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40 Jahre Schengen-Abkommen
Für einen Kaffee oder zum Shoppen schnell über die Grenze, im Nachbarland Sprit tanken, weil es dort günstiger ist, oder sogar in einem anderen Land arbeiten und täglich problemlos pendeln – all das ermöglicht das „Schengen-Abkommen“ den Europäern. Was heute für uns selbstverständlich erscheint, war einst ein politischer Meilenstein, als Vertreter Deutschlands, Frankreichs und der Benelux-Staaten diesen Vertrag vor genau 40 Jahren unterzeichneten. Wie kam es dazu?
Ein schwieriger Start
Schon Ende der 1950er Jahre verankerten die „Römischen Verträge“ die sogenannten vier Grundfreiheiten – den freien Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital – als Kernstück der europäischen Gemeinschaft. Ziel war es, alle Hindernisse zu beseitigen, die der Verwirklichung dieser Freiheiten im Wege standen. Doch darüber, was genau als Hindernis galt, herrschte lange Uneinigkeit unter den Mitgliedstaaten.
1974 beauftragte schließlich der Europäische Rat die EU-Kommission, konkrete Vorschläge für besondere Rechte der Bürgerinnen und Bürger in Europa auszuarbeiten – insbesondere eine Passunion und den Abbau von Personengrenzkontrollen an den gemeinsamen Grenzen. Die Verhandlungen liefen jedoch jahrelang erfolglos: Alles, worauf sich die Kommission einigte, waren das Format und die weinrote Farbe des Reisepasses der EU-Länder.
1982 lehnten die Mitgliedstaaten sogar ein Papier ab, das Personenkontrollen erleichtern sollte. Besonders die skandinavischen Länder und Großbritannien sahen durch einen Wegfall der Kontrollen ihre nationale Souveränität gefährdet.
Geburt am Dreiländereck
Zwei Jahre später, als der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl sich mit dem französischen Staatspräsidenten François Mitterrand traf, einigten sie sich darauf, die Grenzkontrollen zwischen den beiden Ländern sofort aufzuheben. Ein paar Monate später meldeten sich Belgien, die Niederlande und Luxemburg bei der deutschen und französischen Regierung. Sie wollten ebenfalls die Grenzkontrollen mit Frankreich und Deutschland abschaffen – zwischen den Benelux-Staaten war das bereits seit 1969 der Fall.
Am 14. Juni 1985 war es schließlich so weit: An Bord eines Schiffs auf der Mosel vor der luxemburgischen Ortschaft Schengen am deutsch-französisch-luxemburgischen Dreiländereck unterzeichneten die Staatssekretäre das Schengener-Übereinkommen. Fünf Jahre später folgte ein weiteres Abkommen, das die Verträge konkretisierte. Das Schengen-Abkommen trat für diese ersten Länder 1995 in Kraft.
In den folgenden Jahren schafften immer mehr Länder Grenzkontrollen ab, darunter auch einige, die keine Mitglieder der Europäischen Union sind oder waren. Heute gehören folgende Länder zum Schengenraum: Deutschland, Belgien, Bulgarien, Dänemark, Estland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Island, Italien, Kroatien, Lettland, Liechtenstein, Litauen, Luxemburg, Malta, die Niederlande, Norwegen, Österreich, Polen, Portugal, Rumänien, Schweden, die Schweiz, die Slowakei, Slowenien, Spanien, die Tschechische Republik und Ungarn. Irland und Zypern wenden das Abkommen nur eingeschränkt an.
Mehr als Reisefreiheit
Trotz seines schweren Starts gilt „Schengen“ als politische Erfolgsgeschichte. „Die Reisefreiheit ist für Millionen Bürger täglich gelebtes Europa“, schrieb die damalige Vizepräsidentin der Europäischen Kommission Viviane Reding 2012 in einem Gastbeitrag für die Frankfurter Allgemeine Zeitung. „Die junge Generation kann es sich gar nicht mehr vorstellen, in langen Stauungen vor den Grenzhäuschen zu stehen und kontrolliert zu werden. Schengen steht für Freiheit, Schengen steht für einen besonderen Geist der Zusammenarbeit. Mit den offenen Grenzen hat Europa für viele Menschen ein Gesicht bekommen – ein Gesicht mit positiven Zügen.“
Das Schengen-Abkommen ermöglicht uns jedoch mehr als nur Reisefreiheit zwischen den Mitgliedsstaaten. Polizei und Justiz der verschiedenen Länder können eng miteinander arbeiten und erfassen in einem gemeinsamen Fahndungssystem Personen und Sachgegenstände. Zusätzlich können Personen aus Drittländern ein „Schengen-Visum“ beantragen. So können sie sich 90 Tage lang ebenfalls im gesamten Schengenraum aufhalten und herumreisen.
Grenzwertige Grenzkontrollen?
Während der Corona-Pandemie schlossen viele Mitgliedstaaten zeitweise ihre Grenzen und setzten damit das Schengen-Abkommen teilweise außer Kraft. Zurzeit führen einige Länder – darunter Deutschland, die skandinavischen Länder und Frankreich – im Rahmen ihrer nationalen Migrationspolitik wieder Grenzkontrollen durch und verletzen damit das Schengen-Abkommen. Das dürfen sie mit einer ausreichenden Begründung zwar für sechs Monate bis maximal drei Jahre. „Bislang hat die EU-Kommission keine förmlichen Verfahren wegen Verletzung des Grenzkodexes eingeführt, obwohl einige Staaten die Kontrollen seit zehn Jahren aufrechterhalten“, erklärt die Deutsche Welle.
Mit den Grenzkontrollen wollen die Staaten Migranten ohne gültige Papiere an einer Einreise in die EU hindern. Sie reisen oft von Griechenland, Italien, Kroatien oder Spanien in nördliche EU-Staaten wie Deutschland weiter. Unter anderem der luxemburgische Innenminister Leon Gloden kritisiert diese Grenzkontrollen jedoch: „Schengen ist eine der größten Errungenschaften der EU. Wir dürfen nicht zulassen, dass sich Grenzen wieder in den Köpfen der Menschen festsetzen.“