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Das Butterbrot - Rückkehr eines deutschen Klassikers? (Podcast 154)

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Butterbrot – der Begriff versprüht in etwa so viel Sexappeal wie eingeschlafene Füße. Dafür aber Harmonie. Bei seinem Klang entsteht – von der Werbung gefördert - vor dem geistigen Auge das Bild einer intakten Kleinfamilie, die in idyllischer Bergkulisse und mit ein paar Kühen im Hintergrund synchron und wohlwollend in eben jenes hineinbeißt. Und es weckt Erinnerungen an die Kindheit: Wir hatten es oft für die große Pause dabei. Und wenn die Vesperbox nicht richtig gepackt war, waren zur Frühstückszeit auch die beiliegenden Apfelstückchen buttrig und alles ein glänzendes Durcheinander.  Dem Rund-Um-Versorgt-Und-Aufgehoben-Gefühl tat das keinen Abbruch. Und obwohl – oder weil? – das Butterbrot heimelige Gefühle auslöste, fristete es bald ein Nischendasein – und wir verbannten es schnell zusammen mit anderen Grundschul-Relikten wie der Vesperbox, dem angeknacksten Geo-Dreieck oder dem Turnbeutel aus unserem Alltag. Anlässlich seines Ehrentages am 30. September gedenkt wissen.de-Redakteurin Lena Schilder des Butterbrots als deutschem Kulturgut. Beinahe wäre es ein Nachruf geworden, denn die gute alte Stulle galt zeitweilig als vom Aussterben bedroht. Aber so einfach ließ sie sich die Butter dann doch nicht vom Brot nehmen…

 

Das Butterbrot – und seine Konkurrenz

Es gab und gibt es zahlreiche Alternativen gegen den kleinen Hunger. Um zu verstehen, mit welcher Konkurrenz sich das Butterbrot herumschlagen muss, braucht man nur eine Franchisekette zu besuchen. Und dort neben etwas zu essen am besten gleich noch einen Kaffee bestellen. Der hat am 30. September ebenfalls seinen Ehrentag  – doch auch der gute alte Filterkaffee hat inzwischen ordentlich Konkurrenz bekommen. Die Bitte nach Brot und Kaffee könnte deswegen heute in etwa folgenden Rattenschwanz als Antwort nach sich ziehen:

“Short? Medium? Tall? Caffe Latte oder Espresso? Extra Shot? Vollmilch? Fettarme Milch? Sojamilch? Laktosefreie Milch?  Aromatisiert? Mit Topping? Karamell? Vanille? Sahne? Schokolade? Wrap oder Sandwich? Unter sechs Gramm Fett? Welches Brot? Cheese? Oregano? Vollkorn? Honig? Sesam? White? 15 cm oder 30? Mit Käse? Fleisch? Bacon? Tomaten? Gurken? Zwiebeln? Soße? Onion? Cheese? Italian?“

Wer hierzulande Hunger hat, der hat die Qual der Wahl. Und der Spruch "Du bist, was du isst“ scheint mehr denn je Gültigkeit zu besitzen für eine Gesellschaft, in der der Einzelne viel Wert auf seine Individualität legt.  Der routinierte Besteller weiß seine Wünsche deshalb so gebetsmühlenartig runterzurattern, wie andere das Ave Maria:

"Einen Medium Cappuccino mit Halbfettmilch und Karamell Aroma. Dazu ein Tunasandwich, regular, mit Cheese-Oregano Brot, getoastet, extra Käse, ohne Gürkchen, wenig Zwiebeln. To go bitte.“ 

 

Das Butterbrot im deutsch-deutschen Vergleich

Dagegen glänzt so ein Butterbrot vor allem durch Fett und Schlichtheit.

Müsli, Cornflakes, Brötchen, Baguette, Sandwich und Croissant haben ihm beim Frühstück zuerst den Rang abgelaufen. Mit an die Uni oder in die Arbeit durfte es auch nicht mehr. Und schließlich wackelte auch noch das althergebrachte Abendbrot, das in Deutschland traditionellerweise eine kalte Mahlzeit ist.

Wir haben lieber ausgefallen und international gegessen. Wobei man dem Butterbrot nicht vorwerfen kann, nicht ebenfalls wandlungsfähig und am Zeitgeist orientiert zu sein.

Denn, je nach regionaler Auslegung und Butterbrot-Ideologie, gilt auch eine belegte Scheibe Brot als Butterbrot: egal ob sie sich nun Butter, Margarine, Frischkäse, Wurst, Käse, Honig, Marmelade, Haselnusscreme oder eine Rucola-Walnuss Kreation auferlegt. Und auch in der Namensgebung zeigte man sich ziemlich kreativ: In Norddeutschland und im Berliner Raum beißt man in die "Stulle“ oder die "Schnitte“, während die Obersachsen ihre "Bemme“ genau so schätzen, wie die Menschen am Niederrhein ihr "Bütterken“. Die Saarländer essen "Butterschmier“ und die Rheinländer verzehren ihre tägliche "Knifte“.

 

Butterbrot versus Sandwich

Was unterscheidet das Butterbrot dann überhaupt von einem Sandwich?

In dieser Frage sorgt der Brockhaus für Aufklärung:

"Das Butterbrot ist eine spezifische Kulturleistung des deutschsprachigen mitteleuropäischen Raums. Es basiert meist auf aus Sauerteig hergestelltem Brot und unterscheidet sich strukturell von südeuropäischen (italienisch »pane imburrato«) und nordwesteuropäischen Varianten (englisch »sandwich«), hat sich aber weit in Richtung Osten verbreitet, wie die russische Bezeichnung für Butterbrot (»Butterbrot«) zeigt.“

Hier kommt also unser Stolz als Brotnation Nummer eins ins Spiel!  Während das gemeine englische Sandwich aus mindestens zwei weißen Toastbrotscheiben besteht, die einen gern ketchuplastigen Belag umschließen, ist das traditionelle Brot des deutschen Butterbrotes ein Schwarzbrot oder ein Mischbrot aus Roggen- und Weizenmehl.

Aber auch hier ist Vielfalt längst Trumpf: Jede unserer über 300 Brotsorten darf als Grundlage herhalten, ganz egal ob aus Dinkel, Roggen oder Weizen. Ob Vollkornbrot, Weißbrot oder Schwarzbrot. Ähnliches gilt für die Butter:  Sie kommt in verschiedenen Fettstufen daher, kann gesalzen oder ungesalzen, Süßrahmbutter oder Sauerrahmbutter sein. Und unseren Cholesterinspiegel senken - das kann sie jetzt auch noch.

Zu unserem Lifestyle hat sie trotzdem nicht mehr gepasst. Wir haben versucht, fettreduziert zu essen. Also runter mit der Butter. Brot am Abend war auch problematisch: all der bösen Kohlehydrate wegen. Und aus Trennkost-Sicht galt eine Kombination zwischen Eiweiß und Kohlehydraten sowieso als Katastrophe.

 

Wer nie sein Brot mit Tränen aß…?

Die einst durch die Überproduktion von Butter in der Europäischen Union entstandenen Butterberge haben sicherlich andere Gründe als die Geringschätzung des Butterbrotes. Den Zeitgeist der übersättigten Wohlstandsgesellschaft spiegeln beide Phänomene. Organisationen wie "Brot für die Welt“ bilden den Gegenpol. Unter dem Motto "Hilfe zur Selbsthilfe“ versuchen sie, die ärmsten Länder der Welt im Kampf gegen den Hunger zu unterstützen. So wie jüngst die Dürre-Opfer in Somalia, Kenia und Äthiopien.

 

Die Rückkehr eines deutschen Klassikers?

Steht das Butterbrot in Deutschland also vor dem Aus? Es blickt in Deutschland auf eine lange Tradition zurück. In Norddeutschland und im Hanseraum schmierte man es bereits im 16. Jahrhundert. Hier produzierte die Viehwirtschaft genügend Milch und auch das notwendige Salz für die Konservierung der Butter stand im Ostseeraum zur Verfügung. Im Süden Deutschlands wurde das Butterbrot ab dem 18. Jahrhundert populär. Gerne in Kombination mit Kaffee. Und seit dem 19. Jahrhundert wurde es deutschlandweit zu einer Institution. Ein Butterbrot galt damals als ziemlich fortschrittliche Angelegenheit, die dem Zeitgeist entsprach: Lange Arbeitszeiten, immer mehr berufstätige Frauen, große Entfernungen zwischen Arbeits- und Wohnstätte und selten eine Kantine machten es zur idealen Ernährungsgrundlage.

 

Und heute?

So wie eine Katze angeblich immer auf ihre Füße fällt, fällt auch das Butterbrot angeblich immer auf seine beschmierte Seite. Und so wie einer Katze sieben Leben nachgesagt werden, scheint auch das Butterbrot die Fähigkeit zu besitzen, erneut aus der Versenkung aufzusteigen. Vorausgesetzt, die Zutaten stimmen.

Denn das Butterbrot könnte ein Nutznießer einer veränderten Einstellung zum Essen sein. Bio-Produkte sind in. Der Handel konnte den Umsatz mit Bioprodukten von 2000 bis 2009 um rund 180 Prozent steigern. Gesund muss das Essen heute sein, unbelastet und gerne regional. Fett und Kohlehydrate sind auch nicht mehr per se böse.

In dieser veränderten Atmosphäre darf auch das Butterbrot endlich wieder zeigen, was es drauf hat! Mit dem richtigen Brot und den richtigen Zutaten sorgt es für einen konstant hohen Blutzuckerspiegel und damit für große Leistungsfähigkeit. Und beratungsresistent ist es schließlich auch nicht: Ein paar Eigenschaften kann sich das Butterbrot durchaus vom Sandwich abschauen. Tomaten, Salat oder Paprika stehen auch ihm gut.

 

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