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Das Fresko der Trinität von Masaccio: Kunst und Wissenschaft
Was hat Masaccios Fresko mit Wissenschaft zu tun?
Masaccios berühmtes Trinitätsfresko in Florenz gilt in der Kunstgeschichte als erstes Werk der Malkunst, das nach den wissenschaftlichen Prinzipien der Zentralperspektive konstruiert wurde.
Hat Masaccio die Zentralperspektive entdeckt?
Nein, entdeckt und dokumentiert hat die Idee von der Zentralperspektive Filippo Brunelleschi, einer der wichtigsten Architekten der Florentiner Frührenaissance. Um 1420 präsentierte er in einer öffentlichen Demonstration die Ergebnisse seiner bahnbrechenden optischen und geometrischen Untersuchungen. Er stellte sich in die Mitte des Portals des Florentiner Domes und blickte zum gegenüberliegenden Baptisterium. Vor sich baute er einen Bildrahmen auf, der mit einem Raster aus Fäden versehen war. Den »Inhalt« dieses Rasters – die Ansicht des Baptisteriums – übertrug er daraufhin in eine Zeichnung, die ebenfalls mit diesem maßstabsgerechten Raster versehen war. Mathematisch für jedermann nachvollziehbar, konnte er so die Prinzipien der so genannten Zentralperspektive beweisen: Alle in die Tiefe weisenden Bildlinien laufen auf einen gemeinsamen Fluchtpunkt hinaus, der ungefähr auf der Augenhöhe des Betrachters liegt. Die Entdeckung des jungen Architekten Filippo Brunelleschi sollte Wissenschaft und Kunst des 16. Jahrhunderts zu einer enormen Innovationskraft verhelfen. Masaccio war der erste Maler, der diese Prinzipien des menschlichen Sehens in ein gemaltes Bild übertrug. Das großformatige Fresko mit der Darstellung der Trinität – der Dreieinigkeit Gottvater, Sohn und Heiliger Geist – in der Florentiner Kirche Santa Maria Novella entstand um 1427.
Wie ist Masaccios Perspektiv-Fresko konstruiert?
Ein wichtiges Instrument der Perspektive sind architektonische Elemente. Der Blick des Betrachters fällt in eine gemalte, beinahe sieben Meter hohe Nischenarchitektur, die von einer Sockelzone, flankierenden Säulen und Pilastern sowie oben von einem Arkadenbogen mit Architrav gebildet wird – architektonische »Versatzstücke« also, wie sie in der Baukunst von Florenz damals eingesetzt wurden. Die Darstellung wird von der mächtigen Gestalt Gottvaters beherrscht, der das vor ihm platzierte Kreuz Christi hält. Unter dem Kruzifix stehen Maria und der Apostel Johannes, vor dieser Szenerie kniet rechts und links das Stifterpaar.
Wie entstand das Fresko der Trinität?
Zunächst erstellte Masaccio auf dem rohen Putz eine erste ungenaue Vorzeichnung der geplanten Gesamtkomposition und deren wichtigsten perspektivischen Linien. Dabei kam es besonders darauf an, die präzise Übertragung der Fluchtlinien zur Bestimmung der optischen Korrektheit von der ersten Vorzeichnung auf den endgültigen Kalkputz zu gewährleisten. Um dieses Ziel zu erreichen, brachte der Künstler an der Stelle des zentralen Fluchtpunktes unterhalb des Kreuzes einen Nagel an. Von diesem aus spannte er dann Fäden, deren Linien er in der Folge auf den nassen Feinputz übertrug. Diese Einzeichnungen mussten bei der anschließenden Ausführung des Freskos mit frischem Feinputz zugedeckt werden.
Wurde die Zentralperspektive in der Kunst zum Standard?
Nach Masaccio war das der Fall. Das Übertragen der korrekten Perspektive eines gesehenen Bildes in ein gezeichnetes oder gemaltes Abbild – von Brunelleschi in der öffentlichen Präsentation bewiesen – wurde zum Rüstzeug eines jeden jungen Künstlers. Albrecht Dürer erfand gar eine Vorrichtung zum Erlernen der Perspektive, die in die Natur oder zum Modell mitgenommen werden konnte.
Welche Botschaft enthält das Fresko?
Das Werk birgt eine auf den zeitgenössischen Betrachter ausgerichtete Mahnung. Die göttliche Szene ist in den sich nach hinten öffnenden »virtuellen« Bildraum gesetzt, der das »Jenseits« repräsentiert. Die beiden Stifter davor sind dagegen im Diesseits angesiedelt: Als lebende, konkrete Personen lassen sie sich – zusammen mit dem Betrachter – der aktuellen Realität zuordnen. Die Darstellung in der Sockelzone erklärt dies drastisch: Man sieht ein menschliches Skelett, das auf einem Sarkophag ruht. Die darüber befindliche Inschrift wendet sich direkt an den Betrachter und verknüpft noch einmal das gegenwärtige Diesseits mit dem zukünftigen Jenseits: »Ich war, was du bist, was ich bin, wirst du sein«.
War Masaccio ein »Koloss«?
Sein Name – Masaccio ist ein Spitzname und bedeutet so viel wie »riesiger Thomas« – deutet darauf hin. Unabhängig von seiner Statur war Tommaso Cassai, geb. am 21. Dezember 1401 in San Giovanni Valdarno, auf jeden Fall ein Koloss seines Fachs, der die Malerei der Renaissance nachhaltig prägte und beeinflusste.
In die Lehre ging Masaccio bei Masolino da Panicale. Gemeinsam mit seinem Lehrer schuf Masaccio seit 1424 in der Brancacci-Kapelle von Santa Maria del Carmine in Florenz eine in Perspektive und Farbe besonders ausdrucksstarke Vita des Apostels Petrus. 1428 folgte er seinem Meister nach Rom, wohin dieser vom Papst berufen worden war. Wieder arbeiteten die beiden Männer an einem umfangreichen Freskenzyklus, in der Kirche San Clemente, als Masaccio unter ungeklärten Umständen – mit nur 27 Jahren – starb. Vermutlich erlag er der Pest. In seinem kurzen Leben schuf Masaccio ein bleibendes Werk.
Wussten Sie, dass …
Masaccio mit seiner Werkstatt aufgrund des relativ schnell trocknenden Putzes den morgens begonnenen Abschnitt des Freskos jeweils am selben Tag vollenden musste? Diese abschnittsweisen Arbeiten werden auch Tagwerke genannt. In präzisen Untersuchungen konnten Kunsthistoriker rekonstruieren, dass der Künstler für die Vollendung des 21 Quadratmeter großen, berühmten Freskos etwa einen Monat benötigte.

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