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Telegram: Wie kann eine Regulierung aussehen?

Spätestens als der allseits bekannte Michael Wendler seine Verschwörungstheorien in den dunklen Tiefen von Telegram verbreitete, hatten auch die Letzten von dem umstrittenen Messengerdienst gehört. Auch soziale Netzwerke fallen durch fehlende Eindämmung von Desinformation immer wieder negativ auf. Doch was macht Telegram noch gefährlicher? Und wie könnte man es regulieren?
JFR, 07.01.2021

Telegram ist ein Messengerdienst und somit theoretisch kein Massenkommunikationsmittel.

GettyImages, stockcam

Telegram wurde 2013 von russischen Entwicklern gegründet und hat heutzutage seinen Sitz in Dubai.  Im Gegensatz zu dem in Deutschland weit verbreiteten Messengerdienst WhatsApp, bietet Telegram nicht nur Einzelchats und kleinere Gruppenchats an, sondern auch die Möglichkeit in Gruppen mit bis zu 200.000 Mitgliedern zu chatten und Kanäle zu abonnieren, denen unbegrenzt viele weitere Leute folgen können. Nur Ersteller und Administratoren der Kanäle können Nachrichten schreiben.

Ich hör dich nicht, du hörst mich nicht

Genau so wie der YouTube-Algorithmus den Nutzern mit neuen Vorschlägen immer einseitigere Inhalte zeigt, laufen auch Mitglieder von Telegram-Gruppen in Gefahr, in eine Filterblase zu geraten, in der keine Diskussionskultur herrscht und im schlimmsten Fall Unwahrheiten und Lügen als alternativlos dargestellt werden. Das wird noch dadurch verstärkt, dass Telegram deutlich anonymer ist als andere soziale Netzwerke, da in den Kanälen nur zugehört werden kann und ein Beitritt in eine Gruppe nur über Einladungslink möglich ist. In solchen geschlossenen Räumen wird es schwierig, über zweifelhafte Aussagen zu diskutieren oder Lügen zu widersprechen.

Eine unterschätze Gefahr ist laut Ann Cathrin Riedel, der Vorsitzenden des Vereins für liberale Netzpolitik Load, auch die Schnelligkeit, mit der sich Desinformation über Messengerdienste ausbreitet: "Jeden Tag nutzen Milliarden Menschen WhatsApp, Telegram oder den Facebook-Messenger, aber was dort passiert, ist von außen kaum einsehbar. Dort kommt es zu anderen Gruppendynamiken als in öffentlichen Räumen wie Facebook oder YouTube. Messenger bieten einen gefährlichen Nährboden für Desinformation."

Nachricht oder Netzwerk?

Facebook, Twitter & Co. sind aus juristischer Sicht soziale Netzwerke und somit entsprechenden Regeln bezüglich strafbarer Inhalte unterworfen. Die Gesetze schreiben ihnen unter anderem vor, verbotene Inhalte wie die Holocaustleugnung, aber auch Morddrohungen oder Aufforderungen zur Gewalt zu löschen. Auch wenn wiederholt nachweislich falsche Aussagen gepostet werden, kann dies zur Sperrung eines Accounts führen – wie im Beispiel des Ex-US-Präsidenten Donald Trump.

Telegram hingegen ist ein Messengerdienst und somit in der Theorie kein Massenkommunikationsmittel. Allerdings wird Telegram durch die großen Gruppen und Kanäle wie ein soziales Netzwerk genutzt.

Trotzdem entkommt Telegram aufgrund seines Status als Messengerdienst regulatorischen Maßnahmen wie der zeitnahen Löschung von strafbaren Inhalten. Damit fehlt den Behörden bisher die juristische Grundlage, um Telegram und andere Angebote, die sich nicht strikt an die Kategorien von Gesetzen wie dem deutschen Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) halten, zu belangen.

Handlungsspielraum der Politik

Versucht haben es die Behörden dennoch: Weil Telegram auch in Deutschland genutzt wird und seine Inhalte gegen das NetzDG verstoßen, haben sie ein Bußgeld in Höhe von bis zu 50 Millionen Euro gegen das Unternehmen verhängt. Für die Durchsetzung der Strafe ist allerdings die Kooperation der Vereinigten Arabischen Emirate notwendig.

Doch da bisher jegliches Entgegenkommen aus Dubai fehlt, ist die Politik dazu übergegangen, die App-Stores in den Konflikt zu involvieren, welche die Telegram-App in ihrem Angebot haben. Denn wenn Nutzer die Telegram-App nicht mehr aus den App-Stores downloaden können, wird die Reichweite von Telegram stark eingeschränkt.

Somit säßen die App-Stores laut Matthias Kettemann von der Universität Innsbruck am längeren Hebel, da diese mit der Drohung bestimmte Apps aus dem App-Store zu löschen ein größeres Druckmittel in der Hand hätten als die Politik mit ihren Geldstrafen. Dies zeige sich auch am Beispiel Attila Hildmanns, dessen dubiose Kanäle erst von Telegram gelöscht wurden, nachdem sich die App-Stores einschalteten.

Eine langfristigere Lösung schlägt jedoch der Professor für Medienrecht und Medienpolitik Tobias Keber von der Hochschule der Medien in Stuttgart vor: "Für das soziale Netzwerk sollen die Mechanismen des NetzDG, also beispielsweise die zeitnahe Löschung offensichtlich rechtswidriger Inhalte greifen, für Messenger nicht", sagt er. "Das könnte der Gesetzgeber auch schnell mit einer Anpassung ändern, es wäre nicht das erste wichtige Update des NetzDG."

Auch wenn die Regulierung der sozialen Netzwerke und Messenger-Apps zur Eindämmung der Verbreitung von Desinformation in Europa und anderen Staaten erst am Anfang steht, bleibt es entscheidend die Schwierigkeiten zu überwinden und eine Lösung zu finden.

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