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Stundenbuch des Duc de Berry: Sternstunde der Buchillumination

Welche Bedeutung hatte die Buchmalerei im 14. Jahrhundert?

Die Handschriften aus dem 14. Jahrhundert sind vielfach mit kostbaren Miniaturen geschmückt. Die Buchmalerei war damals sehr beliebt. In Paris gab es so viele Illuminatoren– als Illuminationen bezeichnete man die farbigen Verzierungen und Bilder in Büchern –, dass sie sich in Handwerkergilden zusammenschlossen. Das berühmteste illuminierte Stundenbuch ist das von den Brüdern von Limburg gefertigte »Les très riches heures« (Die sehr reichen Stunden). Es wurde von dem wohlhabenden Herzog Jean de Berry (1340–1416) in Auftrag gegeben.

Was ist ein Stundenbuch?

Die Bezeichnung ist abgeleitet von den Gebeten und Liedern, die zu bestimmten Stunden des Tages gelesen wurden. Diese »Horen« (von lateinisch hora, die Stunde) bilden den eigentlichen Schwerpunkt eines Stundenbuchs. Ein Stundenbuch ist ein Gebetbuch zum persönlichen Gebrauch von Laien. Die Horen wurden meist ergänzt durch ein Kalendarium, Auszüge aus den Evangelien sowie Gebete und Andachtsübungen für einzelne Wochentage. Daneben findet man in Stundenbüchern auch Litaneien, Bußpredigten und religiöse Texte zu bestimmten Kirchenfesten.

War der Auftraggeber Berry ein Kunstkenner?

Ja, Jean de Berry, dritter Sohn von Johannes dem Guten, König von Frankreich, gilt sogar als einer der größten Kunstmäzene seiner Zeit. Er interessierte sich für das künstlerische Erbe seiner Vorfahren und ließ in seinem Herrschaftsgebiet alte Gebäude wie Schlösser und Kirchen restaurieren. Als Sammler beschäftigte er sich mit Preziosen, aber auch mit der Natur. In seinen Parks hielt er exotische Tiere wie Strauße und Dromedare. Die besondere Liebe des Herzogs galt aber der Buchkunst und er beschäftigte die besten Buchmaler seiner Zeit. Bei seinem Tod umfasste seine Bibliothek fast 300 kostbare illuminierte Handschriften.

Warum ist das Stundenbuch des Duc de Berry einzigartig?

Die genaue Naturbeobachtung im Stundenbuch des Herzogs von Berry gilt als absolut innovativ. Besonders herausragend sind die Monatsbilder in »Les très riches heures«: Sie stellen einen wirklichen Meilenstein in der europäischen Malerei dar, denn erstmals wurden Landschaften und Bauten wirklichkeitsnah dargestellt. Eine weitere Neuheit ist die Genauigkeit, mit der Szenen des Lernens und Studierens und der Wissenschaft dargestellt werden. In diesen Bildern spiegeln sich auch die persönlichen Interessen des Herzogs wider.

Die Malweise der Brüder von Limburg, sehr empfänglich für die französische Tradition der stilisierenden Zeichnung, deutet auf niederländische Schulung hin, weist aber auch Einflüsse aus Italien auf.

Wie ist »Les très riches heures« aufgebaut?

Das Kalendarium, mit dem das Stundenbuch beginnt, enthält farbenprächtige Miniaturen zu den zwölf Monaten mit für die Jahreszeit typischen Bildmotiven aus dem Umfeld des Herzogs. Darüber erhebt sich jeweils eine halbkreisförmige astrologische Darstellung, begleitet von einem Kalenderblatt. Im Hintergrund vieler Monatsbilder sind Schlösser des Herzogs auszumachen: Lusignan (März), Poitiers (Juli) oder sein Geburtsschloss Vincennes (Dezember).

Charakteristisch für die Kunst der Zeit ist das in lebhaften Szenen versteckte Selbstbildnis des Künstlers. Möglicherweise hat sich Paul von Limburg im Januarbild des Stundenbuchs verewigt, als Mann mit eckigem Gesicht und eigenwilliger Mütze, der in der Menge derer steht, die darauf warten, vom Herzog mit Neujahrsgeschenken bedacht zu werden.

Ändert sich nach dem Tod der Limburgs der Stil?

Ja. Nach dem Tod des Herzogs und der Brüder von Limburg – alle vier starben 1416, vermutlich an der Pest – wurde das Stundenbuch eine Generation später von dem Buchmaler Jean Colombe in abweichendem Stil fortgesetzt. Sein Blatt »Das Fegefeuer«, das die für den Montag vorgesehene Seelenmesse illustriert, weist hohe künstlerische Originalität auf: Die reuigen Seelen werden vom Feuerstrom des Purgatoriums weggerissen, darüber eine Formation goldener Engel, die sie zum Himmel tragen. Doch die Darstellung lässt die formale Eleganz der Limburgs vermissen. Deren thematisch vergleichbare Illumination der »Hölle« ist ikonografisch weniger ausgefallen, dafür in Komposition und Farbgebung erstrangig.

Wer waren die Brüder Limburg?

Die Brüder Paul (Pol), Herman(t) und J(e)an von Limburg waren Söhne eines Bildschnitzers und stammten aus dem niederländischen Nimwegen. Während Herman und Jan eine Goldschmiedlehre absolvierten, ist über die Ausbildung Pauls, des Begabtesten der Brüder, nichts bekannt. Die Brüder waren als Buch- und Tafelmaler tätig und hatten für den Herzog von Berry bereits das Stundenbuch »Les belles heures« illuminiert. Es gefiel ganz offensichtlich, denn gleich nach Fertigstellung folgte 1413 der nächste Auftrag zu einem noch prächtigeren Werk, »Les très riches heures«, an dem die Künstler bis zu ihrem Tod arbeiteten. Sie wurden vom Herzog nobel honoriert und zu Mitgliedern seiner Hofhaltung gemacht.

Wussten Sie, dass …

Jean de Berry als Sohn, Bruder und Onkel französischer Könige auch in der Politik mitmischte?

das Stundenbuch auch Humoristisches enthält? So findet sich ein Bär, der auf einer Schubkarre sitzt und Dudelsack spielt, oder ein Pfarrer, der mit einer Leiter auf Vogeljagd geht.

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