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Weltatlas der Sprachstrukturen
1.8.2005: Grammatik ist eine trockene und komplizierte Materie, und die Vielfalt der unterschiedlichen Lautstrukturen und Satzbaumuster in den Sprachen der Welt ist so groß, dass kein einzelner Wissenschaftler den Überblick behalten kann. Eine Arbeitsgruppe am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie hat nun ein monumentales Werk vorgestellt, das bisherige Forschungen tausender Einzelsprachforscher in völlig neuartiger Form zugänglich macht: Den "Weltatlas der Sprachstrukturen", der auf 142 farbigen Weltkarten die geografische Verteilung von sprachlichen Strukturvariablen auch für Laien anschaulich zeigt. Mitgeliefert wird eine interaktive CD-ROM, mit deren Hilfe der Benutzer eine Vielzahl von Hypothesen überprüfen und eigene Karten generieren kann. Dieser Datenschatz wird die vergleichende Sprachwissenschaft auf eine neue Grundlage stellen. Schon jetzt zeichnet sich eine überraschende Erkenntnis ab: Strukturmerkmale sind viel stärker geografisch bedingt als bisher angenommen.
Über 2000 Sprachen erfasst
Von den etwa 7.000 zur Zeit noch gesprochenen Sprachen sind 2.560 im "Weltatlas der Sprachstrukturen" vertreten, allerdings pro Weltkarte "nur" durchschnittlich 400. Das liegt daran, dass nur ein paar hundert Sprachen wirklich gut beschrieben sind, während wir von den übrigen bisher nur fragmentarische oder gar keine Kenntnisse haben. 6.800 Quellen wurden von einem 50-köpfigen Autorenteam unter der Leitung von Prof. Dr. Martin Haspelmath, Dr. David Gil und Prof. Dr. Bernard Comrie (in Zusammenarbeit mit Prof. Matthew Dryer, University at Buffalo) ausgewertet. Auf den Karten des Atlasses herrscht Gleichberechtigung: Jede Sprache, egal wie viele Sprecher sie hat, wird durch ein Kreissymbol dargestellt. Für die Sprachwissenschaftler sind kleine, zum baldigen Aussterben verurteilte Sprachen ebenso interessant wie die großen Nationalsprachen.