wissen.de Artikel
James-Webb-Weltraumteleskop - Mission der Superlative
Wenn es um tiefe Blicke ins ferne Weltall geht und um spektakuläre Aufnahmen kosmischer Phänomene, dann ist das Hubble-Weltraumteleskop bisher das Maß aller Dinge. Seit mehr als 30 Jahren liefern seine Aufnahmen entscheidende Daten für die astronomische und astrophysikalischen Forschung. Doch allmählich kommt dieses „Auge im All“ in Jahre und Ausfälle häufen sich.
Teleskop im Riesenmaßstab
Deshalb soll nun das James-Webb-Weltraumteleskop (JWST) zumindest einige Aufgaben des alternden Hubble-Teleskops übernehmen. „Der Neue“ im All ist in vieler Hinsicht größer und moderner als sein dienstälterer Kollege. Während Hubble etwa das Format eines Lastwagens hat, hat das JWST die Ausmaße eines Flugzeugs vom Typ 737: Es ist ein Koloss von 22 Meter Länge und zwölf Meter Breite.
Noch viel wichtiger aber ist das, was den Wert dieses Teleskops ausmacht: sein Hauptspiegel. Mit einem Durchmesser von 6,50 Meter ist er fast dreimal so groß wie Hubbles 2,40-Meter-Spiegel. Noch nie zuvor wurde ein so großer Spiegel in den Weltraum gebracht. Dadurch hat das Webb-Teleskop eine deutlich bessere Lichtausbeute und Auflösung. Weil für die Konstruktion der 18 sechseckigen Spiegelsegmente das leichte Metall Beryllium als Trägermaterial verwendet wurde, ist der Primärspiegel des Webb-Teleskops trotz seiner größeren Fläche sogar leichter als der von Hubble: Er wiegt 705 statt 825 Kilogramm.
Weitblick im Infrarotbereich
Die große Spiegelfläche und sensiblen Optiken des neuen Teleskops ermöglichen es Astronomen, weiter als bisher ins All hinauszublicken – und damit auch weiter zurück in die kosmische Vergangenheit. „Mit Webb wollen wir erstmals Galaxien aus der Zeit direkt nach dem Urknall erkunden“, erklärt Steven Finkelstein von University of Texas. „Das war bisher mit keinem anderen Teleskop möglich.“ Das Webb-Teleskop soll zeigen, wann die ersten Sterne und Galaxien entstanden und wie sie beschaffen waren.
Anders als Hubble "sieht" das James-Webb-Teleskop aber den Kosmos nicht im sichtbaren und UV-Beriech, sondern deckt vorwiegend den Infrarotbereich ab. Dadurch kann das neue Teleskop auch sehr ferne Objekte sehen, deren sichtbares Licht durch die Ausdehnung des Weltalls in den langwelligeren Infrarotbereich verschoben wurde. Die Infrarotoptiken des Teleskops sind dabei sensitiv, dass sie von der Erde aus noch die Wärme einer einzelnen Hummel auf dem Mond sehen könnten.
Weil die optischen Instrumente des Teleskops das Licht auch in seine einzelnen Wellenanteile zerlegen können, kann es der Astronomie auch neue Einblicke in die Zusammensetzung von Sternen, Galaxien und sogar extrasolaren Planeten verschaffen. Erstmals könnte es so möglich sein, beispielsweise nach chemischen Signaturen außerirdischen Lebens auf fremden Welten zu suchen.
Ultrakalt und abgeschirmt
Doch damit das Webb-Teleskop solche teilweise schwachen Infrarotsignaturen einfangen kann, müssen Spiegel und restliche Optiken extrem stark abgekühlt werden – bis auf maximal minus 218 Grad. Nur so lässt sich verhindern, dass die Wärmeabstrahlung der Teleskopmaterialien die feinen Signale im Grundrauschen untergehen lässt. Weil der Spiegel zu groß und exponiert für eine aktive Kühlung beispielsweise mit flüssigem Helium ist, nutzt man die Kälte des Weltraums dafür.
Allerdings funktioniert dies nur, wenn die Optiken komplett von der Sonneneinstrahlung und jeder anderen Wärmequelle abgeschirmt sind. Selbst die Abstrahlung der Erde könnte die schwachen Infrarotsignale aus dem fernen All im Wärmerauschen untergehen lassen. Das ist auch der Grund dafür, dass das James-Webb-Teleskop nicht in der Erdumlaufbahn kreist, sondern am Lagrangepunkt 2, einer 1,5 Millionen Kilometer von uns entfernten Stelle im All.
Dort sorgt das Gleichgewicht der Anziehungskräfte von Sonne und Erde dafür, dass Raumsonden stabil und ohne großen Energieaufwand in einer Umlaufbahn kreisen können. Gleichzeitig kommt das Sonnenlicht dort immer aus der gleichen Richtung, Deshalb genügt ein einziger Schutzschild, um die thermische Strahlung von den Spiegeln fernzuhalten. Beim Webb-Teleskop ist dieser Sonnenschutzschild so groß wie ein Tennisplatz und besteht aus fünf hauchdünnen Isoliermembranen.
Origami im All
Wie bringt man einen tennisplatzgroßen Sonnenschild und ein 25 Quadratmeter großen Spiegel in der eher engen Kapsel einer Trägerrakete unter? Das geht nur, wenn alle Bauteile möglichst klein zusammengefaltet und dicht an dicht gepackt sind. Alle größeren Komponenten des Teleskops sind daher für den Start mit der Ariane-5-Rakete zusammengefaltet und zerlegt wie ein komplexes Origami-Faltkunstwerk. Und all das, was auf der Erde so sorgsam eingepackt wurde, muss sich dann im Weltraum automatisiert und mit der Präzision eines Uhrwerks zur genau richtigen Zeit wieder entfalten.
Eine ganze Armada von Hebeln, Bolzen, Motoren, Zahnrädern und Kabeln muss dafür perfekt ineinandergreifen. Fällt nur ein Teil aus, ist die gesamte Mission gefährdet. "Das Webb-Observatorium muss 50 als entscheidend eingestufte Entfaltungsschritte absolvieren und hat 178 Mechanismen, die dies leisten müssen. Jeder Einzelne von ihnen muss funktionieren“, sagt Mike Menzel, leitender NASA-Ingenieur der Mission. „Das Webb-Teleskop zu entfalten, ist mit Abstand das Komplizierteste, das je ein Raumfahrzeug im All durchführen musste.“
29 Tage des Bangens
Für das gesamte am Webb-Teleskops beteiligte Team und viele Astronomen bedeutet dies fast einen Monate des Bangens und Hoffens. Denn schon eine halbe Stunde nach dem für den 24. Dezember terminierten Start beginnt die automatisierte und hochkomplexe Entfaltungssequenz, die sich dann über 29 Tage hinziehen wird. Dafür noch am ersten Tag die Sonnensegel und die Hauptantenne des Teleskops aus. Dann folgt zehn Tage lang das langsame Entpacken des Sonnenschutzschilds. Erst wenn dieses funktioniert, können die optischen Komponenten samt Spiegel genügend auskühlen, um dann ihrerseits aufgeklappt und justiert zu werden.
All diese Aktionen finden statt, noch während das James-Webb-Teleskop zu seinem Einsatzort unterwegs ist. Erst am 29. Tag erreicht die Sonde das Zielgebiet und wird dort in einen Orbit um den Lagrangepunkt einschwenken. Gelingt auch das wie geplant, stehen die Chancen gut, dass das größte und komplexeste jemals ins All gebrachte Weltraumteleskop seine Arbeit aufnehmen kann.
Vorsichtiges Aufatmen bei der NASA
Den ersten und wichtigsten Teil der Entfaltung hat das James-Webb-Teleskop jetzt erfolgreich absolviert: Nachdem das Observatorium die Triebwerke gezündet und Kurs auf sein Ziel genommen hatte, folgte das Ausklappen und Ausfahren des fünfschichtigen Sonnenschilds und seiner Haltestreben. Dafür rollte zunächst die Abdeckplane des Ensembles zurück, dann begann das Deployment-Team der NASA am Silvestertag, zunächst die beiden Mittelstreben des Schilds auszufahren.
Diese Streben dien dazu, die die Membranen in ihre Rautenform zu ziehen. Damit dies jedoch geschehen konnte, mussten zunächst 107 Haltebolzen vollständig und in der richtigen Abfolge gelöst werden – klemmte nur ein Bolzen, drohte das Entfalten zu scheitern. Doch alles ging gut: Alle 107 Bolzen und Aktuatoren funktionierten wie geplant und der Sonnenschild wurde mithilfe zweier Motoren seitlich ausgefahren. Am Neujahrstag erreichte der Schutzschild dann seine volle Breite von gut 14 Metern.
Pause für Messungen
„Bisher sind die großen Entfaltungsschritte, die wir durchgeführt haben, so reibungslos abgelaufen, wie man es sich nur wünschen kann“, sagt Mike Menzel, leitender Ingenieur des Deployment-Teams. Die Chancen stehen damit gut, dass das James-Webb-Teleskop den kühlenden Schatten bekommt, den seine sensiblen Instrumente benötigen. Denn erst wenn der Sonnenschild voll funktionsfähig ist und die optische Seite des Teleskops von der Wärmestrahlung der Sonne und Erde abschirmt, können auch die Spiegel ausgeklappt werden.
„Aber bevor wir nun weitermachen, wollen wir uns die Zeit nehmen, um alles über das Verhalten des Teleskops unter Weltraumbedingungen zu lernen“, erklärt Menzel. Denn alle Schritte des komplexen Prozesses und jedes Bauteil wurden zwar vor dem Start in Kältekammern und unter Vakuumbedingungen getestet. „Wir haben aber erst eine Woche Zeit gehabt, um festzustellen, wie sich das Teleskop im All verhält“, so der NASA-Ingenieur.
Spannen des Sonnenschilds läuft
Seit 3. Januar läuft eine weitere heikle Phase: die Spannung der fünf Schichten des Sonnenschilds. Über ein System von 90 Zugseilen werden die 0,025 bis 0,05 Millimeter dünnen Membranen nacheinander langsam gespannt, bis sie einander nicht mehr berühren. Die dadurch entstehenden Zwischenräume sind wichtig, damit die Wärme entweichen kann. Der Spannprozess beginnt mit der äußeren und größten Membran des Sonnenschilds und wird dann sukzessive für die weiteren Schichten fortgesetzt.
Bei diesem Prozess kommt es entscheidend auf das millimetergenaue Zusammenwirken der Motoren an. Das Deployment-Team auf der Erde muss daher sicherstellen, dass die Motoren auch die optimale Arbeitstemperatur haben – unter den Bedingungen des Weltraums keine leichte Aufgabe. Das vollständige Aufspannen der Membranen wird mindestens zwei Tage dauern, möglicherweise auch länger – je nachdem, wie oft der Prozess unterbrochen werden muss.
In welchem Stadium das James-Webb-Teleskop gerade ist und welche Schritte schon vollendet wurden, können Sie am interaktiven Deployment Explorer der NASA mitverfolgen.