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Ferdinand Sauerbruch: Zwischen Lungen-OPs, Armprothesen und dem NS-Regime
Ernst Ferdinand Sauerbruch kommt am 3. Juli 1875 im heutigen Wuppertal-Barmen zur Welt. Sein Vater, Leiter einer kleinen Tuchweberei, stirbt schon zwei Jahre nach der Geburt seines Sohnes an Tuberkulose. Der kleine Ferdinand und seine Mutter ziehen daraufhin bei dem Großvater ein. Die Schule schließt Sauerbruch erst 1895 mit 20 Jahren ab – durch den Tod seines Großvaters musste er eine Klasse wiederholen.
Ein schwieriger Start
Nach seinem Schulabschluss studiert Sauerbruch zunächst Naturwissenschaften an der Universität Marburg. Denn um Medizin studieren zu können. fehlt ihm noch ein Altgriechisch-Examen. Allerdings holt er diese Prüfung schon bald nach und beginnt ab 1896 mit dem Medizinstudium an der Universität Leipzig.
1901 legt Sauerbruch sein medizinisches Staatsexamen ab und promoviert ein Jahr später. Seine Dissertation lässt allerdings noch wenig von seinem späteren Erfolg als Chirurg erahnen: Am Ende seiner Doktorarbeit zu kindlicher Knochenerweichung hält der junge Arzt fest: „Wir fanden bei unserer Arbeit nichts Neues.“ Seit dem Tod des Großvaters ist Sauerbruchs finanzielle Situation angespannt, daher kann er nicht – wie damals üblich – ein unbezahltes, mehrjähriges Volontariat absolvieren. Stattdessen arbeitet er in mehreren Krankenhäusern als Assistenzarzt.
Lunge unter Druck
Ende 1903 wird Sauerbruch Assistenzarzt an der Chirurgischen Universitätsklinik im damals zum Deutschen Kaiserreich gehörenden Breslau. Schon bald arbeitet er dort auch als Oberarzt und erhält vom Klinikchef Johannes von Mikulicz die Aufgabe, eine Möglichkeit zu finden, Patienten bei offenem Brustkorb zu operieren.
Das Problem: In der Lunge herrscht Unterdruck, damit sie sich beim Einatmen ausdehnen kann. Öffnen Chirurgen den Brustkorb, gleicht sich dieser Unterdruck jedoch mit dem äußeren Luftdruck aus – die Lunge fällt in sich zusammen und der Patient kann nicht mehr selbstständig atmen. Operationen am Brustkorb waren deswegen bislang nicht möglich. Um das Problem zu lösen, entwickelt Sauerbruch eine Unterdruckkammer: In ihr befinden sich der Operationstisch, Apparaturen für die Erzeugung des Unterdrucks und genügend Platz für Chirurg und Operationsassistenten. Lediglich der Kopf des Patienten ragt aus ihr heraus.
Zum ersten Mal können Chirurgen damit am offenen Brustkorb operieren, ohne befürchten zu müssen, dass die Lunge des Patienten zusammenfällt. Solche Eingriffe konnten beispielsweise für an Tuberkulose Erkrankte überlebenswichtig sein – jene Krankheit, an der Sauerbruchs Vater verstarb. Später ersetzte eine Beatmung mit Überdruck die von Sauerbruch entwickelte Unterdruckkammer.
Neue Arme für versehrte Soldaten
Ferdinand Sauerbruch arbeitet nach seiner Habilitation im Jahr 1905 erneut in verschiedenen Krankenhäusern und ist auch als Professor an der Hochschule Zürich tätig. Als 1914 der Erste Weltkrieg ausbricht, lässt sich Sauerbruch beurlauben – er meldet sich als Kriegsfreiwilliger und wird Chirurg in der Armee. Bei seiner Arbeit in einem Lazarett muss er vielen Soldaten Arme amputieren. Es bedrückt ihn, damit die Lebensqualität der versehrten Männer einschränken zu müssen.
Der Chirurg entwickelt daraufhin die erste aktive Armprothese – eine Prothese, die von ihrem Träger aktiv bewegt und gesteuert werden kann. Dazu operierte Sauerbruch eine Art Hautkanal zwischen die Muskulatur im verbleibenden Armstumpf. Elfenbeinstifte werden in den Kanal geschoben, um die Mechanik der Prothesen an ihnen einzuhängen. Der Träger kann dann die künstliche Hand mit kontrollierten Muskelbewegungen öffnen und schließen.
Sauerbruch und das NS-Regime
1927 folgt Sauerbruch einem Ruf an die Berliner Charité. Hier bleibt er bis zu seiner Emeritierung. Vor und während des Zweiten Weltkriegs ist Sauerbruchs Haltung gegenüber dem NS-Regime jedoch umstritten und nicht eindeutig. Er tritt zwar der NSDAP nie bei, zeigt sich in der Öffentlichkeit zunächst jedoch als Unterstützer des Regimes. 1933 unterzeichnet der Chirurg das „Bekenntnis der Professoren zu Adolf Hitler“. In einer Rundfunkrede betont er, das „ganze Volk“ stehe „eisenstark“ hinter der Regierung. Auf einem Reichsparteitag der NSDAP erhält Sauerbruch den von Hitler gestifteten Deutschen Nationalpreis für Kunst und Wissenschaft.
Ab 1937 ist der Chirurg Fachspartenleiter im Reichsforschungsrat und genehmigt auch Forschungsanträge, die später mit Menschenversuchen in Konzentrationslagern in Verbindung stehen. Es ist umstritten, ob Sauerbruch zum Zeitpunkt der Unterzeichnung den tatsächlichen Umfang der Anträge kannte. Erst 1943 erfährt er bei einem Vortrag auf einer Tagung von den Menschenversuchen zweier SS-Ärzte, die er unter dem Vorwand der Kriegsnotwendigkeit jedoch kritiklos hinnimmt.
Ein heimlicher Gegner?
Tagebuchaufzeichnungen des französischen Arztes Adolphe Jung zeichnen jedoch auch noch ein anderes Bild von Sauerbruch: Der Chirurg unterstützt jüdische Ärzte und Patienten und scheint sogar Teil eines antinazistischen Netzwerks an der Charité zu sein. In seinem Umfeld bewegen sich Spione, Widerstandskämpfer und Mitverschwörer des Attentats auf Adolf Hitler am 20. Juli 1944, darunter sein eigener Sohn Peter. Nach dem gescheiterten Umsturzversuch wird Sauerbruch verhört, aber nicht belangt. Bis zur Kapitulation 1945 operiert der Chirurg Verletzte.
An seinem Lebensabend erkrankt Sauerbruch an Demenz. Dennoch ist er bis zu seinem Tod als beratender – und behandelnder – Chirurg in einer Privatklinik tätig. Am 2. Juli 1951, nur einen Tag vor seinem 76. Geburtstag, stirbt Ferdinand Sauerbruch in einem Berliner Krankenhaus infolge eines Schlaganfalls.