Auserwählte“, der die Zauberwelt vom bösen Lord Voldemort befreien soll – und als solcher dort eine Berühmtheit.

Wie sehr sich diese Prophezeiung auch in der realen Welt bewahrheiten würde, damit hätte J.K. Rowling selbst wohl am wenigsten gerechnet. Als sie das erste Buch schrieb, war sie alleinerziehende Mutter eines kleines Mädchens und abhängig von Sozialhilfe. Die Geschichte des Zauberers war ihr übrigens während einer Zugfahrt eingefallen:

"Ich saß im Zug von Manchester nach London - ohne einen Gedanken ans Schreiben zu verschwenden. Und aus dem Nichts kam mir plötzlich die Idee, ich hatte diesen dürren kleinen Harry ganz deutlich vor Augen und der Gedanke ging mir durch Mark und Bein. Ein so bewegendes Gefühl hatte ich nie zuvor erlebt, wenn es um das Schreiben ging. Es war das erste Mal, dass mich eine Idee innerlich so aufgewühlt hat.“

 

Der Schlüssel für den Erfolg?

 

Was begründete den Erfolg? Dass Rowling ihre Leser mit Hinweisen und Rätseln bis zum Schluss geschickt bei der Stange halten konnte? Dass die wahren Zusammenhänge zwischen Harry und Lord Voldemort lange undurchsichtig blieben? Dass die Figuren vielschichtig waren und ihre Motive nicht immer sofort ersichtlich? Dass die zahlreichen Fäden am Schluss tatsächlich zusammenliefen? Dass Themen wie Freundschaft und Tod behandelt wurden? Oder dass die Zauberwelt  so originell und, bei aller Bedrohung, so komisch war?

 

Wie innovativ ist Harrys Welt?

 

Aber ist das „globale Phänomen Harry Potter“ damit schon erklärt?

Die Magie ganz neu erfunden hat Rowling jedenfalls nicht. Ihre Zauberbücher braute sie aus bewährten Zutaten. So mischte sie für ihre Geschichte populäre Genres. Neben Anleihen aus Krimi- und Detektivgeschichten, Märchen, Abenteuerromanen, dem Bildungsroman und der englischen Schoolstory, sind, von Band zu Band verstärkt, auch Elemente des Horror-Genres enthalten – die Diskussion, ob die Potter-Serie überhaupt für Kinder geeignet sei, ließ da nicht lange auf sich warten. Dazu noch eine Prise Romantik und viel Humor – dagegen hat schließlich niemand etwas einzuwenden!

 

Weltfremde Fluchtliteratur?

 

Die beiden Genres, die man mit den Potter-Bänden allerdings am meisten in Verbindung bringt, sind die der Phantastik und der Fantasy. Zwei Genres, die keinesfalls immer klar definiert oder als solche anerkannt sind – und deren Werke oft  der Trivial- oder, freundlicher formuliert, der Populärliteratur zugerechnet werden.

Fantasy und Phantastik zeichnen sich dadurch aus, dass in ihnen wunderbare Welten vorkommen. Das heißt Welten, die nach anderen Gesetzen funktionieren, als die der außerliterarischen Naturgesetze.

Werke, die in Zauberwelten spielen, wurden unter dem Stichwort „Eskapismus“ lange als „Fluchtliteratur“ abgestempelt. Besonders im Zuge der 68er Mentalität wurden lange nur Bücher mit sozialkritischem Inhalt und politisch erzieherischer Wirkung ernst genommen.

Sind Harry Potter Fans also weltfremde Träumer?

 

Literarische Vorbilder

 

Im Verdacht ein Träumer zu sein stand J.R.R. Tolkien nicht. Dennoch investierte der Professor für Mediävistik und englische Sprachwissenschaft in Oxford sehr viel Zeit, um die komplexeste literarische Zauberwelt aller Zeiten zu erschaffen: Mittelerde, Schauplatz seiner Trilogie „Der Herr der Ringe“, erschienen zwischen 1945 und 1955. Tolkien erschuf nicht nur zahlreiche phantastische Bewohner, er gab ihnen auch eigene, bis ins kleinste grammatikalische Detail ausgereifte Sprachen, Landkarten und Chronologien mit auf den Schauplatz. Hinter den zahlreichen Mythologien, die Tolkien jahrelang studiert hatte, brauchte sich die von ihm entworfene Welt nicht zu verstecken.

Und was heißt schon weltfremd? Dass Tolkien „Der Herr der Ringe“ kurz nach dem Zweiten Weltkrieg schrieb, merkt man der dort thematisierten Rassenideologie an.

Keine Wunder, dass viele Werke heute in Tolkiens Tradition stehen. Auch bei Harry Potter finden sich zahlreiche Anleihen. Prof. Dumbledore, Harrys Mentor etwa, hat unverkennbar Ähnlichkeit mit Gandalf. Beide Figuren gehen auf den Zauberer Merlin zurück. Und auch die Bewohner von Rowlings Welt sprechen unterschiedliche Sprachen – auch wenn diese längst nicht so ausgereift wie Tolkiens sind.

 

Jugendliche Helden

 

Vor Harry haben auch schon andere junge Helden den Weg in eine Zauberwelt gefunden, um dort Abenteuer zu bestehen, Freunde zu finden – und um den Kampf Gut gegen Böse auszufechten.

Man denke etwa an Bastian Bux aus „Die unendliche Geschichte“ von Michael Ende, an Mio aus „Mio, mein Mio“ von Astrid Lindgren, an „Die Brüder Löwenherz“, ebenfalls von Astrid Lindgren, an „Alice im Wunderland“ von Lewis Carrol oder an die Helden aus den „Chroniken von Narnia“ von C.S. Lewis.

 

Was unterscheidet das Potter-Universum von anderen Zauberwelten?

 

Wie viele junge Helden der phantastischen Literatur, ist auch Harry zu Beginn eher ein Antiheld und fristet ein Aschenputtel-Dasein bei den Dursleys:

 „Er (Harry) trat näher, um sich die Sache anzusehen. In dem grauen Wasser der Schüssel schwamm etwas, das aussah wie ein Bündel schmutziger Lumpen.

»Was ist das denn?“, fragte er Tante Petunia. Sie kniff die Lippen zusammen, wie immer, wenn er eine Frage zu stellen wagte.
»Deine neue Schuluniform«, sagte sie.

Die Alltagswelt ist also insgesamt ein ziemlich trostloser Platz für Harry. Welch ein Glück, dass er im Alter von zehn Jahren erfährt, dass er ein Magier ist – und als solcher fortan die Zauberschule Hogwarts besuchen wird.

Hier werden die Potter-Bücher innovativ: Nicht nur Harry, als Held der Geschichte, auch andere begabte Kinder aus nichtmagischen Familien werden in die Zauberschule eingeladen. Da mag es den einen oder anderen Leser gegeben haben, der sehnsüchtig aus dem Fenster schaute – und hoffte, eine Eule würde auch ihm eine Einladung übermitteln.

Wer könnte es ihm verübeln? Schließlich ist die Zauberwelt bunt und aufregend! Aber so weit weg vom Alltag wie andere magische Welten, ist sie dann doch nicht: Der Held muss schließlich ebenfalls die Schulbank drücken. Und eine vorindustrielle Idylle ist Harrys neue Heimat auch nicht: die Zauberwelt ist streng bürokratisch geregelt und  voller Markenprodukte. Und bietet damit ausreichend Platz für zahlreiche lustige Verschiebungen und Überspitzungen gegenüber der außerliterarischen Wirklichkeit.

Und noch etwas ist anders:
Bei den Potter-Büchern gibt es eine separate Zauberwelt im Grund nicht. Die Zauberwelt befindet sich auf demselben Territorium wie die Alltagswelt – und kann über versteckte Eingänge betreten werden. Zauberer leben in Nachbarschaft zu Muggeln – Menschen, ohne magische Fähigkeiten. Dass die das nicht checken, ist nicht verwunderlich: Die Geheimhaltung der Zauberwelt ist oberstes Gebot. Rowling liefert in den Büchern also immer wieder magische Erklärungen für Phänomene des Alltags.
Auch lebt der böse Tyrann Voldemort nicht, wie andere Bösewichte, in einer Trutzburg, sondern lange Zeit im Untergrund und bleibt schwer lokalisierbar. Solch ein moderner Bösewicht scheint gut in die Jetztzeit zu passen, unter dem Stichwort Terrorismus.

Das finale Zusammentreffen zwischen Lord Voldemort und Harry wurde in sieben Bänden vorbereitet. Und kann jetzt noch mal auf der Kinoleinwand verfolgt werden. Angst braucht man schließlich nicht mehr um Harry haben – wer zum Schluss überlebt, dürfte längst klar sein.

Und dann ist wirklich erst mal Schluss.

Vielleicht ist es doch etwas viel geworden um den omnipräsenten kleinen Zauberer in den letzten Jahren. Aber irgendwann, wenn auch der letzte Potter-Teil längst auf DVD erschienen ist, wird man vielleicht wieder die Muse haben, die Bücher erneut in die Hand zu nehmen. Man wird vergessen, welche riesige Marketing- Maschinerie über die Zauberwelt gerollt ist. Man wird wieder neben Harry an Gleis 9 ¾ stehen und auf den Hogwarts Express warten. Und wenn der angerollt kommt, wird man nicht lange zögern – sondern einfach einsteigen und Harry erneut auf seinen magischen Abenteuern begleiten.
 

Lena Schilder, wissen.de-Redaktion

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