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Dürers Selbstbildnis im Pelzrock: Inbegriff deutscher Renaissancekunst

Wie waren die Lebensumstände Albrecht Dürers?

Albrecht Dürer war mit 28 Jahren bereits ein über die Grenzen Nürnbergs hinaus bekannter, erfolgreicher Maler und Grafiker. Er verkehrte im Kreis von Humanisten und kannte die Schriften der bedeutendsten Philosophen seiner Zeit. In dem Nürnberger Humanisten Willibald Pirckheimer fand er einen langjährigen Freund. Um 1500 konnte Dürer, der sich als begnadeter Künstler stets ins rechte Licht zu setzten wusste, von seiner Kunst gut leben und ausgedehnte Auslandsreisen unternehmen. Der vielseitig begabte Künstler und Kunsttheoretiker wusste um die eigene Meisterschaft und erfreute sich – im aufblühenden Individualkult der Renaissance nicht ungewöhnlich – an der eigenen Persönlichkeit. Über seinen Tod hinaus sollte sein Ruhm unsterblich bleiben. Der Hinweis auf die »unvergänglichen Farben« und die moderne Technik der Ölmalerei in der Inschrift rechts oben war also nicht ganz unpassend gewählt.

Welchen gesellschaftlichen Rang des Künstlers spiegelt das Porträt?

Der Maler erscheint als gepflegter Herr von höherem Stand in modischer Kleidung. Einen pelzbesetzten Gehrock, wie ihn Dürer anhat, trug die bessere Gesellschaft nur zu besonderen Anlässen. Dieser ist unterhalb der Schultern schwarz abgesetzt und geschlitzt– typisch für die damalige Herrenmode. Dürers Haar fällt in langen, fein geringelten Strähnen bis auf die Schultern, über der Stirn bildet sich ein kurz geschnittener Haarwirbel. Wahrscheinlich trug der Künstler seit 1495 ständig schulterlanges Haar und einen Kinn- und Zwirbelbart. Ein solches Outfit war damals ungewöhnlich. Es sind Briefe erhalten, in denen sich Dürers Zeitgenossen über die Extravaganz des Malers mokierten.

Wie ist das Selbstbildnis komponiert?

Der Künstler sieht frontal aus dem Bild. Mit dieser sonst nur von Andachtsbildern bekannten strengen Frontalität wählte Dürer eine Bildnisform, die dem Selbstporträt besondere Würde verleiht und es einem Idealtypus annähert: dem Gesicht Christi. Das belegen Vergleiche mit byzantinischen Ikonen und zeitgenössischen Christusdarstellungen. Auch das strenge Kompositionsschema unterstreicht den Versuch einer idealtypischen Darstellung. Dem Bildaufbau liegt ein ausgewogenes, mathematisch berechnetes Konstruktionssystem zugrunde. Die Proportionen gehen auf geometrische Grundformen wie Kreis, Dreieck und Quadrat zurück. Anhand kleiner, aber nicht zufälliger Details werden bildbestimmende Achsen erkennbar, die die Form eines Kreuzes bilden. Auch ist eine Aufteilung der Flächen nach der klassischen Proportionsvorgabe des goldenen Schnitts und entsprechend dem Teilungsschema byzantinischer Christusbildnisse nachweisbar.

Wollte Dürer sich als Christus darstellen?

Die Ähnlichkeit des Selbstporträts mit Christusbildern verführt zu dieser Annahme. Dürers Absicht war aber eine andere. Betrachten wir das Bild im Detail. Die Augen des Künstlers sind weit geöffnet. Im rechten Auge spiegelt sich ein kleines Kreuz, das auch auf einen religiösen Zusammenhang schließen lässt. Dichter und Theologen deuteten das Auge als das Fenster der Seele. Symbolisch ist gemeint, dass der Gläubige das Kreuz Christi ständig vor Augen haben soll – eine Auslegung, die auf die Lehre eines Thomas von Kempen verweist, welche im Spätmittelalter als imitatio Christi große Verbreitung fand. Auch das Frömmigkeitsideal der Franziskaner forderte eine äußere und innere Ähnlichkeit mit Christus. Dürer war von dieser Glaubenshaltung sehr beeindruckt. Seine Annäherung an Christus ist somit nicht blasphemisch, sondern Ausdruck der Bereitschaft, Christus zu folgen. Die optische Ähnlichkeit meint in Wirklichkeit die wesensmäßige – er will dem Gottessohn in dessen Ziel entsprechen, bescheiden, einfach und demütig zu leben.

Dürer als Inbegriff der deutschen Kunst

Das Selbstportrait von 1500 ist das letzte, das Dürer von sich malte. Wahrscheinlich hat es sein Atelier zu seinen Lebzeiten nie verlassen. Erst nach Dürers Tod gelangte die kleine Lindenholztafel ins Nürnberger Rathaus. Seitdem wird sie behandelt wie eine Ikone. Noch Jahrhunderte nach seiner Vollendung stehen heute Museumsbesucher andächtig vor diesem Bild – als sei in ihm alles enthalten, was bildende Kunst in Deutschland auszeichnet. Dürer wäre es wohl nicht unrecht.

Selten hat ein Künstler es der Nachwelt so leicht gemacht, sein Werk exakt zu datieren und zuzuordnen – Dürer lieferte auf seinem Selbstbildnis einen entsprechenden Kommentar gleich mit. Links oben stehen die Jahreszahl 1500 und das Monogramm AD für Albrecht Dürer. Rechts vermerkt eine lateinische Inschrift in goldgelber Antiqua: »So malte ich, Albrecht Dürer aus Nürnberg, mich selbst mit unvergänglichen Farben im Alter von 28 Jahren.

Wussten Sie, dass …

Dürer seine Erscheinung in dem berühmten Selbstporträt geschönt hat? Der »Betrug« kam bei der Restaurierung nach einem Säureattentat 1988 zu Tage. Unter der Farbschicht liegt eine detailreiche Vorzeichnung, die Dürers wahres Gesicht zeigt: mit weniger feinen Zügen, einer klobigeren Nase, kürzerer Stirn, höher liegenden Backenknochen und kleineren Augen. Kein Zweifel: Mit Hilfe der Farbgebung hatte Dürer sein Antlitz »mal-chirurgisch« verschönert. Authentisch sind dagegen sein langes Haar, der lang gestreckte Hals und die zarten, feingliedrigen Hände.

Was ist über Dürers Biografie bekannt?

Der am 21.5.1471 in Nürnberg geborene Sohn eines Goldschmieds lebte genau in der Übergangszeit von der Spätgotik zur Renaissance. In seiner Künstlerpersönlichkeit fanden die beiden Epochen zusammen. Als Maler, Holz- und Kupferstecher verband er auf geniale Weise Elemente der gotischen deutschen Kunst mit den Entwicklungen der italienischen Renaissance.

Seine Lehre absolvierte Dürer in der Goldschmiedewerkstatt seines Vaters und lernte von 1486 bis 1490 weiter bei dem Holzschnittzeichner und Maler Michael Wolgemut. Nach Wanderjahren (1490 bis 1494) in Colmar und Basel lernte er 1495 und 1505/06 Italien und seine Kunst kennen, 1520/21 dann auch die Niederlande. Nach einem schaffensreichen Leben starb er am 6.4.1528 in seiner Heimatstadt.

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