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Da ist der Sprach-Wurm drin: „Mitesser“

Das medizinische Wissen in Europa schöpfte bis ins 19. Jahrhundert aus allerlei Aberglauben und Scharlatanerie. So gab es Ärzte, die behaupteten, an vielen Krankheiten seien Würmer und anderes Krabbelgetier schuld, weshalb die Doctores als Gegenmittel Krötengalle oder Vogelmist empfahlen - Naturprodukte von natürlichen Wurmfeinden. Über dilettantische Augenoperateure, die den grauen Star zu heilen vorgaben, ist bekannt, dass sie den Augapfel mit einer Nadel durchstachen (was ohne Narkose höllisch geschmerzt haben muss) und hernach dem staunenden Publikum ein unschuldiges Würmchen als angeblichen Übeltäter präsentierten - die großen Barockkomponisten Johann Sebastian Bach und Georg Friedrich Händel fielen einem solchen Gaukler in die Hände. Das Augenlicht gewann keiner der beiden wieder.

Von verstopften Talgdrüsen, die sich als schwarze oder gelbbraune Knötchen bilden und beim Ausdrücken einen wurmförmigen Propf aus Talg und Oberhautzellen freigeben, glaubte man entsprechend lange Zeit, sie würden durch Würmer verursacht, die sich wie Egel am menschlichen Leib festsaugen, unter der Haut einnisten und von Körpersekreten leben. Diese nur in der Einbildung existierenden »Schmarotzer« nannte man Zehrwürmer, Dürrmaden oder auf Lateinisch »Comedones« (von comedere = essen, verzehren).

Daraus entstand als Lehnübersetzung der Begriff Mitesser, der erstmals 1691 im Lexikon »Der teutschen Sprache Stammbaum oder Teutscher Sprachschatz« des Sprachforschers Kaspar Stieler erscheint. Noch in der Fachliteratur um 1800 ist der Unsinn von den Würmern nachzulesen. Und wenn das Missverständnis auch medizinisch inzwischen korrigiert worden ist, so hat es sich sprachlich hartnäckig gehalten: Noch heute spricht der Hautarzt von »Komedonen« und alle Welt von »Mitessern«. Wo der Sprach-Wurm erst einmal drin ist, lässt er sich offenbar nur schwer entfernen.

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