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Ist Kernenergie eine Lösung für die Klimakrise?

Anders als Kohle- oder Gaskraftwerke erzeugt die Atomkraft keine direkten CO2-Emissionen – sie wird daher von einigen Befürwortern als klimafreundliche Energie und möglicher Helfer im Kampf gegen den Klimawandel angeführt. Andererseits aber gibt es bis heute keine Lösung für das Endlagerproblem der radioaktiven Abfälle und die hohen Risiken der Technologie. Was also ist von der Atomkraft als Klimahelfer zu halten?
NPO / Scientists for Future, 05.11.2021

Kernkraftwerk Bugey östlich von Lyon: Frankeich ist eines der Länder, die auf Atomstrom setzen, um ihre Klimaschutzziele zu erreichen.

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Klar ist: Um den Klimawandel zu bremsen, muss die Menschheit vor allem ihre Energiegewinnung radikal umstellen. Denn Strom wird noch zu einem großen Teil aus fossilen Brennstoffen wie Kohlen, Öl oder Erdgas erzeugt und setzt dem entsprechend große Mengen an Treibhausgasen frei. Bisher jedoch wachsen alternative Formen der Stromproduktion aus erneuerbaren Energien wie Wind, Sonne, Biomasse oder Wasserkraft nur langsam. Das weckt die Frage, wie der Ausstieg aus der fossilen Stromerzeugung klappen soll, ohne dass der Strom knapp und teuer wird.

Bringt die Klimakrise eine Renaissance der Atomkraft?

An diesem Punkt kommt die Atomkraft ins Spiel: Vor allem Länder wie Frankreich und Japan, die traditionell einen größeren Anteil ihres Strombedarfs über die Kernenergie decken, sehen Atomkraftwerke als klimafreundliche Technologie, die ähnlich wie erneuerbare Energie als Klimaschutzmaßnahme angesehen und gefördert werden sollte. Frankreich fordert beispielsweise, dass der Atomstrom dementsprechend als Maßnahme zur Emissionsminderung angerechnet wird.

Ein weiterer von Atomenergie-Befürwortern angeführter Vorschlag sind besonders kleine, neue Formen von Atomkraftwerken (Small Modular Reactors). Sie produzieren meist weniger als 300 Megawatt Strom und enthalten weniger Kernbrennstoff als normalgroße Meiler. Im Gegensatz zu diesen sollen diese Kernkraftwerke der neuen Generation daher deutlich sicherer sein. Doch kann eine Renaissance der Atomkraft wirklich das Klimaproblem lösen? Und welche Probleme handeln wir uns dann stattdessen ein? Das haben nun Kernkraft-Experten der Organisation Scientists für Future in einer Studie näher untersucht.

Atomstrom ist teuer

Das erste Problem: Die Atomkraft ist teurer als man denkt. "Die kommerzielle Kernenergieerzeugung war von Anfang an, das heißt schon in den 1950er Jahren, teurer als andere Technologien", erklären Studienleiter Ben Wealer und sein Team. "Kernenergie war wirtschaftlich nie konkurrenzfähig und hat im Energiemarkt nur durch massive staatliche Finanzierung überlebt. Schon heute ist die Stromerzeugung aus Erneuerbaren Energien kostengünstiger als durch fossile und nukleare Technologien.“ Und in diesen Kosten für die Atomkraft ist der Aufwand für den Rückbau und die Endlagerung der Abfälle noch nicht einmal mit eingerechnet.

Noch teurer würde es, wenn man beim Atomstrom auf neuartige Kleinreaktoren setzt. Denn bei diesen Anlagen sind Bau- und Betriebskosten pro Einheit erzeugten Stroms noch höher als bei großen Atomkraftwerken – der Atomstrom aus solchen Meilern wäre damit demnach noch teurer. Beim chinesische Versuchsreaktor CEFR lagen die Kosten Schätzungen zufolge bei mehr als 19.000 US-Dollar pro Kilowatt Strom, beim russischen Reaktor auf dem Schiff „Akademik Lomonossov" liegen die Kosten bei 10.000 bis 14.000 US-Dollar pro Kilowatt.

Schön gelegen, aber teuer: Nach Berechnungen im Auftrag von Greenpeace Energy könnte sich die Subventionen für das im Bau befindliche Kraftwerk Hinkley Point C über mehrere Jahrzehnte auf mehr als 100 Mrd. Euro summieren.

GettyImages, acceleratorhams

Unflexibel und nicht klimasicher

Die Stromerzeugung durch Atomkraft ist zudem relativ unflexibel. Die Meiler sind vor allem dafür ausgelegt, die Grundlast abzudecken – den Strombedarf, der unabhängig von Verbrauchspitzen besteht. Doch je mehr Strom aus erneuerbaren Energien wie Wind und Sonne ins Netz eingespeist wird, desto flexibler und schneller müssen alle Komponenten des Systems reagieren können: Weht der Wind stetig und die Sonne scheint, ist genug Strom da und die Atomkraftwerke werden nicht gebraucht. Zudem wäre dann der Strom so günstig, dass sich der teure Atomstrom nicht rentiert. In Zeiten, in denen Sonne und Wind wenig Strom erzeugen, muss hingegen schnell Ausgleich geschaffen werden – zu schnell für die meisten Atommeiler.

Ein weiteres Problem ist der Klimawandel: Die Folgen der globalen Erwärmung treffen auch die Atomkraftwerke und vor allem die für sie nötige Kühlung. Schon im Sommer 2018 waren die Pegel vieler Flüsse durch die anhaltende Trockenheit so weit gesunken, dass viele Kraftwerke – sowohl nukleare wie konventionelle – abgeschaltet werden mussten oder nur auf Halblast fuhren. In Zukunft könnten heiße und trockene Sommer jedoch auch bei uns immer häufiger werden.

Schwieriger als gedacht: Im finnischen Olkiluoto wird seit 2005 an einem Druckwasserreaktor der dritten Generation gebaut.

GettyImages, Olkiluoto

Lange Bauzeiten und ungetestete Technologien

Ein weiterer Punkt: Wenn künftig Atomstrom aus Kleinreaktoren kommen soll, müssen diese erst einmal genehmigt und gebaut werden. Doch bisher sind die meisten Konzepte für solche Small Modular Reactors noch weit von einer Umsetzung entfernt: "In den kommenden zwei bis drei Jahrzehnten ist nicht mit einem kommerziellen Einsatz zu rechnen", sagen Wealer und seine Kollegen.

Setzt man auf atomare Kleinreaktoren, würde man außerdem erhebliche Mengen davon benötigen: "Aktuell diskutierte SMR-Konzepte sehen eine geplante elektrische Leistung von 1,5 bis 300 Megawatt vor. Dies bedeutet, dass alleine zum Ersatz des aktuellen Kraftwerksparks mehrere tausend SMR-Anlagen gebaut werden müssten", so die Experten. Damit stellt sich allerdings die Frage, wer einen solchen Atommeiler vor seiner Haustür haben möchte.

Und selbst normale Kernkraftwerke benötigen Jahrzehnte für Planung und Bau, bevor sie in Betrieb gehen. Um die anvisierten Klimaschutzziele zu erreichen, müsste man sie bisherige Kapazität der atomaren Stromerzeugung aber weltweit um ein Vielfaches erhöhen. "Berücksichtigt man, dass bis 2030 – unter der Annahme einer technischen Lebensdauer von 40 Jahren – weltweit 207 Reaktoren vom Netz genommen werden, müssten in den nächsten zehn Jahren mehr Kernkraftwerke gebaut werden, als aktuell überhaupt am Netz sind", sagen Wealer und seine Kollegen.

Atomunfälle und ungelöste Endlager-Probleme

Dazu kommen die ohnehin schon bekannten Risiken und Probleme der Atomenergie: Die Atomkraft ist schon im Betrieb der Meiler mit enorme Risiken verbunden – das demonstrieren nicht zuletzt Katastrophen wie Tschernobyl und Fukushima. „In jeder Dekade seit den 1970er Jahren gab es schwere Unfälle und eine Vielzahl kleinerer Zwischenfälle", erklärt Wealer. "Kernkraft ist derart risikobehaftet, dass Kernkraftwerke nirgendwo versichert werden können.“ Die Schäden bei einem Großunfall sind so hoch, dass die erforderlichen Versicherungsbeiträge faktisch unbezahlbar wären. Die Folgen von Atomunfällen tragen daher zum großen Teil die Steuerzahler.

Klar ist auch: Das Problem der Atomkraft fängt nach dem Betrieb der Kraftwerke und dem Ausbrennen des Kernbrennstoffs erst richtig an. Bis heute gibt es nirgendwo auf der Welt ein Endlager für hochradioaktiven Atommüll, auch in Deutschland läuft der Auswahlprozess für einen geeigneten Standort noch. Weil der radioaktive Abfall noch Millionen Jahre lang strahlt, muss sichergestellt sein, dass kommende Generationen vor den Folgen von Lecks, Unfällen und Strahlenaustritten geschützt bleiben. Das aber kann bisher keine Technologie und keine geologische Formation garantieren.

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