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Josquin Desprez: Messen Pange lingua und Da pacem

Wo entstand die Musik der Renaissance?

In Burgund und Norditalien. Durch das Mäzenatentum burgundischer Herzöge und italienischer Fürsten kam diesen Regionen eine Vorreiterrolle zu. Den geistigen Nährboden für den Wandel in Musik, bildender Kunst und Literatur im 15. Jahrhundert bildeten humanistisches Gedankengut, Rückbesinnung auf den antiken Proportionenkanon und Stärkung der künstlerischen Identität. Es waren Komponisten aus Nordfrankreich und den Niederlanden, deren »franko-flämische Musik« neue Wege beschritt. Zu ihnen zählte Josquin Desprez mit seinen beiden Messen »Pange lingua« und »Da pacem«.

Auf welche Melodie baut die »Pange lingua«?

Auf den Hymnus des Fronleichnamsfestes: Alle Teile der Messe werden durch die gleiche Melodie eröffnet, die jedoch sofort in ihre motivischen Bestandteile zerlegt und bearbeitet wird. Verlängerungen (Augmentation) und Verkürzungen (Diminution) der Notenwerte, spiegelbildliche Umkehrungen und vorlagenfreie Passagen lassen im mehrstimmigen Satz nur ansatzweise die originale Gestalt des gregorianischen Chorals erkennen. Charakteristisch für Josquins kompositorische Vorgehensweise ist das konsequente Bemühen um eine klare, übersichtliche Gliederung, in der alle Abschnitte in ein harmonisches Verhältnis zueinander gesetzt werden. Hierin spiegelt sich, ähnlich wie in der bildenden Kunst, unverkennbar die antike Proportionenlehre wider, die auch in der Musiktheorie der Zeit eminente Bedeutung gewann.

Neben dem harmonischen Aufbau der Sätze hat Josquin Desprez in der Missa »Pange lingua« erstmals das Prinzip der vollständigen Durchimitation eingeführt. Dies bedeutet, dass das motivische Material auf alle Stimmen verteilt und in gleichem Ausmaß variiert wird. Als bahnbrechende, die gesamte Musik des 16. Jahrhunderts prägende Technik kommt hier die »paarige Imitation« zum Einsatz, das heißt, zwei Stimmen werden paarweise zusammengefasst und durch ein zweites Paar wörtlich imitiert. Hieraus rührt jene außerordentliche kompositorische Dichte und Einheit, die bereits von Josquins Zeitgenossen gerühmt wurde.

Was haben die Messen »Pange lingua« und »Da pacem« gemeinsam?

Die Satzstruktur, denn der Aufbau der Sätze in der vermutlich parallel zur »Pange lingua« entstandenen Messe »Da pacem« entspricht weitestgehend der »Pange lingua«. Nur in der Erhöhung der Stimmenzahl von vier auf sechs beim dritten Agnus Dei, als krönendem, klanglich aufwendigem Abschluss ,unterscheidet sie sich von ihrem Schwesterwerk. Josquin Desprez greift in dieser Messe auf die gregorianische Weise »Da pacem Domine« zurück.

Beide Messen Josquins sind für die Entwicklung der Ordinariums-Vertonung von zentraler Bedeutung. Insbesondere die Missa »Pange lingua« war eine der verbreitetsten Kompositionen der Zeit. Ausgeglichenheit des Vokalsatzes, klangliche Schönheit und ebenmäßiges Verhältnis von Wort und Ton kennzeichnen sie; sie erklären, warum Josquin mit Michelangelo verglichen wurde. Martin Luther, der Josquin als höchste kompositorische Instanz verehrte, sagte: »Die andern haben's machen müssen, wie die Noten wollten. Bei ihm mussten die Noten, wie er wollte.«

Wussten Sie, dass …

Martin Luther wie schon Desprez vor ihm auf das gregorianische »Da pacem Domine« zurückgriff und daraus das Lied »Verleih uns Frieden gnädiglich« formte?

Kardinal Ascanio Sforza aus der machtgierigen und kunstsinnigen Herrscherfamilie der Sforza entscheidenden Einfluss bei der Papstwahl hatte und Desprez deshalb in die päpstliche Sängerkapelle berufen wurde?

sich Deprez im Chanson »Guillaume se va chauffer« angeblich über das mangelnde Talent des französischen Königs Ludwig XII. lustig machte, der den Wunsch geäußert hatte, gemeinsam mit ihm zu singen? Die Tenorstimme umfasst nur eine Note, die während des ganzen Stücks gehalten wird.

Was waren die entscheidenden Stationen im Leben von Josquin Desprez?

Der bekannteste musikalische Neuerer der Frührenaissance, Josquin Desprez, wurde um das Jahr 1440 geboren. Aus Cambrai in der Picardie stammend, gelangte er, wie zuvor Guillaume Dufay (um 1400–1470) und sein mutmaßlicher Lehrer Johannes Ockeghem (um 1420–1495), als Kapellsänger unter anderem an die Höfe der einflussreichen Sforza in Mailand, des Papstes in Rom und der mächtigen Este in Ferrara. Die letzten Jahre seines Lebens bis zu seinem Tod im Jahr 1521 verbrachte er in seiner Heimat, wo er in Condé eine Stelle als Dompropst innehatte. In dieser Zeit dürften die beiden reifen Messen »Pange lingua« und »Da pacem« entstanden sein, die wesentlich zum Ruhm Josquins beitrugen.

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