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Kirchners Mädchen unter dem Japanschirm: Farbe und Kontraste

Welche Bedeutung hatte Kirchner für den Expressionismus?

Ernst Ludwig Kirchner (1880–1939) war die führende Persönlichkeit der »Brücke«, der ersten deutschen Künstlergruppe des Expressionismus. Diese Vereinigung postulierte einfache Formen, klare Farben und unmittelbaren Gefühlsausdruck als zentrale Ansprüche an die Kunst. Kirchners Werke zählen zu den kraftvollsten Schöpfungen des Expressionismus.

Was war das Besondere am Selbstverständnis der »Brücke«?

Die Begründer Ernst Ludwig Kirchner und seine Studienfreunde Erich Heckel, Karl Schmidt-Rottluff und Fritz Bleyl verstanden ihren Zusammenschluss als Lebens- und Arbeitsgemeinschaft. Im September 1906 zogen sie in ein Ladenlokal in der Dresdner Altstadt ein und statteten es mit selbst gebauten Möbeln aus. Erst im Jahr zuvor hatte Kirchner sein Architekturstudium an der Technischen Hochschule in Dresden abgeschlossen. Gemeinsam malten die Freunde in der Natur rund um Dresden, gerne an den Moritzburger Seen. Dabei entwickelten die in ihrer Gemeinschaft eng verbundenen Künstler einen kollektiven Malstil, der sich sowohl am Neoimpressionismus Vincent van Goghs und Paul Gauguins als auch an den Pariser Fauves (die »Wilden«) um Henri Matisse orientierte. Schon bald schufen die Maler Landschaften, Badeszenen und Zirkusmotive in einem flächigen, auf reinen Farben aufgebauten Malstil, der sich nicht am Naturvorbild, sondern am Ausdruckswert der Farbe orientierte. Ursprünglich und unmittelbar sollte ihre Kunst sein, leidenschaftlich, aggressiv und ausdrucksstark – der Beginn der expressionistischen Malerei.

Welche Gestaltungselemente bestimmen das »Mädchen«?

Kirchners bevorzugtes Motiv in seiner Dresdner Zeit war der erotische weibliche Akt, so auch bei diesem Bild aus dem Jahr 1909. Das Bild lebt ganz durch die Farbe, sie ist gemäß der Ideen der »Brücke« von der Form und dem realen Vorbild befreit und spricht eine eigene, lebhafte Sprache. So ist die Haut des Mädchens gelborange, die Schatten darauf sind rosa, blau und grün. Die Farben werden in breiten Flächen aufgetragen und durch dunklere Konturen zusätzlich betont. Kirchner und seine Kollegen von der »Brücke« arbeiteten wie ihre Vorbilder van Gogh und Gauguin mit Komplementär-Kontrasten, um die Leuchtkraft der Farben in ihren Bildern zu steigern. Solche Kontraste entstehen, wenn eine der reinen Farben Rot, Gelb oder Blau mit einer Mischung aus den anderen beiden kombiniert wird: also Rot mit Grün, Gelb mit Violett und Blau mit Orange.

Wie seine Mitstreiter war Kirchner leidenschaftlich an außereuropäischer Kunst interessiert, man schätzte deren vermeintlichen Ausdruck des Ursprünglichen – der japanische Schirm spiegelt dieses Interesse.

Hatte die »Brücke« öffentlichen Erfolg?

Ja, und zwar erstmals in Berlin, wohin Kirchner den anderen Mitgliedern der »Brücke« im Oktober 1911 gefolgt war. Die hektische Atmosphäre der Großstadt mit ihrem Verkehr, dem Nachtleben und den sozialen Gegensätzen brachte für die »Brücke«-Maler viele neue Anregungen, die jeder von ihnen auf eigene Weise in seinen Werken verarbeitete. Kirchner begann in Berlin Straßenszenen mit mondänen Halbweltdamen in einem neuen Malstil mit kurzen, heftigen Farbstrichen und zugespitzten Formen zu malen. Er versuchte, die Hektik Berlins in Form und Farbe umzusetzen, bevorzugt in schrillen Kontrasten von kaltem Rot, Lila, Blau und Grün.

1912 fand die erste umfassende Präsentation der Gruppe und eine Einzelausstellung von Kirchner statt. Bei der zweiten Ausstellung der Münchner Künstlergruppe »Blauer Reiter« war die »Brücke« mit ihrer Druckgrafik vertreten. Vor allem der Holzschnitt entsprach ihrer Vorstellung von einer urtümlichen handwerklichen Kunstform.

1913 kam es zur Auflösung der »Brücke«. Der Anlass war eine von Kirchner verfasste Chronik der Vereinigung – Heckel, Schmidt-Rottluff und Otto Mueller warfen ihm vor, seine eigenen Verdienste zu stark betont zu haben.

Wussten Sie, dass …

Kirchner das Programm der »Brücke« als Holzschnitt gestaltete?

die Nationalsozialisten Ernst Ludwig Kirchners Bilder ächteten? 639 seiner Werke wurden beschlagnahmt, einige davon 1937 als »entartete Kunst« ausgestellt.

der Künstler sich am 15. Juni 1938 in seinem Haus im Davoser Tal erschoss? Eines der Motive war das Entsetzen über den Umgang Deutschlands mit seiner Kunst.

Welche Folgen hatte der Militärdienst für Kirchner?

Zu Beginn des Ersten Weltkriegs meldete er sich freiwillig zum Militärdienst. Im September 1915 wurde er nach einem Zusammenbruch freigestellt und in ein Sanatorium gebracht. Die Angst wieder eingezogen zu werden, lähmte ihn regelrecht. Nach seiner Genesung ließ er sich im Davoser Tal in der Schweiz nieder. Die Sommer verbrachte er auf der Staffelalp und widmete sich seinem neuen großen Themenbereich, den grandiosen Alpen und dem naturverbundenen Leben der Davoser. Nun überarbeitete er viele seiner alten Gemälde und datierte sie vor, um seinen Führungsanspruch in der »Brücke« zu belegen.

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