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Archäometrie: Was Materialien über die Vergangenheit verraten
In der Archäologie sind Wissenschaftler längst nicht mehr nur mit Schaufel und Sieben zugange. Sie setzen heute modernste Hightech-Methoden ein, um Relikte der Vergangenheit zu finden und zu untersuchen. Denn oft liefern erst präzise chemische, mineralogische oder physikalische Analysen die entscheidenden Hinweise darauf, woher ein Fundstück kommt, wozu es einst verwendet wurde oder wie alt es ist. Die Zusammensetzung eines archäologischen Materials kann zudem spannende Einblicke darin geben, über welche Routen und Wege alte Kulturen Rohstoffe, Waren oder Wissen austauschten. Diese Analysen sind Gegenstand der Archäometrie.
Analysen unter erschwerten Bedingungen
Wie in der klassischen Materialforschung nutzt die Archäometrie nahezu die ganze Palette der chemischen, physikalischen und mineralogischen Analysemethoden – von der Begutachtung einer Materialprobe unter dem Mikroskop über verschiedene Röntgenanalysen bis zur Massenspektrometrie, mit der eine Substanz bis auf ihre einzelnen Elemente und Moleküle hinunter zerlegt werden kann.
Allerdings müssen die Wissenschaftler dabei oft mit kleinsten Probenmengen auskommen – oder sogar nur mit bildgebenden, zerstörungsfreien Methoden arbeiten. Denn archäologische Fundstücke sind oft Raritäten, nicht selten sogar einzigartig. Sie dürfen daher nicht beschädigt oder gar zerstört werden. Möchte man beispielsweise bei einem antiken Fresko oder einer Keramik herausfinden, was für Pigmente und Farben für die Bemalung verwendet wurden, kann man spektroskopische Methoden einsetzen, bei denen über die Absorption von Strahlung auf die Zusammensetzung schließen kann.
Römische Mühlsteine aus Eifelbasalt
Eni Fallbeispiel, bei dem erst die Archäometrie entscheidende Hinweise lieferte, sind Mühlsteine aus der römischen Zeit, die in vielen Ländern Europas gefunden wurden. Sie bestehen meist aus Basalt, einem Vulkangestein, das wegen seiner feinen, aber scharfkantigen Körnchen besonders gut zum Mahlen von Getreide geeignet ist. Geeignete Basaltvorkommen waren daher schon vor mehr als 2.000 Jahren eine überregional begehrte Ressource.
Woher viele der römischen Mühlsteine stammen, haben Forscher mithilfe der Archäometrie herausgefunden. Durch mikroskopische Vergleiche der Kornzusammensetzung und der Mineralogie von Proben der Mühlsteine und aus verschiedenen Basaltsteinvorkommen fanden sie heraus, dass ein Großteil der in ganz Europa genutzten antiken Mühlsteine aus dem Basalt der Eifel gefertigt wurden. Das begehrte Gestein wurde demnach aus der Eifeler Vulkanregion über Fernhandelsrouten bis ans Mittelmeer transportiert.
Das Rätsel des Karolinger-Kelchs
Manchmal kann die Archäometrie sogar verraten, wie ein archäologisches Fundstück gefertigt wurde und in welchem Zeitraum. Ein Beispiel dafür ist ein mit Silber beschlagener und zum Teil vergoldeter Kelch, der im Frühmittelalter um 800 in Bayern hergestellt wurde. Der sogenannte Tassilo-Liutpirc-Kelch ist mit Darstellungen von Christus, den Evangelisten und weiteren Figuren verziert. Lange blieb aber unklar, ob diese Figuren schon von Anfang an den Kelch zierten oder ob sie möglicherweise erst später hinzugefügt wurden.
Klärung brachte eine mikroskopische Untersuchung des Kelchs und eine zerstörungsfreie chemische Untersuchung. Sie enthüllte, dass die Silberauflage aus vielen kleinen Silberplättchen bestand, die zum Teil mit Stiften angenietet waren. Anhand der Anordnung der Plättchen und der chemischen Zusammensetzung konnten Wissenschaftler ermitteln, dass die Figuren zur gleichen Zeit wie die Plättchen angebracht wurden. Der Kelch ist demnach mitsamt allen seinen Verzierungen in der Karolingerzeit entstanden und nicht später noch einmal verändert worden. Für Archäologen und Historiker ist das wichtig, weil die Motive auf solchen Fundstücken auch einiges über die Kunst, Kultur und religiösen Vorstellungen der Zeit verraten.