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Masern - Impfflicht oder nicht?
Masern sind alles andere als eine harmlose Kinderkrankheit: Das hochansteckende Virus aus der Familie der Paramyxoviridae kann neben Hautausschlägen und Fieber auch schwere Komplikationen verursachen. Dazu gehören die Lungenentzündung und die sogenannte Meningoenzephalitis – eine Entzündung des Gehirns, die zu geistigen Behinderungen führen kann und in bis zu 20 Prozent der Fälle sogar tödlich endet.
Selbst Jahre nach der eigentlichen Infektion kann eine Masernerkrankung noch schwerwiegende Folgen haben: Vor allem bei Kindern besteht das Risiko einer akuten Gehirnentzündung (Panenzephalitis), die meist zum Tode führt. Insgesamt beziffert die Weltgesundheitsorganisation (WHO) die Todesrate bei einer Maserninfektion auf zwischen 1:1.000 und 1:2.000.
Zu wenige Kinder sind geimpft
Eigentlich sind die Erkrankung und ihre Folgen leicht vermeidbar: Gegen Masern kann man sich durch eine Impfung schützen. Die deutsche Impfkommission empfiehlt daher für alle Kleinkinder eine zweiteilige Masernimpfung. Doch aus Sorge um Nebenwirkungen und Skepsis gegenüber der Notwendigkeit lassen immer weniger Eltern ihre Kinder impfen. Auch ein längst als falsch entlarvter Hinweis auf vermehrte Autismusfälle nach einer Masernimpfung hält viele von der Vakzinierung ab.
Als Folge sind die Impfraten in einigen Gebieten und Bevölkerungsgruppen in den letzten Jahren gesunken. Laut in der vergangenen Woche veröffentlichten Daten des Robert-Koch-Instituts (RKI) aus dem Jahr 2017 haben zwar 97,1 Prozent der Schulanfänger immerhin die erste der zwei nötigen Impfdosen erhalten. Bei der zweiten Spritze liegt die Quote dagegen nur bei 92,8 Prozent – das ist zu wenig. Denn erst ab einer Impfquote von 95 Prozent stellt sich die sogenannte Herdenimmunität ein.
Verpflichtung als Lösung?
Dies bedeutet, dass neben den geimpften Personen auch jene geschützt sind, die sich nicht oder noch nicht impfen lassen können – zum Beispiel Säuglinge unter neun Monaten oder chronisch kranke Menschen. Wer seine Kinder nicht impfen lässt, gefährdet deshalb nicht nur den eigenen Nachwuchs, sondern auch andere. Dass diese Gefahr nicht zu unterschätzen ist, hat sich zuletzt immer wieder gezeigt. Allein in diesem Jahr wurden in Deutschland bereits 300 Fälle von Masern registriert.
"Die Impfquoten bei Schulanfängern sind gut, aber nicht gut genug", sagte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn dazu der Funke-Medien-Gruppe. Um dies zu ändern, denken er und einzelne Landesregierungen über eine drastische Maßnahme nach: Sie wollen die Impfung gegen Masern verpflichtend machen. Demnach könnte zum Beispiel der Zugang von Kindern zu öffentlichen Gemeinschaftseinrichtungen wie Kitas oder Schulen von dem Nachweis einer Impfung abhängig gemacht werden. Doch wäre dies überhaupt rechtens?
"Verfassungsrechtlich problematisch"
Grundsätzlich ist die Idee einer Impfflicht zwar nichts Neues. In einigen europäischen Ländern gibt es bereits mehr oder weniger flexible Impfpflichten, die sich allerdings meist auf mehrere Impfstoffe beziehen. Experten streiten jedoch darüber, ob und wenn ja unter welchen Bedingungen ähnliche Regelungen auch in Deutschland erlassen werden könnten. "Körperliche Zwangseingriffe oder die Kopplung von Schulbesuch und hinreichendem Impfstatus sind verfassungsrechtlich problematische Lösungsansätze", betont etwa Staatsrechtler Wolfram Höfling von der Universität Köln.
"Solche Sanktionen lassen die Kinder außerdem für die Entscheidungen ihrer Eltern bezahlen und verstoßen gegen die UN-Erklärung über die Rechte des Kindes", meint die Sozialwissenschaftlerin Julie Leask von der Universität Sydney. "Es gibt andere Optionen, die effektiver und nachhaltiger sein können." Doch welche?
Mehr Aufklärung, besserer Zugang
Eine Alternative zur Impfflicht könnte zum einen eine bessere Aufklärung durch öffentliche Stellen wie die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung und durch niedergelassene Ärzte sein. Werden Bürger besser über die Masernimpfung informiert, würden auch die Impfquoten steigen, sind Experten überzeugt. Denn Fehlinformationen gehören zu den wichtigsten Impfhindernissen.
Nicht immer ist es allerdings eine bewusste Ablehnung, die zum Nichtimpfen des Kindes führt. Oft sind auch praktische oder logistische Hindernisse der Grund: So wird eine anstehende Impfung mitunter schlicht vergessen oder der Gang zum Arzt als zu aufwändig empfunden. Aus diesem Grund plädieren einige Fachleute neben einer besseren Aufklärung auch dafür, Schutzimpfungen niedrigschwelliger zugänglich zu machen – zum Beispiel, indem die Spritze einfach im Kindergarten oder in der Schule angeboten wird.
Defizite auch bei Erwachsenen
Bessere Impfquoten bei Kindern allein können das Problem zumindest kurzfristig aber nicht lösen. Der Grund: Auch in der Gruppe der Erwachsenen gibt es problematische Impflücken, wie vergangene Ausbrüche gezeigt haben. Dies gilt insbesondere für die nach 1970 geborenen Generationen: "Bei diesen jungen Erwachsenen handelt es sich offensichtlich um ein Informationsdefizit – 75 Prozent der unter 50-Jährigen wissen nicht, dass sie ihren Impfstatus prüfen sollten, 61 Prozent geben an, niemand habe sie darauf hingewiesen", berichtet Cornelia Bretsch, Expertin für Gesundheitskommunikation an der Universität Erfurt.