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Die Ernährungs-Ampel: Verwirrung um den Nutri-Score

Ob Äpfel, Chips oder Cola – bei vielen Lebensmittel wissen wir, ob sie gesund sind oder nicht. Aber gerade bei Fertigprodukten ist es oft nicht so leicht zu erkennen, ob sie Kalorienbomben sind oder besonders viel Zucker oder Salz enthalten. Dabei soll der Nutri-Score eine Hilfe sein – ein Art Ampelsystem für Lebensmittel. Doch worauf bezieht er sich genau? Und warum ist der Nutri-Score so umstritten?
ABO, 29.04.2021

Den meisten Menschen ist es zu umständlich, im Laden kleingedruckte Tabellenwerke zu lesen und vergleichen, zumal die Angaben oft umfangreich sind.

Gettyimages, Goran13

Wie viel Zucker, Salz oder Fette unser Essen enthält, können die meisten insbesondere bei stark verarbeiteten Fertigprodukten schwer einschätzen. Und auch ähnliche Produkte verschiedener Hersteller wie Joghurts oder Cornflakes unterscheiden sich manchmal sehr stark in ihrer Zusammensetzung.

Nährstofftabelle oft zu komplex

Damit wir die Nährstoffe besser vergleichen können, ist es in der EU vorgeschrieben, dass auf allen vorverpackten Lebensmittel eine Nährwerttabelle aufgedruckt ist. In dieser Tabelle steht unter anderem der Energiegehalt in Form von Kalorien, außerdem, wie viel  Fett, Kohlenhydraten Zucker oder Salz das Produkt pro 100 Gramm oder Milliliter enthält. Manchmal findet man darauf auch noch mehr Angaben wie die Menge an Stärke und Ballaststoffen, was den Herstellern aber freigestellt ist.

Doch den meisten Menschen ist es zu umständlich, im Laden diese kleingedruckten Werte zu lesen und vergleichen, zumal die Angaben oft umfangreich sind. Zudem wissen viele gar nicht, was die einzelnen Nährstoffe bedeuten und welche Mengen etwa an Salz und Zucker als gesund und weniger gesund zählen. Die Nährwerttabellen gelten deshalb oft als schwer verständlich.

Wie funktioniert der Nutri-Score?

Seit Ende 2020 gibt es in Deutschland - zusätzlich zu der Tabelle - noch eine weitere Kennzeichnung. Sie findet sich vorne auf der Verpackung von verarbeiteten Lebensmitteln, wie zum Beispiel Pizza, Keksen, Käse oder Fruchtjoghurts. Dieser sogenannte „Nutri-Score“ besteht aus einer fünfstufigen Skala vom Buchstaben A bis E, die die Nährwertqualität in den Farben einer Ampel angibt. Dabei gilt zum Beispiel ein Müsli mit einem in dunkelgrün gefärbten A als ernährungstechnisch besser als ein Müsli, das mit dem rot gefärbten E gekennzeichnet ist.

Die Lebensmittel werden in diese Klassen eingeordnet, indem die gesundheitlich „guten“ Nährstoffe mit den „schlechten“ Inhaltsstoffen verrechnet werden. Dafür werden bestimmte Bestandteile des Produkts pro 100 Gramm untersucht und nach einer Skala mit Punkten bewertet: Eher ungesunden Komponenten , wie ein hoher Energiegehalt, Zucker und der Natriumgehalt aus dem Salz sowie gesättigte Fettsäuren, bekommen je nach Menge jeweils Punkte von null bis zehn.

Die als vorteilhaft eingestuften Inhaltsstoffe, darunter Proteine und Ballaststoffe sowie Anteile von Obst, Gemüse, Hülsenfrüchten oder Nüsse und bestimmte Öle, bekommen hingegen Minuspunkte zwischen minus fünf und null. Der Proteingehalt fließt allerdings nicht in die Bewertung ein, wenn der Anteil an Obst, Gemüse und Nüssen insgesamt weniger oder genau 80 Prozent des Lebensmittels ausmacht.

Im Anschluss werden dann die negativen von den positiven Punkten abgezogen, sodass die Gesamtpunktzahl des untersuchten Essens oder Getränks zwischen minus 15 und 40 liegen kann. Dabei gilt dann: Je negativer die Punktzahl, desto besser wird das Lebensmittel im Nutri-Score eingestuft. So wird also zum Beispiel ein Lebensmittel mit insgesamt minus 12 Punkten mit dem grünmarkiertem A bewertet und eins mit sieben Punkten mit einem C.

Fachleute sind sich einig, dass in der EU seit 2016 verbindliche Nährwertkennzeichnung in Tabellenform nicht ausreicht, um die Verbraucher bei der Auswahl gesunder Lebensmittel zu unterstützen.

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Teils komplizierte Berechnung

Die Berechnung des Nutri-Scores ist zwar generell bei allen verarbeiteten Lebensmittel gleich, dennoch gibt es drei Ausnahmen: Beim Käse wird beispielsweise der Proteingehalt immer eingerechnet, sodass er keinen Wert im Bereich E haben kann. Denn Käse ist zwar fettreich und hat deswegen einen schlechten Nutri-Score. Allerdings enthält er große Mengen Calcium, die zum Erhalt von Knochen und Zähnen beitragen.

Zudem wird bei Fetten wie Rapsöl oder Butter der Anteil an gesättigten Fettsäuren im Vergleich zum Gesamtfett bewertet. Denn diese Fettsäuren gelten in großen Mengen als gesundheitlich bedenklich, da sie unter anderem den Stoffwechsel verlangsamen und für einen höheren Cholesterinspiegel sorgen sollen. So erhält zum Beispiel Butter mit einem hohen Anteil dieser Fette einen geringeren Nutri-Score als etwa Walnussöl, das mehr ungesättigten Fettsäuren hat.

Und für Getränke gelten nochmal andere Kriterien für Energie- und Zuckergehalt als für feste Lebensmittel und die Punktzahl für den Obst-, Gemüse- und Nussanteil wird bei diesen verdoppelt. Zudem ist Wasser das einzige Getränk, das mit der Klasse A gekennzeichnet werden darf.

Was bringt die Nährwert-Ampel?

Anhand des Labels kann man also beim Einkaufen direkt auf einen Blick sehen, wie Müsli, Pudding, Saft und Co. gesundheitlich bewertet werden und sich besser orientieren – auch, wenn man sich sonst nicht so gut mit der Ernährung auskennt. Und das kommt laut Umfragen bei vielen gut an, da heute immer mehr Menschen auf eine gesunde Ernährung achten möchten. Vor allem, weil es ständig neue stark verarbeitete Lebensmittel gibt, die zwar etwa durch viel Fett, Zucker und Salz gut schmecken, aber nachweislich in hohen Mengen unserer Gesundheit schaden können, indem sie etwa das Risiko erhöhen, an Übergewicht, Herzkrankheiten oder Diabetes Typ 2 zu erkranken.

Dass sich das Kaufverhalten der Menschen durch den Nutri-Score verändert, konnte auch bereits bewiesen werden. So zum Beispiel in Frankreich und Belgien, wo es das Label schon seit mehreren Jahren gibt: Französische Forscher haben festgestellt, dass die durchschnittliche Kalorienmenge auf dem Speiseplan der Franzosen seitdem um etwa neun Prozent gesunken geworden ist.

Und wenn mehr Menschen Lebensmittel kaufen, die der Nutri-Score mit der Klasse A oder B einstuft, dann spornt das gleichzeitig auch die Hersteller an, ihre Lebensmittel beispielsweise mit weniger Zucker und Salz zu produzieren  um so in eine besserer Klasse zu kommen. Denn wenn sich ein Hersteller einmal dafür entscheidet das Label zu benutzen, muss es auch auf allen seiner Lebensmittel und nicht nur auf den „gesunden“ angegeben werden.

Das Label kann trügen

Umstritten ist der Nutri-Score aber dennoch: Zunächst einmal gilt, dass das Label bei manchen Produkten irreführend sein kann. Zum Beispiel können Sesamkörnen mit der Klasse C bewertet sein, eine fertige Gemüselasagne hingegen mit B. Das liegt daran, dass kaum bearbeitete Lebensmittel oft nur aus einer Zutat bestehen, die wie beim Sesam zum Beispiel sehr fettig sein kann, was dann in die Gesamtbewertung mit einfließt. Bei der Gemüselasagne gleichen sich aber beispielsweise die Punkte für den hohen Fettanteil mit den Punkten für das enthaltene Gemüse wieder aus, sodass die Gesamtpunktzahl geringer und die Klasse höher ist. Ein Produkt mit gutem Nutri-Score muss also nicht bei jedem einzelnen Inhaltsstoff gut abschneiden.

Das bedeutet auch, dass man beim Blick auf den Nutri-Score nicht sehen kann, ob beispielsweise ein Joghurt in der Klasse B bewertet wurde, weil er wenig Fett oder weil er viel Obst enthält. Wer sich also zum Beispiel besonders fettarm ernähren möchte, muss trotz Nutri-Score auf die Nährwerttabelle schauen.

Außerdem bezieht sich die Bewertung lediglich auf 100 Gramm. Da man etwa den Sesam meistens nur in sehr kleinen Mengen isst, heißt die Bewertung nicht direkt, dass der Fettgehalt bedenklich ist. Bei solchen unverarbeiteten Lebensmittel sollte man den Nutri-Score also weniger beachten.

Der einfach gestaltete Nutri-Score soll eine schnellere Orientierung unter Lebensmittel der gleichen Kategorie ermöglichen.

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Vergleich nur innerhalb einer Produktgruppe sinnvoll

Aber selbst alle stark verarbeitete Lebensmittel kann man nicht einfach anhand des Labels vergleichen. Denn der Nutri-Score ermöglicht keinen Vergleich über verschiedene Produktgruppen hinaus. Die Nährstoffe einer Fertigpizza können also nicht mit denen eines Schokoriegels verglichen werden. Stattdessen kann man nur zwei Schokoriegel unterschiedlicher Hersteller oder zwei ähnliche Produkte wie etwa ein Schokomüsli und ein Früchtemüsli vergleichen.

Besonders aufpassen muss man bei Getränken. Denn nicht jedes flüssige Lebensmittel wird beim Nutri-Score auch als Getränk eingestuft und so bewertet. Flüssigkeiten mit relativ hohen Nährwerten wie zum Beispiel Milch, Kakao oder Pflanzendrinks aus Soja, Hafer und Co. werden wie feste Lebensmittel berechnet. Dadurch kann etwa eine fettarme Milch oder ein ungesüßter Haferdrink wie Wasser eine A-Wertung tragen.

A ist nicht immer gleich gesund

Zusätzlich kritisieren Experten, dass gesundheitsfördernde Inhaltsstoffe wie Omega-3-Fettsäuren, Mineralstoffe und Vitamine nicht einzeln in die Nutri-Score-Bewertung einfließen. Man kann man also anhand des Nutri-Scores nicht prüfen, ob man wirklich die ganze Vielfalt der lebenswichtigen Nährstoffe zu sich nimmt, obwohl das für manche vielleicht so scheint.

Außerdem werden Zusatzstoffe wie Süßstoffe, Geschmacksverstärker und Aromen nicht berücksichtigt. Die Hersteller können also beispielsweise den Zuckergehalt senken und durch Süßstoffe austauschen, um einen höheren Nutri-Score auf ihren Lebensmitteln zu haben. So bekommt zum Beispiel ein Apfelsaft mit viel Fruchtzucker eine schlechtere Bewertung als eine Cola light. Das macht das Produkt aber nicht unbedingt gesünder.

Und noch ist auch nicht geklärt, ob der Nutri-Score wirklich förderlich für die Gesundheit ist. So gibt es auch etwa in Frankreich der Belgien noch keine statistischen Daten dazu, ob mit Einführung des Labels auch typische Volkskrankheiten wie Übergewicht, Bluthochdruck doer zu hohes Cholesterin Krankheiten zurückgegangen sind.

Noch freiwillig

Bisher ist es den Herstellern freigestellt, ob sie das neue Label benutzen. Dadurch kann man bisher nicht alle Lebensmitteln verschiedener Marken vergleichen. So hat zum Beispiel der Supermarkt REWE dieses Jahr die Kennzeichnung für alle REWE Eigenmarken eingeführt, aber noch nicht alle Lebensmittel im Markt damit ausgestattet. Bisher haben sich rund 140 aus Deutschland stammende Unternehmen für den Nutri-Score registriert und etwa 1.000 Lebensmittel sind derzeit gekennzeichnet.

Dadurch, dass das Label freiwillig ist, kann man zudem nicht ganz sicher sein, dass die Bewertung stimmt. Denn die Hersteller errechnen selbst den Nutri-Score ihrer Produkte und werden nicht zum Beispiel durch die Lebensmittelüberwachung kontrolliert. Werden bei der Berechnung Fehler gemacht oder schönt der Hersteller seine Bilanz, kann das unentdeckt bleiben. So ist es schon vorgekommen, dass ein Schokoladenpudding monatelang mit dem Nutri-Score C bewertet war und erst später eine Verbraucherzentrale festgestellt hat, dass er eigentlich mit der Klasse D bewertet werden musste.

Nur als Anhaltspunkt

Aufgrund dieser Nachteile sollte der Nutri-Score generell nur als Anhaltspunkt für unsere Lebensmittelauswahl benutzt werden. Er macht auf die Nährwertqualität aufmerksam, sagt aber allein nichts darüber aus, ob ein Lebensmittel gesund ist oder nicht. Und wer sich ausschließlich von Schokoriegeln der Kategorie A ernährt, isst deswegen noch lange nicht gesund und ausgewogen.

Entscheidend für eine gesunde Ernährung ist die Vielfalt, der regelmäßige Verzehr von Obst und Gemüse, sowie unter anderem die Portionsgröße, wie häufig man isst und auch, wie viel Sport man treibt. Es ist also ratsam, sich bei seiner Ernährung an die Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung zu orientieren und mit dem Nutri-Score höchstens ein bestimmtes Produkt aus dem Angebot vergleichbarer Lebensmittel auszuwählen.

Eine vereinfachte Nährwertinformation allein kann die Gesundheit der Menschen also nicht verbessern und stattdessen sogar verwirren, wenn darüber nicht ausreichend aufgeklärt wird. Wenn man aber weiß, wofür das Label und die Bewertung steht, ist der Nutri-Score zumindest als vereinfachte Orientierung geeignet.

Ausnahmen sind allerdings Kleinkind-Nahrung und spezielle Ernährungsformen: Für sie warnen Experten grundsätzlich davor, nur den Nutri-Score zu beachten. Denn Kinder und Menschen mit bestimmten Krankheiten haben spezielle Bedürfnisse und bei ihnen kann eine falsche Ernährung besonders schädlich sein.

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