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Friedrich Nietzsche – zwischen Genie und Krankheit

Friedrich Nietzsche gilt als einer der bekanntesten Philosophen der Welt. Im April 2025 hat die UNESCO-Kommission seinen Nachlass sogar in das Weltdokumentenerbe aufgenommen. Anlässlich seines 125. Todestages fragen wir uns: Wer war Friedrich Nietzsche? Was machte sein Leben besonders und prägte ihn? Und welche Rolle spielten mögliche Krankheiten?
SSC, 25.08.2025
Friedrich Nietzsche in Denkerpose vor dem Gemälde Das Eismeer von Caspar David Friedrich

© Nietzsche-Porträt: Gustav Adolf Schultz; Hintergrund: Caspar David Friedrich

Ein mächtiger Schnäuzer, ein durchdringender Blick und „Gott ist tot“ – das fällt wahrscheinlich den meisten als Erstes ein, wenn sie an Friedrich Nietzsche denken. Bevor Nietzsche jedoch zu jenem Philosophen wurde, als der er heute bekannt ist, ist sein Leben zunächst von Schicksalsschlägen und einer außergewöhnlichen Universitätslaufbahn geprägt. Immer wieder plagen ihn dabei außerdem verschiedenste körperliche Symptome. Machte vielleicht sogar eine Krankheit den Philosophen zu dem, der er war?

Ein Pfarrersohn aus Sachsen-Anhalt

Friedrich Nietzsche erblickt am 15. Oktober 1844 im Dorf Röcken im heutigen Sachsen-Anhalt das Licht der Welt. Er wächst in einer Pfarrerfamilie auf: Sowohl sein Vater Carl Ludwig als auch sein Großvater mütterlicherseits und weitere Familienmitglieder sind Pfarrer. Als Nietzsche fünf Jahre alt ist, sterben sein Vater und sein jüngerer Bruder. Von da an wächst er zusammen mit Mutter, Schwester, Großmutter, zwei unverheirateten Tanten und einem Dienstmädchen auf.

Schon in der Schule fällt der junge Nietzsche durch besondere musische und sprachliche Begabung auf und wechselt 1858 an ein Internat für Hochbegabte. Am Internat begeistert er sich nicht nur für Dichtung und Musik, sondern entwickelt auch eine eigene Vorstellung von der Antike – und beginnt so auch, sich innerlich von der christlich geprägten Welt seiner Familie zu lösen. Obwohl er schlechte Noten in Mathematik schreibt, setzt sich ein Nietzsche nahestehender Lehrer dafür ein, dass der junge Denker das Abitur ablegen kann.

Zusammen mit zwei Freunden gründet Nietzsche 1860 die Vereinigung „Germania“, in der das Trio über Literatur, Philosophie, Musik und Sprache diskutiert. In den drei Jahren, in denen die Vereinigung besteht, entstehen auch erste eigene Schriften Nietzsches und er entwickelt eine Leidenschaft für die Musik des Komponisten Richard Wagner.

Musterschüler Nietzsche

Nach dem Schulabschluss beginnt Nietzsche 1864 ein Studium der klassischen Philologie und evangelischen Theologie an der Universität Bonn. Kurz darauf wendet er sich jedoch ganz der Philologie zu – sehr zum Leidwesen seiner streng gläubigen Mutter. Als sein Professor Friedrich Ritschl an die Universität Leipzig wechselt, folgt er ihm mit einem Freund dorthin und wird zu seinem Musterschüler. Dort entdeckt er auch die Schriften des Philosophen Arthur Schopenhauer.

Seinen Militärdienst muss Nietzsche nach einem Reitunfall 1868 abbrechen. Während seiner Kur widmet er sich weiteren philologischen Arbeiten. Noch im selben Jahr macht er außerdem eine besondere Begegnung: Nietzsche trifft erstmals Richard Wagner und freundet sich mit ihm an.

Friedrich Nietzsche als angehender Student (1862) und Dozent in Basel (1875).
Friedrich Nietzsche als angehender Student (l.) und – bereits mit dem charakteristischen Schnurrbart – als Dozent der Universität Basel (r.).

© Gemeinfrei

Professor mit 25

Nietzsches Talent für alte Sprachen verschafft dem damals 25-Jährigen schließlich eine Position als Philologie-Professor an der Universität Basel – und das ganz ohne Promotion. Mit dem Umzug nach Basel lässt er sich auch aus der preußischen Staatsbürgerschaft entlassen und bleibt bis an sein Lebensende staatenlos. Dennoch beteiligt er sich am Deutsch-Französischen Krieg: Als Sanitäter zieht er sich eine schwere Erkrankung zu, deren Folgen ihn lange belasten.

In der Schweiz besucht Nietzsche häufig seinen Freund Wagner. Obwohl er zunächst noch begeistert von seiner Kunst und seinen Ideen ist, wendet er sich schon bald von ihm ab. Er ist enttäuscht von den von Wagner ausgerichteten Bayreuther Festspielen und abgestoßen von dessen Antisemitismus. Mit seinen Werken „Unzeitgemäße Betrachtungen“ und „Menschliches, Allzumenschliches“ vollzieht er endgültig den Bruch mit Wagner, aber auch mit Schopenhauer. Privat bleibt Nietzsche erfolglos: Mehrere Heiratspläne scheitern und seit Kindheitstagen auftretende Beschwerden in Form von Migräneanfällen, Schlaflosigkeit und Sehstörungen nehmen zu. 1879 muss Nietzsche sich mit nur 34 Jahren pensionieren lassen.

Vom freien Philosophen zur „geistigen Umnachtung“

In den nachfolgenden zehn Jahren widmet sich Nietzsche vollständig der Philosophie, reist viel herum und verfasst seine bekanntesten Werke „Die fröhliche Wissenschaft“, „Also sprach Zarathustra“, „Jenseits von Gut und Böse“ und „Der Antichrist“. Doch auch in dieser Zeit bleibt er einsam: Die enge Freundschaft, die er lange mit dem Philosophen Paul Rée und der Schriftstellerin Lou von Salomé gepflegt hatte, zerbricht und ein Heiratsantrag an Salomé bleibt ebenfalls erfolglos.

Im Herbst 1888 beginnt Nietzsche damit, kryptische Kurzmitteilungen – sogenannte „Wahnsinnszettel“ – zu schreiben, die er an verschiedene Persönlichkeiten wie Hans von Bülow oder Wagners Frau Cosima versendet. Anfang des darauffolgenden Jahres bricht der Philosoph schließlich zusammen und kommt in eine psychiatrische Klinik, ehe seine Mutter und Schwester ihn zuhause pflegen. Aus dieser „geistigen Umnachtung“ kommt Nietzsche nie wieder heraus und stirbt mit 55 Jahren im Jahr 1900 an einer Lungenentzündung und einem von mehreren Schlaganfällen.

Über Nietzsches Krankheiten rätseln Forschende bis heute. Zu Lebzeiten diagnostizierten Ärzte ihn mit der chronischen Infektionskrankheit Syphilis – heute gilt das jedoch als weitgehend widerlegt.

War es ein Tumor?

„Höchstwahrscheinlich litt Nietzsche an einem retroorbitalen Meningeom“, statuiert der Historiker Charlie Huenemann von der Utah State University. „Ein Meningeom ist ein Tumor an der Oberfläche des Gehirns, der, wenn er unbehandelt bleibt, ein Leben lang kontinuierlich wachsen und das Gehirn in den Rest der Schädelhöhle verdrängen kann.“ Das könnte Nietzsches Kopfschmerzen, Sehstörungen und spätere Demenz erklären. „Meningeome können auch zu manischem Verhalten und extrem ängstlicher Paranoia führen. Nietzsche zeigte all diese Symptome viel deutlicher als die Symptome, die typisch für Patienten mit tertiärer Syphilis sind“, so Huenemann weiter.

Andere Forschende stellen die Hypothese auf, dass „CADASIL mit Symptomen einer bipolaren Störung und des Gastaut-Geschwind-Syndroms zu einer gesteigerten Einsicht und Kreativität eines Philosophen beitragen würde.“ CADASIL ist eine genetische Erkrankung, bei der es im Alter vermehrt zu Schlaganfällen kommen kann. Das Gastaut-Geschwind-Syndrom kann bei Menschen mit Epilepsie auftreten und zeichnet sich durch Hyperreligiösität, den zwanghaften Drang, sehr viel und philosophisch zu schreiben, und ein intensives geistiges Erleben aus.

Wie sehr diese möglichen Krankheiten das Denken und Erleben Friedrich Nietzsches beeinflusst haben, bleibt ungewiss. Seine Werke werden dennoch, auch 125 Jahre nach seinem Tod, von Menschen auf der ganzen Welt gelesen, diskutiert und interpretiert.

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