Lina Morgenstern! Schon mal gehört? Oder sagt ihnen ihr Beiname "Suppenlina“ vielleicht etwas? Auch nicht. Dann wird es höchste Zeit. Denn was Lina Morgenstern in ihrem Leben für die Gesellschaft geleistet hat, ist außergewöhnlich, außergewöhnlich viel. Sie hat die Volksküchen gegründet, sie hat geholfen die Kindergärten zu etablieren und der Frauenbewegung hat sie ihren Stempel aufgedrückt. Ihr Engagement hat das gesellschaftliche Leben des 19. Jahrhunderts maßgeblich mitgestaltet. Und ihr Wirken ist bis in die Gegenwart spürbar. Lina Morgenstern ist eine Frau des 19. Jahrhunderts. Als sie am 25. November 1830 geboren wurde, steckten karitative Organisationen oder die Wohlfahrtspflege noch in den Kinderschuhen. Und viele Errungenschaften, die uns heute selbstverständlich erscheinen, verdanken wir mutigen Frauen wie ihr. Zu Lina Morgensterns 100. Todestag am 16. Dezember 2009 hören sie heute unsere Redakteurin Michaela Wetter über das Engagement einer Frau, die in mehrfacher Hinsicht eine Pionierin war: "Lina Morgenstern – die Menschenfreundin“
Lina Morgenstern in Berlin
Wir blicken zurück in die Mitte des 19. Jahrhunderts. Die junge Lina Bauer heiratet den Kaufmann Theodor Morgenstern. Das Paar lässt sich in Berlin nieder. Die Stadt befindet sich wie viele andere deutsche Städte im totalen Umbruch: Immer mehr Menschen drängen vom Land in die Stadt und suchen Arbeit in der Industrie. Der Verdienst ist nicht immer ausreichend – auch Frauen und Kinder müssen somit zum Familieneinkommen beitragen. Eine Folge der Industrialisierung: kürzere Mittagspausen, längere Wege zwischen Arbeitsplatz und Wohnung. Für viele Beschäftigte wird es immer schwieriger, die Mittagsmahlzeit wie gewohnt zu Hause einzunehmen. Gerade die Frauen des Bürgertums fühlen sich in dieser Situation berufen, dem Missstand ein Ende zu machen und engagieren sich für die Mittagsversorgung der arbeitenden Bevölkerung. Eine von ihnen ist Lina Morgenstern.
Die Volksküchen
Lina Morgenstern hat sich zum Ziel gesetzt, die Arbeiter mit kompletten Mahlzeiten in speziell dafür eingerichteten Küchen zu versorgen. Um sich aber von den sogenannten Armenküchen abzugrenzen und die Mahlzeiten nicht als öffentliche Leistung zu verschenken, muss die Kundschaft zahlen, zumindest ein kleines Entgelt. Der Verkauf der Suppe deckt die Betriebskosten, ansonsten werden die Volksküchen aus Spendengeldern finanziert. Verzehrt wird das Essen auch außerhalb der Volksküchen – ein deutlicher Unterschied zu den Armenküchen. Zum gemütlichen Beisammensein sind allerdings auch sie nicht gemacht: Nach dem Essen muss der Speisesaal sofort verlassen werden, um für weitere Gäste Platz zu schaffen.
Nach der Eröffnung der ersten Volksküche im Jahr 1866 entstehen in den nächsten vier Jahren in Berlin etwa zehn solcher Volksküchen. Bis zu 1000 Essen sollen dort ausgegeben worden sein. Der Bedarf ist immens. Schließlich führt der österreichisch-preußische Krieg zu Essensknappheit und Preissteigerungen.
Die Frauen, die sich in den Volksküchen engagieren, leisten einen wichtigen Beitrag bei der ehrenamtlichen öffentlichen Arbeit. Und dass sie sich dabei den typisch weiblichen Aufgaben widmen, hilft bei der gesellschaftlichen Akzeptanz.
In ihrem Buch „Zuverlässiges Hilfsbuch zur Gründung, Leitung und Kontrolle von Volksküchen und anderen gemeinnützigen Massen-Speiseanstalten. Mit Kochrezepten der Berliner Volksküchen“ beschreibt Lina Morgenstern ihre Erfahrung mit den Volksküchen. Später dann veröffentlicht sie auch noch ein Rezeptbuch unter dem Titel "Illustriertes Kochbuch“.
Die Kindergärten
Lina Morgenstern ist Mutter von fünf Kindern. Ihr Interesse an Erziehungsthemen liegt daher auf der Hand. Besonders faszinieren sie die Schriften Friedrich Fröbels.
Der Pädagoge und Erziehungsreformer Fröbel gilt als der Begründer der Spielpädagogik und Erfinder des Kindergartens. Kern seines pädagogischen Konzeptes sind das freie, selbständige Spiel, das Besprechen des Erlebten, die Musik in Form von Gesang, Bewegung und Rollenspiel sowie das Malen und Gestalten. Er vertritt die Ansicht, dass die Zukunft der Menschheit in den Händen der Frauen liegt, weil diese in den ersten sechs Lebensjahren der Kinder den größten Einfluss haben. Fröbel tritt für Kindergärten ein, in denen Kinder aller sozialen Klassen und Religionen gemeinsam spielen, werken und musizieren. Ein Konzept, das die preußische Obrigkeit stark befremdet und sogar zur Schließung der Kindergärten führt. Lina Morgenstern schreibt einen Artikel über Fröbel, der 1861 in der Frauenzeitschrift "Bazar“ erscheint. Und sie tritt einer Frauenvereinigung bei, die sich für Kindergärten im Stil Fröbels einsetzt. Zeitweise übernimmt sie sogar deren Vorsitz. Sie trägt so zur weiteren Verbreitung seiner Pädagogik bei. Anfang der 1860er Jahre veröffentlicht sie schließlich das Fachbuch "Das Paradies der Kindheit“. Es wird sieben Mal aufgelegt und ist nicht nur in Deutschland, sondern auch in Übersee ein großer Erfolg.
Die Frauenbewegung
Lina Morgenstern hilft denen, die Hilfe benötigen. Und wenn sie erst einmal von einer Sache überzeugt ist, tritt sie dafür mit voller Überzeugung ein.
So wie sie sich stark gemacht hat für Kindergärten und Volksküchen, tritt sie auch für die Frauen ein. Aufgrund ihrer schlechten Bildungssituation haben junge Mädchen noch Mitte des 19. Jahrhunderts keinerlei Aussicht auf ein selbständiges Leben. Töchter von Arbeiterfamilien nehmen vielleicht eine Dienstbotenstelle an, während Töchter des Bürgertums auf eine gute Heirat aus sind. Lina Morgenstern gründet Ende der 1860er Jahre eine Akademie zur Fortbildung junger Damen, kämpft im Berliner Kinderschutzverein gegen die hohe Säuglingssterblichkeit unehelich geborener Kinder und setzt sich für die Ausbildung von Arbeiterinnen ein. Seitdem gilt sie als Vertreterin der bürgerlichen Frauenbewegung.
1896 gelingt es ihr, den "Internationalen Kongress für Frauenwerke und Frauenbestrebungen“ nach Berlin zu holen, wo namhafte Referentinnen wie Maria Montessori, Henriette Goldschmidt und Clara Zetkin sprechen. Hier geht es um die rechtliche Stellung der Frau, um Bildung und um politische Gleichberechtigung. In Deutschland ist zu diesem Zeitpunkt der Ruf nach dem Frauenstimmrecht noch zaghafter als in anderen europäischen Ländern. Das ist auch nicht das, was Lina Morgenstern im Sinn hat. Sie hilft vor allem denen, die es ganz offensichtlich nötig haben. Und packt dort mit an, wo sie gebraucht wird. Lina Morgenstern, eine starke Frau, die uns gerade heute ein Vorbild sein kann.