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Agri-Photovoltaik: Sonnenstrom vom Acker
Wenn die Energiewende funktionieren soll, dann muss Deutschland die erneuerbaren Energien sehr viel schneller ausbauen als bisher. Neben der Windenergie könnte dabei vor allem die Solarenergie einen wichtigen Beitrag zur Stromversorgung leisten. Doch wohin mit all den Solarmodulen, die für den Ausbau der Photovoltaik nötig wären?

Landwirtschaft und Stromgewinnung kombiniert
Die Lösung lautet Agri-Photovoltaik – Solaranlagen auf Äckern, in Weinbergen oder in Obstanlagen. „Die Agri-Photovoltaik kann die Antwort auf die Tank-oder-Teller-Diskussion sein, denn technisch betrachtet können Landwirte beides: durch die Doppelnutzung der Ackerflächen ihrer Kernaufgabe der Nahrungsmittelproduktion gerecht werden und zusätzlich durch die Bereitstellung von Solarstrom einen Beitrag zum Ausbau der Elektromobilität und zum Klimaschutz leisten“, erklärt Stephan Schindele vom Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme (ISE).
Hinzu kommt: Für Landwirte kann sich die Agri-Photovoltaik auch finanziell lohnen. Denn rechnet man die Kosten für Module, Ständer, Installation und Betrieb zusammen, dann kostet der Strom vom Acker zwischen fünf und gut zehn Cent pro Kilowattstunde. Das bedeutet: Agri-Photovoltaik ist in Deutschland zurzeit zwar etwas teuer als Freiflächen-Solaranlagen, aber deutlich günstiger als eine Solaranlage auf dem Dach.

Solarmodule über oder zwischen den Pflanzen
Wenn es darum geht, Solaranlage und Pflanzenbau zu kombinieren, kommen mehrere Konzepte in Frage. Allen gemeinsam ist, dass die Pflanzen noch genügend Licht zum Wachsen erhalten müssen, damit es nicht zu größeren Ernteeinbußen kommt. Außerdem muss die Bearbeitung der Äcker oder Obstanlagen mit Landmaschinen noch möglich sein.
Die erste Variante der Agri-Photovoltaik nutzt Reihen von Solarmodule, die auf einer drei bis fünf Meter hohen Unterkonstruktion stehen. Die Solarmodule können dabei fest verbaut sein oder beweglich angebracht und mittels Nachführung dem Sonnenstand folgen. Die hohe Aufständerung schafft unter den Modulen genug Platz, um mit Traktoren und anderen Landmaschinen darunter hindurch zu fahren. Der Abstand zwischen den Solarmodulreihen ist so gewählt, dass noch genügend Licht hindurchfällt, oft kommen auch Solarmodule mit transparenten Zwischenbereichen zum Einsatz.
Bei der zweiten Variante der Agri-Photovoltaik sind die Solarmodule nicht aufgeständert, sondern auf niedrigeren Gestellen angebracht. Sie stehen dadurch nicht über, sondern zwischen den Pflanzenreihen. Auch dies lässt Platz für die Bearbeitung der Kulturen, vor allem, wenn die Solarmodule dabei senkrecht aufgestellt werden. Dafür besonders geeignet sind bifaziale Solarzellen, die das von beiden Seiten einfallende Sonnenlicht nutzen können. Meist werden diese Module so aufgestellt, dass ihre Seiten nach Osten und Westen zeigen. Dadurch entgeht diesen Solarmodulen zwar die intensive Mittagssonne, dafür fällt das Licht zweimal am Tag – vormittags und nachmittags – auf die beiden Modulflächen. Insgesamt produzieren solche senkrechten Solaranlagen daher kaum weniger Strom als die gängigen Anlagenformen.

Vorteile auch für die Pflanzen
Versuche mit Agri-Photovoltaik-Testanlagen legen nahe, dass die meisten Pflanzen auch in Deutschland unter den Solarmodulen gut wachsen und es kaum Ertragsausfälle gibt. Nur bei sehr lichthungrigen Pflanzen wie dem Mais kam es auf den Testflächen in eher sonnenarmen Jahren zu Ernteeinbußen von mehr als 20 Prozent. Meist waren die Einbußen aber weit geringer oder es kam sogar zu besseren Ernten.
Der Grund: Vor allem in sehr trockenen und heißen Jahren schützt die Teilbeschattung durch hoch aufgeständerte Solarmodule die Pflanzen vor zu viel Sonne und Hitze. Im Obstanbau müssen zudem schon jetzt sensible Früchte wie Kirschen, Beeren, aber auch Äpfel häufig durch Folien und andere Schutzbauten vor zu starker Kälte, Sonne oder vor Hagel und Starkregen geschützt werden. Ersetzt man diese Konstruktionen durch Solarmodule, können diese Wetterschutz bieten und gleichzeitig Strom produzieren.
"Wir sehen in der Agri-Photovoltaik eine langfristige Lösung, um Landwirte dabei zu unterstützen, sich an die Folgen des Klimawandels anzupassen“, sagt Agri-Solarexperte Schindele. „Die Tatsache, dass durch die Klimakrise die Durchschnittstemperatur, Wetterextreme, und im Falle von Zentraleuropa auch die Sonneneinstrahlung zunehmen werden, legt nahe, dass das Potenzial einer Schutzfunktion durch PV-Module für Pflanzen in Zukunft größer wird.“
Großes Potenzial
Und auch in puncto Stromgewinnung ist das Potenzial für die Agri-Photovoltaik enorm: Nach Berechnungen des Fraunhofer-ISE würden rund vier Prozent der deutschen Agrarflächen ausreichen, um über solche Agri-Solaranlagen den gesamten aktuellen Strombedarf in Deutschland zu decken. Das Gesamtpotenzial der Agri-Photovoltaik schätzen die Forscher hierzulande sogar auf rund 1.700 Gigawatt. Selbst wenn man davon nur rund zehn Prozent realisieren würde, ließe sich die aktuelle Stromerzeugung aus Solarenergie fast verdreifachen.
Während diese Kombination aus Landwirtschaft und Photovoltaik bei uns erst allmählich an Bekanntheit gewinnt und noch kaum umgesetzt wird, sind andere Länder schon weiter: In China wurden bis zum Sommer 2021 bereits Agri-Solaranlagen mit insgesamt zwölf Gigawatt Leistung installiert und in Betrieb genommen – das ist der Löwenanteil der bisher rund 14 Gigawatt global installierter Leistung bei der Agri-Photovoltaik.