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Nam June Paiks TV-Buddha: Ikone der Videokunst

Was ist Videokunst?

Die Videokunst ist eine in den 1960er Jahren entwickelte Kunstform, die besonders in den USA und Deutschland gepflegt wurde. Die Kamera gilt den Videokünstlern als Erweiterung oder gar Ersatz des menschlichen Auges, der Bildschirm – Ersatz für die Leinwand– ist das Gemälde. Dank der Technik können sogar »Gemälde« mit bewegten Bildern entstehen.

Was bedeutet Nam June Paik für die Videokunst?

Der gebürtige Koreaner Nam June Paik ist der »Vater der Videokunst«. Er hat bereits seit den frühen 1960er Jahren den Übergang der westlichen Welt von der Industriegesellschaft zur Informationsgesellschaft des 21. Jahrhunderts prognostiziert und deshalb auch die neuen Medien zum Hauptthema und gleichzeitig zum Realisierungsmittel seines künstlerischen Schaffens gemacht.

Wie funktioniert der TV-Buddha?

Eine sitzende Buddhastatue blickt in einen Fernseher und wird dabei von einer Kamera gefilmt. Auf dem Bildschirm erscheint allerdings kein herkömmliches Fernsehprogramm, sondern die Videoübertragung der Filmkamera. Der Buddha sieht im Fernsehen sein eigenes Bild – aus der Perspektive des Gegenüber: Die konkrete Präsenz der sitzenden Bronzestatue wird unmittelbar mit der virtuellen Erscheinung des eigenen Abbildes konfrontiert. Darüber hinaus vermischen sich die Dimensionen von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu einer neuen Realitätserfahrung. Das Motiv des Buddhas, der vor dem Fernseher zu meditieren scheint, ist Sinnbild von Vergangenheit und Gegenwart, von Tradition und Innovation, von Realität und Virtualität. Der meditierende TV-Buddha ist somit Symbol der Videokunst überhaupt und damit exemplarisches Sinnbild des eigenen Lebenswerks von Nam June Paik.

Wie kam Nam June Paik zur Videokunst?

Zur bildenden Kunst führten ihn einige Umwege. Zunächst studierte der am 20. Juli 1932 in Seoul als fünftes Kind eines Textilfabrikanten geborene Paik in Tokio Musikwissenschaft und schloss sein Studium mit einer Arbeit über den Komponisten Arnold Schönberg ab. 1956 setzte er seine Musikstudien an den Universitäten München und Freiburg fort, arbeitete danach viele Jahre im WDR-Studio für elektronische Musik in Köln. Als Mitglied der Künstlergruppe Fluxus (einer gegen das bürgerliche Verständnis von Kunst gerichteten Strömung ab 1962) und durch deren Performances gelangte er schließlich zur Arbeit mit Kamera und TV-Monitor. Über das Medium Fernsehen wollte er elektronische Musik sichtbar machen. 1965 kaufte Paik eine der ersten tragbaren Videokameras und verkündete im Rahmen des Happenings »24 Stunden« in einer Wuppertaler Galerie: »Das Fernsehen hat uns ein Leben lang attackiert, jetzt schlagen wir zurück und machen unser Fernsehen selbst.«

Was meinte Paik mit der Datenautobahn?

Den Begriff des electronic superhighway, der Datenautobahn des Internet, verwendete Nam June Paik bereits 1974 in einer wissenschaftlichen Studie. 1993 wurde die Datenautobahn zum Thema einer monumentalen Videowand. Der Betrachter wurde mit rasender Schnelligkeit von Kürzeln aus der Werbung, Spielfilmen, Videoclips und anderem geradezu überrollt, die Einzelinformation war somit unverständlich – oder, wie Paik es ausdrückt: »Information als Kunst, Kunst als Information ... Die elektronische Datenautobahn ist die Breitbandkommunikation, die Verdichtung komplexer Informationen – wenn du willst, kannst du sogar elektronischen Sex haben ... Du kannst aber auch ein intellektuelles Experiment über die Frage machen, wie viele Informationen ein Mensch aufnehmen kann.«

Was verbirgt sich hinter Paiks Installation »Mongolian Tent«?

Mit der Installation »Mongolian Tent« hat sich Paik im Grunde sein eigenes Mausoleum geschaffen. In einem Zelt mongolischer Nomaden befindet sich wiederum eine sitzende Buddhastatue, hier allerdings vor einem leeren Fernsehgehäuse, in dem langsam eine Kerze herunterbrennt. In einem Kreis davor liegen acht bronzene Totenmasken, die der Künstler von seinem Gesicht hat modellieren lassen.

Die Kerze als Symbol der Vergänglichkeit wie auch der Ewigkeit verweist auf die bereits 1988 realisierte Installation »One Candle« und hat gerade im Zeitalter digitaler Informationsübertragung noch eine viel ursprünglichere Funktion und deshalb einen wesentlich aktuelleren Symbolgehalt. In Paiks Worten: »Das Licht ist die wirkungsvollste Form der Informationsübertragung.«

Alle Zeit ist eins

Kein anderer Künstler des 20. Jahrhunderts hat sich mit technologischen Innovationen aus Wissenschaft und Forschung und ihren konkreten gesellschaftlichen Auswirkungen so intensiv beschäftigt wie der Koreaner Nam June Paik. Er hat sich selbst als cultural terrorist bezeichnet und auch deshalb den Fernseher als Ikone der westlichen Industriegesellschaften ebenso kritisch wie ironisch in den Mittelpunkt seines künstlerischen Schaffens gestellt.

Seine Freundschaften mit Karlheinz Stockhausen, John Cage und Joseph Beuys machten ihn allerdings innerhalb weniger Jahre zu einem der ersten Künstler des Fluxus. Als Professor an der Kunstakademie in Düsseldorf bildete er bis in die 1990er Jahre hinein junge Studenten aus und kann daher als einer der Wegweiser und Mitbegründer nicht nur der deutschen Kunstszene nach 1945 bezeichnet werden.

Wie beurteilte Nam June Paik die Funktion des Internets?

In gewissermaßen visionärer Voraussicht legte der Künstler bereits 1974 dar, dass die anhaltende Wirtschaftskrise der führenden Industrienationen am besten durch den Aufbau weltweiter elektronischer Informations- und Datennetze aufzufangen sei. Kauf und Verkauf von »Hardware« – Waschmaschine, Auto, Fernseher – durch den Handel mit »Software« – Daten, Wissen, Informationen – zu ersetzen, sei nur möglich, so Paik, durch die Einführung eines »Internationalen Freihafens für Informationen«.

Wussten Sie, dass …

Nam June Paik viele Auszeichnungen erhielt? Dazu gehören die Picassomedaille der Unesco oder der Kaiserring der Stadt Goslar.

der Künstler seit 1979 als Professor an der Kunstakademie in Düsseldorf wirkte? Dort bildete er bis in die 1990er Jahre junge Kunststudenten aus.

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