„Cogito ergo sum“ – ich denke, also bin ich – stellte der Philosoph René Descartes nach langem Zweifeln schließlich fest. Heute findet man in vielen Großstädten das Graffiti: „Ich konsumiere, also bin ich“. Zugegeben: bereits im 17. Jahrhundert zählte der Schein oft mehr als das Sein. Doch warum wurde der Konsum zum Inbegriff der westlichen Moderne? Und was kann jeder einzelne von uns tun, um seinen ökologischen Fußabdruck ein paar Nummern zu verkleinern?
Verbrauch vs. Konsum
Der Mensch ist von Natur aus Verbraucher. Um zu überleben, muss er atmen, trinken, essen und sich kleiden. Verbrauchen bedeutet, dass man etwas zu sich nimmt oder verzehrt oder zumindest verschleißt. Ob man dafür bezahlt, tut nichts zur Sache. Ganz anders der Konsument. Zu diesem wird man in den Augen der Ökonomen erst, wenn man für das entsprechende Gut auch bezahlt hat. Auch geht es beim Konsum um weitaus mehr als nur um die Sicherung von Grundbedürfnissen. Konsumieren hat etwas mit Genuss zu tun, mit Überfluss und Luxus. Zum Konsumenten wurde der Mensch erst durch die Überproduktion. Das spiegelt sich auch in unserer Sprache, so ist das Wort „konsumieren“ im Deutschen erst seit dem 17. Jahrhundert nachgewiesen. Es wurde aus dem Lateinischen entlehnt, wobei das lateinische Verb „consumere“ auf „sumere“ (zu sich nehmen, nehmen) und auf „emere“ (nehmen, kaufen) zurückgeht.
Ich konsumiere, also bin ich
Wer in den 60er Jahren eine neue Hose brauchte, ging einkaufen. Heute geht man shoppen, und das, obwohl die Frau – und auch der Mann - den Schrank voller Hosen hat. Das neue Vokabular verrät, dass es eher um ein neues Lebensgefühl geht als um eine neue Hose. Shopping ist die moderne Form des Beutezugs. Am deutlichsten wird das bei so genannten Shopaholics, zu Deutsch „Kaufsüchtigen“. Sie brauchen den Kick, den die Inbesitznahme eines begehrenswerten Stücks hervorruft. Doch kaum ist das Teil gekauft, verfliegt die Magie. Am Ende bleibt ein Katzenjammer und im fortgeschrittenen Stadium ein Haufen Schulden. Im Extremfall werden die Waren zuhause gar nicht mehr ausgepackt, sondern versteckt. Die Kaufsucht als Krankheitsbild trat bezeichnenderweise just zu dem Zeitpunkt auf, als die ersten großen Warenhäuser ihre Pforten öffneten. Die Konsumtempel wurden zum Inbegriff der anbrechenden Moderne und veränderten nicht nur die Innenstädte, sondern auch das Kaufverhalten.
Im Hirn des Konsumenten
Konsumsoziologen, Wirtschaftspsychologen, Neuroökonomen und andere Experten versuchen die Kaufentscheidungen von potentiellen Konsumenten vorherzusagen, doch wo man vor zwanzig Jahren noch auf Markentreue setzen konnte, regiert beim modernen Schnäppchenjäger der pure Jagdinstinkt. Der „smart Shopper“ freut sich, wenn er teure Markenware möglichst günstig ergattern kann. Der „Success Shopper“ belohnt sich selbst mit teuren Produkten, um sich und anderen zu zeigen, was er sich wert ist. Der „Convenience Consumer“ dagegen beschränkt sich aufs Wesentliche und möchte seinen Einkauf möglichst schmerzlos hinter sich bringen. Er bevorzugt übersichtliche Läden ohne lange Wege und Warteschlangen oder kauft gleich online. Soweit die Theorie. Denn je mehr geforscht wird, desto rätselhafter wird das Kaufverhalten. Um ihre Hilflosigkeit zu tarnen, sprechen Forscher inzwischen auch vom „unberechenbaren Konsumenten“.
Die feinen Unterschiede
Es war einmal eine Zeit, da war ein Bäcker ein Bäcker und ein Kaufmann war ein Kaufmann. Beide definierten sich über ihren Beruf, gehörten einer Gilde an und bauten standesgemäße Häuser, ein jeder nach seinen Möglichkeiten. Heute gibt es zwar noch immer Berufe, Berufsverbände und Häuslebauer, doch für die Mitglieder der modernen Konsumgesellschaften haben sich die Möglichkeiten der Selbstdarstellung beträchtlich erweitert. War der teure Pelzmantel Hermelin einst dem König vorbehalten, so darf sich heute jeder damit schmücken. Mit ihrer Verfügbarkeit ist jedoch auch die Aussagekraft von Statussymbolen gesunken. Mit seinem Reichtum zu protzen ist keine Kunst. Wahre Kennerschaft zeigt sich im Understatement. Der Kultursoziologe Pierre Bourdieu sprach in diesem Zusammenhang von den „feinen Unterschieden“, die mehr über Status und Klassenzugehörigkeit aussagen als vordergründige Zurschaustellung.
Eingebautes Verfallsdatum
Den Normalverbraucher plagen mitunter ganz andere Sorgen. Jeder kennt das Phänomen: Kurz nachdem die zweijährige Gewährleistungsfrist abgelaufen ist, geht der Drucker kaputt. Laien wittern dahinter eine Art eingebautes Verfallsdatum, Fachleute sprechen von „geplanter Obsoleszenz“. Glühlampen zum Beispiel könnten eine sehr viel längere Brenndauer haben, gäbe es da nicht das berüchtigte „Phoebuskartell“, das die Lebensdauer von Glühlampen vom Zweiten Weltkrieg an auf 1.000 Stunden begrenzt hat. Der Berliner Erfinder Dieter Binninger wollte sich damit nicht abfinden und entwickelte in den 80er Jahren die so genannte Ewigkeitsglühbirne mit einer Brenndauer von 150.000 Stunden, doch kurz bevor die Lampe 1991 in Produktion gehen konnte, stürzte der Erfinder in seinem Kleinflugzeug ab. Heute ist die klassische Glühlampe in Verruf geraten, weil sie nicht nur Licht, sondern jede Menge Wärme produziert. Doch die Ökobilanz der so genannten Energiesparlampe sieht kaum besser aus, weder was die Giftstoffe angeht, die bei der Herstellung anfallen, noch was das hochgiftige Quecksilber betrifft, das in den milchigen Röhren enthalten ist.
Die postmoderne Konsumgesellschaft
Angesichts der Völlerei der Wirtschaftswunderjahre setzte vor allem bei der jüngeren Generation eine Gegenbewegung ein. Eine zentrale Rolle spielte dabei der von Deutschland in die USA ausgewanderte Philosoph Herbert Marcuse, der als einer der letzten großen Verfechter des Marxismus gilt. Er prägte den Begriff des Konsumismus (engl. consumerism), des Konsums um des Konsums willen, der unser Denken und Handeln prägt. Das zwanghafte Streben nach Besitz mache unfrei, deshalb forderte er eine kritische Distanz zur Warenwelt. Doch der Warenkult ging weiter, jeder Generation ging es zumindest in materieller Hinsicht besser als der vorhergehenden. Bis sich Anfang der 90er Jahre des vergangenen Jahrhunderts bei der so genannten Generation X die Überzeugung durchsetzte, dass keine Steigerung mehr möglich sei. Die Generation X, die ihren Namen dem gleichnamigen Bestseller von Douglas Coupland verdankt, zelebrierte ihre Konsumverweigerung, die allerdings nicht politisch motiviert war, sondern eher eine Folgeerscheinung von Übersättigung und Perspektivlosigkeit war.
Tauschen macht frei
Heute sind sich viele Konsumenten ihrer Macht bewusst. Sie wissen, dass sie mit ihren Kaufentscheidungen Einfluss ausüben können. Der mündige Kunde verzichtet auf Sprüche wie „Geiz ist geil“ und will stattdessen wissen, unter welchen Bedingungen das, was er kaufen soll, produziert wurde. Massentierhaltung, Kinderarbeit, Raubbau an der Natur und andere ausbeuterische Produktionsmethoden werden nicht mehr stillschweigend toleriert. Die Ächtung von Kinderarbeit führte dazu, dass Textilkonzerne regelmäßig Kontrolleure aussenden, die die Zulieferfirmen vor Ort überprüfen. Auch mit der Devise „Global denken – lokal handeln“ lässt sich viel bewegen. Locavoren etwa essen nur, was in ihrer Region produziert wurde. Es geht nicht um Askese, sondern um Nachhaltigkeit. Deshalb wird es auch immer populärer, Dinge, die man nur selten braucht, zu leihen, statt zu kaufen. Und statt intakte Geräte oder Möbel wegzuwerfen, bietet man sie in Tauschringen an. Das schont nicht nur die Umwelt, sondern stärkt auch die Gemeinschaft. Immer mehr erhoffen sich mehr Zufriedenheit vom „Einfachen Leben“, sie trennen sich von Autos, überdimensionierten Wohnungen und angehäuftem Besitz. In den USA gibt es sogar die „100-item-challenge“, bei der „Downshifter“ versuchen, ihre Habe auf weniger als 100 Dinge zu reduzieren. Da bekommt das Motto „Weniger ist mehr“ eine ganz neue Bedeutung.
Und aus „Ich konsumiere, also bin ich“, wird wieder „Ich denke, also bin ich“. Cogito ergo sum.