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Grüner Wasserstoff aus künstlichen Blättern – wie geht das?

Wasserstoff gilt als wichtiger Energieträger der Zukunft, denn er ist klimafreundlich – wenn er ohne Energie aus fossilen Brennstoffen gewonnen wird. Eine gängige Methode dafür ist die Wasserspaltung mithilfe von Strom aus Sonne und Wind. Noch effizienter aber wäre es, wenn wir einfach das Rezept der Natur nachahmen – die Photosynthese. Dabei spalten spezielle Katalysatoren die Wassermoleküle direkt bei Bestrahlung mit Licht – ohne dass dafür Strom nötig ist. Aber wie funktioniert das? Und wie weit ist die Entwicklung?
NPO / Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. 28.04.2023
Symbolbild grüner Wasserstoff

© Tanaonte, GettyImages

Der gängige Weg, um Wasserstoff aus erneuerbaren Energien zu produzieren, ist die Elektrolyse – die Spaltung von Wasser mithilfe von Strom. Doch durch diesen Umweg über den „grünen“ Strom geht einiges an Energie verloren. Aber es geht auch anders – ganz ohne Strom und nach dem Vorbild der Natur. Denn Pflanzen nutzen schon seit Jahrmillionen die Energie des Sonnenlichts, um in der Photosynthese Wasser in seine Komponenten zu zerlegen. Als Helfer für diese direkte photochemische Wasserspaltung nutzen sie spezielle Enzyme, die als Katalysatoren wirken.

Nach ähnlichem Prinzip funktioniert auch die Gewinnung von Wasserstoff durch die solare Wasserspaltung. Die Rolle des pflanzlichen Enzyms übernimmt dabei ein organischer oder anorganischer Katalysator. Diese Photokatalysatoren müssen über Elektronen verfügen, die sich mit sichtbarem Licht so anregen lassen, dass sie sich frei bewegen. Nur so können sie auf ein fremdes Atom oder Molekül übergehen und die chemische Reaktion in Gang bringen.

Solarreaktoren und schwimmende Blätter

Wie gut dies in der Praxis funktioniert, haben in den letzten Jahren gleich mehrere ganz unterschiedliche Varianten solcher Solarreaktoren demonstriert. Eines dieser Systeme besteht aus einer Tandem-Solarzelle, die mit einem von Wasser umströmten Katalysator aus Rhodium-Nanoteilchen kombiniert ist. Fällt nun Sonnenlicht auf das System, werden Wassermoleküle gespalten und an der Vorderseite tritt Wasserstoff aus, auf der Rückseite Sauerstoff. Der vom California Institute of Technology entwickelte Solarreaktor hat 2018 einen Rekord aufgestellt – er erreichte erstmals einen Wirkungsgrad von knapp 19 Prozent.

Eine weitere Variante solcher solaren Wasserstoff-Fabriken ist das "schwimmende Blatt": Dieses von britischen Forschern entwickelte System ist so flach und leicht, dass es auf Wasser schwimmt. Ein flexibles Trägermaterial und eine spezielle Deckschicht schützen die „Solar-to-Fuel“-Reaktoren und geben ihnen Auftrieb. Im inneren des künstlichen Blatts ermöglichen lichtabsorbierende Photoelektroden, organische Halbleiter und ein spezieller Katalysator die Spaltung des direkt aus der Umgebung stammenden Wassers. Je nach Katalysator kann dieses System entweder vorwiegend Wasserstoff oder aber Syngas herstellen. Dieses Gemisch aus Kohlenmonoxid und Wasserstoff kann zu E-Fuels weiterverarbeitet werden, aber auch als Brennstoff dienen.

Dr. Pablo Jiménez Calvo, Universität Erlangen-Nürnberg
Pablo Jiménez Calvo, Materialwissenschaftler an der Universität Erlangen-Nürnberg

© Ana C. Reis

Interview: Auf der Suche nach der optimalen Photokatalyse

Der Materialwissenschaftler Pablo Jiménez Calvo von der Universität Erlangen-Nürnberg forscht an der Photokatalyse. Wir haben mit ihm über die Vorteile dieser Technologie gesprochen – und darüber, welche Hürden noch zu überwinden sind.

Herr Jiménez Calvo, die derzeitige Strategie sieht meist vor, Sonnenenergie zur Stromerzeugung zu nutzen und mit diesem Strom dann Wasserstoff durch elektrochemische Wasserspaltung herzustellen. Was ist an der Photokatalyse besser?

Die Aufspaltung von Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff ist sehr energieintensiv, deshalb wird grüner Wasserstoff vorzugsweise dort hergestellt, wo erneuerbare Energien gut verfügbar sind. Aus diesem Grund sind afrikanische Länder vielversprechende Standorte für große Photovoltaik-Technologieparks. Der Transport von Wasserstoff über große Entfernungen kann jedoch sowohl aus geopolitischer als auch aus ökologischer Sicht problematisch sein.

Der zweite Nachteil der Elektrokatalyse besteht darin, dass zwei getrennte Systeme erforderlich sind: eine Photovoltaik- oder Windkraftanlage zur Stromerzeugung und ein Elektrolyseur zur Wasserspaltung. Das Faszinierende an der Photokatalyse ist ihre Einfachheit: Sie erfordert nur Licht, einen Katalysator und Wasser. Das Prinzip der photokatalytischen Wasserspaltung wurde bereits 1972 nachgewiesen. Unsere Idee ist, dieses Konzept weiterzuentwickeln und dabei Materialien auf Kohlenstoffbasis zu nutzen, die prinzipiell preiswerter, ungiftig und leicht skalierbar sind.

Sie sagten, Vorbild für Ihr Konzept sei die Photosynthese. Überspitzt gefragt: Reichen künstliche Blätter, um Deutschland mit Wasserstoff zu versorgen?

Wir sollten die Effizienz von Pflanzen nicht unterschätzen. Für die Herstellung von Glukose wird ähnlich viel Energie benötigt wie für die Spaltung von Wasser: 1,24 gegenüber 1,23 Elektronenvolt. Das Prinzip funktioniert, die Frage ist nur, welche Effizienzschwelle erreicht werden kann und wie die Systeme skaliert werden können, um den Bedarf eines Industrielandes wie Deutschland zu decken.

Wie ist der aktuelle Entwicklungsstand? Diskutieren wir noch über erste Ideen oder gibt es bereits Pilotprojekte?

Die Entwicklung ist weit fortgeschritten. Ich habe kürzlich zusammen mit einem internationalen Autorenteam drei photokatalytische Systeme vorgestellt, die in Asien und Europa getestet werden. Das bereits erwähnte französische Projekt – der kompakte Edelstahlreaktor – befindet sich im Labormaßstab, bei den beiden anderen handelt es sich um Pilotanlagen.

Eine dieser Anlagen, die derzeit im spanischen Almeria getestet wird, besteht aus einem Parabolkollektor, der kommunale Abwässer zur Wasserstofferzeugung nutzt. Dieser Ansatz ist besonders interessant, da er die Erzeugung von grüner Energie mit der Abwasseraufbereitung verbindet. Die zweite Pilotanlage wurde an der Universität Tokio entwickelt: ein Paneelsystem mit 1600 Katalysatoreinheiten und einer Fläche von einhundert Quadratmetern. Dieses Konzept beweist, dass Photokatalyse-Module bereits in größerem Maßstab eingesetzt werden können.

Können wir in naher Zukunft mit einer breiten Anwendung rechnen?

So weit sind wir leider noch nicht. Auch wenn die vorgestellten Systeme grundsätzlich funktionieren und seit einigen Monaten stabil laufen, sprechen wir derzeit von einem Wirkungsgrad von etwa einem Prozent. Das ist natürlich noch zu wenig – das Ziel ist eine Wasserstoff-Produktionseffizienz zwischen fünf und zehn Prozent. Wir brauchen ein verbessertes Reaktordesign und eine Prozessoptimierung, aber vor allem brauchen wir effizientere Katalysatoren. Hier spielen die Materialwissenschaften eine entscheidende Rolle, und eine beträchtliche Anzahl von Forschenden trägt aktiv zu Fortschritten auf diesem Gebiet bei.

Wo liegen aktuell die größten Herausforderungen?

Photokatalysatoren müssen zwei zentrale Aufgaben erfüllen: Erstens müssen sie ein breites Spektrum von Sonnenlicht absorbieren und möglichst viele angeregte Elektronen und positive Löcher freisetzen. Leider haben diese Elektronen-Loch-Paare die Tendenz zur Rekombination. Der zweite Schritt, die eigentliche chemische Reaktion, passiert an der Oberfläche – in unserem Fall an der Grenzfläche zwischen Katalysator und Wasser: Hier finden verschiedene Halbreaktionen statt, bei denen Elektronen abgegeben und aufgenommen werden.

Die aktuelle Forschung konzentriert sich auf diesen Grenzflächenkontakt zwischen Katalysator und Reaktionsmedium mit ausgeklügelten Materialstrategien. Es gibt dabei verschiedene Ansätze: Bei dem japanischen Paneelsystem wurde jede Tafel mit aluminiumdotiertem Strontiumtitanat besprüht, einem der aktuell effizientesten Photokatalysatoren. Die Wasserstoff-Abscheidung erfolgt an einer Membran aus Polyimid.Die Kollegen in Spanien testen eine Verbindung aus Titanoxid und Stickstoff und eine weitere aus Cadmium, Zink und Schwefel – jeweils in Kombination mit Platin.

Ich selbst forsche an Materialien auf der Basis von Kohlenstoffnitrid, die mit kleinen anorganischen Verbindungen modifiziert sind. Mit solchen Antennen lassen sich herkömmliche Materialien für eine Vielzahl von Anwendungen funktionalisieren. Ein konkretes Beispiel ist lokale Dotierung mit Purpald, einer Schwefelvorstufe, was zu einer hybriden Kohlenstoff-Stickstoff-Schicht führt. Im Vergleich zu reinem Kohlenstoffnitrid weist diese Kombination verbesserte optische, elektronische, strukturelle und morphologische Eigenschaften auf.

Interview-Quelle: Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg

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