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Zeitumstellung: Der Tag, an dem die innere Uhr aus dem Takt gerät (Podcast 181)

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Es ist so weit: Die Sommerzeit hat begonnen. Das heißt, die Nacht ist eine Stunde kürzer als sonst. Für unsere innere Uhr ist das nicht so leicht zu verkraften: Besonders das Aufstehen am ersten Arbeitstag nach der Zeitumstellung fällt vielen Menschen ziemlich schwer. Wir nutzen den Anlass, um einen genaueren Blick auf unsere innere Uhr zu werfen. Wissen.de-Autorin Alexandra Mankarios hat für uns in Erfahrung gebracht, welche Uhren in unserem Körper ticken und was wir tun können, um sie auf die Sommerzeit einzustellen. Außerdem geht sie einer Frage nach, die sich wohl viele Menschen zweimal im Jahr zur Zeitumstellung stellen: Was bringt uns die Sommerzeit eigentlich?

 

Eine Stunde weniger Schlaf

Viele sehen sie als die letzte Hürde, bevor der Sommer kommt: Die Umstellung auf die Sommerzeit. Sie ist gefühlt und nachgewiesenermaßen schwerer zu verdauen als die Winterzeitumstellung – eine Stunde gesunder Nachtschlaf ist in unserem eng getakteten Alltag ein hohes Gut, auf das wir nur ungern verzichten. Vor allem Frühaufsteher haben es schwer: Wer um sechs Uhr hoch muss, wacht am Montag nach der Zeitumstellung wieder im Dunkeln auf. Aber auch, wenn der Wecker erst um sieben Uhr klingelt und die Sonne bereits aufgegangen ist – gut gelaunt und ausgeruht startet am Montag nach der Sommerzeitumstellung kaum jemand in den Tag. Kein Wunder: Den meisten fällt das Aufstehen schon an normalen 24-Stunden-Tagen schwer.

Chronobiologen – so heißen die Wissenschaftler, die die innere Uhr des Menschen erforschen – haben sogar einen eigenen Begriff dafür, dass sich viele Menschen mit dem Rhythmus unserer Leistungsgesellschaft schwertun: Sie sprechen von einem sozialen Jetlag. "Unsere Gesellschaft ist sowieso schon etwas zu früh dran für die meisten Menschen. Wenn wir das bei der Zeitumstellung noch eine Stunde vorziehen, dann verstärken sich die Probleme noch einmal, die durch den sozialen Jetlag sowieso schon ständig bestehen.“, erklärt Achim Kramer, Chronobiologe an der Berliner Charité. Wie massiv diese Probleme sein können, zeigt ein Blick auf die Statistiken: Kurz nach der Zeitumstellung steigt der Verbrauch von Schlafmitteln und Antidepressiva. Die Krankenhäuser verzeichnen 20 Prozent mehr Herzinfarkt-Einlieferungen in den ersten drei Tagen nach der Zeitumstellung. Der Auto Club Europa zählt im April durchschnittlich rund 19 Prozent mehr Verkehrsunfälle als im März.

 

Die innere Uhr

Zahlreiche Uhren ticken im menschlichen Körper. Wie ein feines Räderwerk greifen sie ineinander, stimmen Hormonspiegel, Herzrhythmus und Stoffwechsel aufeinander ab und sorgen dafür, dass wir zur richtigen Zeit zu voller Leistung auffahren, Hunger bekommen oder müde werden. Der Taktgeber für all diese kleinen Uhren sitzt im Vorderhirn, etwa zwei Zentimeter hinter den Augen. Mediziner nennen ihn den suprachiasmatischen Nukleus. Auch für ihn hat der Tag 24 Stunden – allerdings nur ungefähr, denn beim Essen, Schlafen und Verdauen kommt es auf ein paar Minuten nicht an. Chronobiologen sprechen deshalb von einem circadianen Rhythmus – ein Rhythmus, der circa einen Tag lang ist. Damit die innere Uhr trotzdem mit der äußeren Zeit übereinstimmt, synchronisiert sie sich jeden Tag aufs Neue mit der Umwelt. Dabei spielt vor allem das Licht eine entscheidende Rolle. Deshalb sitzt unsere innere Uhr auch so nah hinter den Augen.

Über Nervenstränge gelangen Informationen über den Lichteinfall von der Netzhaut direkt zur inneren Uhr. Die stellt sich dann neu ein – ungefähr wie ein Funkwecker, der eigentlich nicht genau geht, aber einmal am Tag ein Signal der Atomuhr empfängt und sich dann wieder anpasst. Bei Blinden, die keine Netzhaut mehr besitzen, sondern Glaskörper in den Augenhöhlen tragen, funktioniert dieser Abgleich zwischen innerer Uhr und Außenwelt nicht mehr. Kramer erklärt, was das bedeutet: "Wenn für die innere Uhr ein Tag zum Beispiel etwas kürzer als 24 Stunden ist, dann wird man jeden Tag etwas früher müde und hat etwa alle zwei Wochen massive Schlafprobleme, bis man den Zyklus einmal durchlaufen hat und sich dem Rhythmus der Umwelt wieder annähert. Blinde, die noch eine Netzhaut besitzen, können sich aber genauso gut wie Sehende mit der Umwelt synchronisieren.“

 

Eulen und Lerchen

Auch wenn sich bei den meisten Menschen die innere Uhr jeden Tag neu stellt, hat unser innerer, individueller Laufrhythmus doch erheblichen Einfluss darauf, wie wir im Lauf eines Tages ticken, wann wir zu geistigen Höhenflügen in der Lage und wann zu nichts mehr zu gebrauchen sind. Wissenschaftler sprechen von verschiedenen Chronotypen. Zu den Frühtypen, salopp auch "Lerchen“ genannt, gehören Menschen, deren innere Uhr etwas schneller tickt als die der Umwelt. Frühtypen werden abends früher müde, sind aber dafür morgens schon wieder zeitig munter. Für die Spättypen, gern auch "Eulen“ genannt, ist ein innerer Tag etwas länger als 24 Stunden. Deshalb sind sie abends gern länger wach, würden aber morgens, wenn sie könnten, am liebsten bis neun Uhr oder länger in den Federn liegen.

Was jede Eule weiß: Die Lerchen haben es in unserer Gesellschaft deutlich leichter. Wer schon vor acht Uhr geistig wach am Verhandlungstisch sitzen kann, hat klare Vorteile – umso mehr, weil es in unseren Breiten mehr Eulen als Lerchen gibt. Deshalb raten Chronobiologen auch dazu, den morgendlichen Arbeits- und auch den Schulbeginn eher auf halb neun als auf acht Uhr zu legen – vorher sind die vielen Spättypen unter uns einfach noch im inneren Schlafmodus. Besonders hart trifft ein früher Start in den Tag Jugendliche, denn die werden in der Pubertät fast immer zu extremen Eulen, auch wenn sie noch wenige Jahre vorher als ausgeprägte Frühaufsteher ihre Eltern allmorgendlich um einige Stunden Schlaf gebracht haben. Erst im Erwachsenenleben tritt dann meist der tatsächliche, individuelle Chronotyp deutlich zutage. Im Alter werden wir allerdings alle wieder zu Frühtypen – dann setzt die sprichwörtliche senile Bettflucht ein.

 

Tipps gegen den sozialen Jetlag

Zurück zur Zeitumstellung. Weil unsere innere Uhr zwar zuverlässig tickt, aber nicht unbedingt für moderne Industriegesellschaften entwickelt wurde, lässt sie sich leider nicht per Knopfdruck umstellen. Trotzdem passt sie sich nach einigen Tagen der Sommerzeit an. Wie lange das dauert, können wir beeinflussen, indem wir möglichst viel Tageslicht tanken. Dabei spielt auch die Tageszeit eine wichtige Rolle. Kramer empfiehlt: "Je mehr Licht wir tagsüber und vor allem morgens aufnehmen, desto leichter fällt es uns, unsere Physiologie einzustellen. Wenn das aber nicht gelingt, dann ist jedes Licht im weiteren Tagesverlauf hilfreich – außer am späten Abend.“

Vor allem Kinder, deren innere Uhr noch weitgehend unberührt von den gesellschaftlichen Gepflogenheiten tickt, passen sich durch eine gehörige Portion Tageslicht in den Morgenstunden etwas schneller an – und ersparen ihren Eltern damit vielleicht den einen oder anderen abendlichen Kampf ums Zubettgehen. Anders gesagt: Der Sonntag nach der Zeitumstellung ist die beste Gelegenheit für einen ausgiebigen Familienausflug an der frischen Luft. Außerdem rät Kramer dazu, in der Woche nach der Zeitumstellung morgens etwas mehr Zeit einzuplanen, um möglichst wach das Haus zu verlassen: "Die Verkehrsunfallrisiken sind einfach höher, wenn alle etwas übermüdet sind.“

 

Warum gibt es die Zeitumstellung eigentlich?

Die Sommerzeit bringt uns aus dem Takt, ohnehin ist unsere Gesellschaft eigentlich zu früh für das echte Wohlbefinden auf den Beinen. Wären wir nicht viel produktiver, wenn sich die Gesellschaft stärker nach der inneren Uhr richten würde? Die Befürworter der Sommerzeit sehen das anders. Sie nehmen in Kauf, dass morgens alle schläfrig vor sich hindämmern, und zählen darauf, dass wir dafür in den hellen Abendstunden umso effizienter sind. Erst um viertel vor elf Uhr abends ist Ende Juni die Abenddämmerung vorüber – die Sommerzeit beschert uns also viel Zeit, um bis spät abends bei natürlichem Licht unserem Tagewerk nachzugehen. Das soll Energie sparen, die sonst vor allem durch Beleuchtung verbraucht würde. So erhofften es sich jedenfalls die Politiker mehrerer europäischer Länder, als sie in den 70er Jahren die Zeitumstellung einführten.

Auslöser dieser Überlegungen waren allerdings nicht der Umwelt- oder Klimaschutz, sondern die Ölkrise von 1973. Damals hatte die OPEC, die Organisation der Erdöl exportierenden Länder, der vor allem arabische Staaten angehörten, gezielt die Ölfördermengen gedrosselt, um politischen Druck auf die westlichen Länder auszuüben. Die hatten nämlich im arabisch-israelischen Jom-Kippur-Krieg im Oktober 1973 Israel unterstützt – was natürlich gar nicht im Sinn der arabischen Staaten war. Also verlegte sich Europa auf das Energiesparen und führte unter anderem die Sommerzeit ein. In Deutschland werden die Uhren allerdings erst seit 1980 vorgestellt, andere Länder wie zum Beispiel Frankreich begannen schon 1976 damit. Es folgte eine Zeit der europäischen Zeitinseln – einige Länder hatten gar keine Sommerzeit, in den übrigen fand die Umstellung an unterschiedlichen Tagen statt. Chaos war vorprogrammiert, vor allem Reisende hatten an den Grenzen mit unerwarteten Zeitsprüngen zu kämpfen.

 

Die Idee der Zeitumstellung ist schon viel älter

Viele der Probleme, die die Zeitumstellungen in den 70er und 80er Jahren bereiteten, wären voraussehbar gewesen, denn die Sommerzeit hatte es auch schon lange vor der Ölkrise gegeben. Bereits 1916 hatten die Deutschen erstmals ihre Uhren vorgestellt, um in den knappen Zeiten des ersten Weltkriegs an Beleuchtungskosten zu sparen. Das Gesetz zur ersten deutschen Zeitumstellung schrieb etwas unbeholfen vor: "Der 1. Mai 1916 beginnt am 30. April 1916 nachmittags 11 Uhr nach der gegenwärtigen Zeitrechnung. Der 30. September 1916 endet eine Stunde nach Mitternacht im Sinne dieser Verordnung.“

Nach Kriegsende wurde die Sommerzeit wieder aufgegeben, aber im zweiten Weltkrieg entsann man sich erneut des ressourcenschonenden Uhrentricks. Zwischen 1940 und 49 gab es alle möglichen Varianten der Zeitumstellung, zum Beispiel eine anderthalb Jahre währende Sommerzeit von 1940 bis 42 oder, nachdem die Alliierten die Hoheit über die gesetzliche Zeit übernommen hatten, in einigen Jahren zusätzlich zur Sommerzeit noch eine Hochsommerzeit. Nachdem der Erfolg der Umstellungen ausblieb, schaffte man die Zeitumstellung 1950 erst einmal wieder ab. 30 Jahre lang war danach auch im deutschen Sommer dann Mittag, wenn die Sonne am höchsten stand – bis die Ölkrise uns schließlich 1980 erneut an den Uhren drehen ließ.

 

Brauchen wir die Sommerzeit noch?

Heute ist Energiesparen wichtiger denn je. Trotzdem ist ungewiss, ob die Sommerzeit ihren Zweck erfüllt. Kritiker bemängeln, dass den Energieeinsparungen an den langen Sommerabenden ein erhöhter Heizbedarf in den Morgenstunden gegenübersteht. Außerdem ist der abendliche Stromverbrauch im Zeitalter der Energiesparlampe ohnehin relativ gering. Eine Studie der EU-Kommission kam 2007 zu diesem Ergebnis: "Die tatsächlich erzielten Einsparungen (sind) schwer zu bestimmen und fallen allenfalls gering aus.“

Großen Schaden richtet die Zeitumstellung allerdings der Studie zufolge auch nicht an. Der internationale Verkehr hat sich darauf eingestellt, die Menschen genießen die langen Sommerabende, und ob die erhöhte Zahl der Verkehrsunfälle wirklich auf die Zeitumstellung zurückzuführen ist, sei ungewiss: "Da hierzu die Datenlage nicht ausreicht und auch andere Faktoren, wie das Wetter, eine Rolle spielen, lässt sich keine eindeutige Kausalität zwischen der Sommerzeit und der Zahl der Unfälle feststellen.“ Das Fazit der Studie: "Die Kommission (geht) davon aus, dass die Sommerzeitregelung, wie sie mit der Richtlinie eingeführt wurde, nach wie vor angemessen ist. Kein Mitgliedstaat hat die Absicht geäußert, die Sommerzeit abzuschaffen oder die Bestimmungen der geltenden Richtlinie zu ändern.“

 

Eine Frage der Gewohnheit

Fest steht: Sollte die Sommerzeit je wieder abgeschafft werden, dann wohl nur EU-weit gleichzeitig – und das wäre ein erheblicher bürokratischer Aufwand. Auf einer Zeitinsel wie in den frühen 80er Jahren möchte heute kein Staat mehr leben, zu eng sind viele wichtige Geschäftstermine und Fahrpläne mit denen der Nachbarländer verwoben. Die ehedem hohe Organisation der Zeitumstellung ist heute ohnehin ein Kinderspiel geworden, Funkuhren und Elektronik sei Dank. Lässig springt die Atomuhr der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt in Braunschweig in der Nacht der Zeitumstellung ganz allein und superpräzise von 1:59 Uhr direkt auf 3:00 Uhr. „In der Nacht ist hier keiner wach und auch keiner aufgeregt“, berichtet Andreas Bauch von dem Braunschweiger Atomuhr-Institut, das in Deutschland für die gesetzliche Zeit zuständig ist. Lediglich die Sendeanlage im hessischen Mainflingen, die das Zeitsignal aus Braunschweig 2000 Kilometer weit durch Europa trägt, wird in den Tagen vor der Zeitumstellung noch einmal gecheckt. "Die Geräte müssen sowieso regelmäßig gewartet werden, und das legen wir immer in die Tage vor der Zeitumstellung“, erklärt Bauch gelassen.

Allein 120.000 öffentliche Uhren in Deutschland und geschätzte 100 Millionen Funkuhren in ganz Europa reagieren auf das Zeitsignal und stellen sich in der Nacht wie von Geisterhand automatisch um. Bei zahlreichen analogen Weckern, Liebhaber-Wanduhren, Kuckucks- oder Kirchturmuhren ist allerdings Handarbeit angesagt – am besten schon am Samstagabend: In der müden Verwirrtheit, die die Sommerzeitumstellung mit sich bringt, hat sich schon mancher eine Stunde zu spät zum sonntäglichen Kaffeeklatsch eingefunden.

Genau diese kleinen Pannen sind es auch – neben der Müdigkeit –, die viele Menschen gegen die Sommerzeit aufbringen. Ohne die Zeitumstellung bliebe unsere innere Uhr im Takt, die Eulen unter den Chronotypen hätten es nicht so schwer und auch die lästige Suche nach dem "Sommerzeit“-Knopf im Handy fiele weg. Trotzdem geht der Trend eher in eine andere Richtung – Russland macht es vor: Dort hat man die Winterzeitumstellung 2011 einfach ausfallen lassen. Seitdem herrscht im kühlen Russland ewige Sommerzeit.

 

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