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Blackout: Wie fährt man das Stromnetz wieder hoch?

Ob durch Wetter, Überlastung oder technisches Versagen: Wenn der Strom in einem großen Gebiet oder sogar im ganzen Land über längere Zeit ausfällt, kann dies dramatische Folgen haben. Gleichzeitig ist es gar nicht so einfach, das Stromnetz nach einem solchen Ausfall wieder stabil ans Laufen zu bringen – und die Energiewende macht dies nicht gerade leichter. Doch wie funktioniert das Wiederhochfahren und was ist daran so schwierig?
NPO, 11.08.2023
Strommast bei Sonnenuntergang, Aufblick

© hxdyl, GettyImages

Unser Stromnetz ist nur dann stabil, wenn sich Spannung und Frequenz des Wechselstroms in einem eng definierten Rahmen bewegen. Der Wechselstrom fließt normalerweise in einem Takt zwischen 49,8 und 50,2 Hertz durch die Leitungen. Diese Werte markieren den Bereich, bei den alle Stromabnehmer und stromproduzierenden Systeme problemlos und synchron arbeiten können. Gleichzeitig müssen auch Einspeisung und Entnahme so geregelt werden, dass die Spannung möglichst gleichbleibt. Kommt es zu größeren Abweichungen, kollabiert das sensible Gleichgewicht und die Stromversorgung bricht zusammen.

Um einen solchen Blackout zu verhindern, haben die Übertragungsnetzbetreiber – die für die überregionalen Hochspannungsnetze Verantwortlichen – verschiedene automatisierte Schutzmechanismen und Notfallprotokolle entwickelt. Diese sorgen auch dafür, dass das Stromnetz nach einem lokalen oder regionalen Ausfall wieder stabil hochgefahren werden kann.

Schema des deutschen Stromnetzes
Schema des deutschen Stromnetzes. Das Wiederhochfahren nach einem flächendeckenden Ausfall erfordert ein komplexes Jonglieren mit Stromlieferanten und -abnehmern.

Mrmw / CC0, nach Vorlage von Stefan Riepl

Das Hochfahren nach dem Blackout

Denn auch der Neustart nach dem Blackout erfordert ein komplexes Jonglieren mit Stromlieferanten und Stromabnehmern, damit das Netz nicht direkt wieder kollabiert. „Das deutsche Stromnetz ist eines der zuverlässigsten der Welt. Dennoch ist die Resilienz von großer Bedeutung. Im Falle eines großflächigen Stromausfalls ist sehr entscheidend, dass wir schnell wieder zum Normalbetrieb zurückkehren", erläutert Projektleiter Holger Becker vom Fraunhofer-Institut für Energiewirtschaft und Energiesystemtechnik IEE.

Bisher funktionierte dieses Hochfahren so: Nach dem Ausfall speisen zunächst einige schwarzstartfähige Kraftwerke Strom ein und bilden erste funktionierende Inseln im Stromnetz. Schwarzstartfähig sind Anlagen wie Gas- oder Wasserkraftwerke, die schnell und unabhängig von externer Stromversorgung hochfahren und die selbständig die geforderte Spannung und Frequenz einstellen können. Sobald dann der erste Strom fließt, steuern die Übertragungsnetzbetreiber das Zuschalten weiterer Stromerzeuger und Verbraucher. Dabei sind viel Erfahrung und zentrale Kontrollmöglichkeiten nötig.

Gaskraftwerk am Rhein, Ingelheimer Aue
Moderne Gasturbinenkraftwerke sind schwarzstartfähig, sind also unabhängig vom Stromnetz vom abgeschalteten Zustand ausgehend hochzufahren.

© Harald007, GettyImages

Was sich mit der Energiewende ändert

Doch mit der Energiewende muss sich auch dieses System anpassen. Denn die Stromerzeugung wird dezentraler und basiert stärker auf vielen kleinen Windkraft- und Solaranlagen. Diese erzeugen zu wenig Strom, um direkt in die Hochspannungsnetze einzuspeisen, und sind daher an die Verteilernetze mit Mittel- und Niedrigspannung angeschlossen. Das aber bedeutet: Die bisher zuständigen Betreiber der Hochspannungsnetze haben nur bedingt Zugriff auf diese untergeordneten Systeme – das macht die Koordinierung sehr viel schwieriger.

Im Falle eines Blackouts verlagert sich das diffizile Wiederhochfahren auf die bisher wenig darauf vorbereiteten Verteilnetze und ihre meist lokalen und regionalen Betreiber. "Diese Veränderungen der Erzeugungs- und Laststruktur auf der Verteilnetzebene erfordern neue Fähigkeiten der Verteilnetzbetreiber“, erklärt Jonathan Bergsträßer vom Fraunhofer-Institut IEE. Selbst wenn Gas- und Wasserkraftwerke weiterhin den Schwarzstart übernehmen, hängt es vom balancierten Zuschalten der dezentralen Wind- und Solaranlagen ab, ob das Stromnetz wieder stabil wird oder nicht. Ob und wie das funktionieren könnte, haben Bergsträßer und seine Kollegen nun in einem dreijährigen Projekt mit mehreren Feldtests und Simulationen untersucht.

Windkraftanlagen und Solarpanele neben einer Autobahnstrecke
Weil die dezentral organisiertem, kleine Windkraft- und Solaranlagen nicht direkt in die Hochspannungsnetze einspeisen, wird die Koordination auch wegen der verschiedenen Spannungsebenen deutlich komplexer.

© Adam Smigielski, GettyImages

Crash oder Erfolg?

Die Untersuchungen zeigen: Ohne Möglichkeiten der zentralen Kontrolle geht es nicht. Das Wiederhochfahren funktioniert nur dann, wenn Windparks und Solaranlagen im Notfall von den Netzbetreibern ferngesteuert werden können. Dafür muss es entsprechende Internet- und Mobilfunkschnittstellen geben sowie die Option, voreingestellte Parameter zu überschreiben.

Gibt es vor allem Letzteres nicht, wird es problematisch, wie ein virtuelles Experiment mit einem Windpark ergab: Nachdem ein Gaskraftwerk den Schwarzstart übernommen hatte, ging der Windpark ans Netz, produzierte dabei aber nach seinen internen, leistungsoptimierten Vorgaben. Als Folge konnte er nicht an die Anforderungen des noch labilen Stromnetzes angepasst werden und brachte das gesamte System nach etwa 15 Minuten erneut zum Kollaps.

Wenn der Windpark dagegen mithilfe einer neuinstallierten Fernsteuerungstechnik Windpark so geregelt werden konnte, dass er genau die erforderliche Strommenge ins Netz einspeiste, klappte es: Schon fünf Minuten nach dem Blackout erreichten Spannung und Frequenz im Stromnetz wieder die Sollwerte.

Technische Nachrüstung nötig

„Windparks und Solarkraftwerke können beim Hochfahren des Netzes einen aktiven Beitrag leisten“, sagt Projektleiter Holger Becker vom Fraunhofer IEE. „Das ist technisch zwar anspruchsvoll, aber möglich, wie unsere Feldversuche eindeutig gezeigt haben." Allerdings erfordert dies technische Lösungen, die bisher in den meisten Anlagen noch nicht installiert sind. Sowohl bei den Kommunikationsverbindungen zu den Netzbetreibern wie auch bei den Steuertechnik muss daher nachgerüstet werden. Auch dezentrale Stromverbraucher wie Batteriespeicher, Wärmepumpen oder auch Flotten von Elektroautos sollten besser steuerbar sein, denn auch sie können beim Wiederhochfahren wichtige Puffer darstellen.

Eine weitere Voraussetzung sind möglichst präzise Vorhersagen dazu, wie viel Strom die Wind- und Solaranlagen unter den aktuell herrschenden Wetterbedingungen liefern können.

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