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Beethovens 9. Symphonie: Eine Ode an die Freude
Wie aktuell ist das Werk?
Richard Wagner stieg mit der 9. Symphonie Ludwig van Beethovens anno 1849 auf die Dresdner Barrikaden; im Ersten Weltkrieg avancierte sie zur Kampf- und Heldensymphonie; die Nazis vereinnahmten sie für ihre deutsch-völkischen Weihefeiern; die Kommunisten entdeckten sie als Manifest sozialistischer Völkerfreundschaft. Sie scheint unvermeidlich bei Haupt- und Staatsaktionen, ganz abgesehen von den jährlichen Silvester- und Neujahrseinsätzen. Dass die Schiller-Hymne des Chorfinales mittlerweile zur Europa-Hymne umgewidmet wurde, ist ein weiterer Karrieresprung. Offensichtlich hat diese Symphonie den politischen »Zeitgeist« immer im Gepäck.
Welchen Stellenwert hat die Symphonie?
Sie gilt als eines der besten symphonischen Werke. Mag die »Neunte« als ideologische Projektionsfläche allzu oft missbraucht worden sein und als Feier-Symphonie zum Überdruss abgespielt wirken, als autonomes Kunstwerk setzte sie in der symphonischen Klassik Maßstäbe, die es den folgenden Generationen schwer machten, weitere Fortschritte in dieser Gattung zu erzielen. Fortschritt aber war das Zauberwort des 19. Jahrhunderts, sowohl in Forschung, Wissenschaft und Wirtschaft als auch in der Kunst. Denn, so Beethoven, nicht nur Freiheit, sondern auch »Weitergehn« (also Fortschritt) »ist in der Kunstwelt, wie in der ganzen großen Schöpfung, Zweck«.
In welcher Situation entstand die Symphonie?
1815 war Beethoven noch einmal als Pianist aufgetreten, doch zwang ihn schon seine Taubheit, sich mit der Umwelt schriftlich zu verständigen. Eine Form gesellschaftlicher Isolierung, die er mit Misstrauen und Misanthropie erwiderte. Umso stärker war die Konzentration auf das »innere Ohr«, das ohne die kontrollierende Hilfe eines Klaviers jene Sicherheit gab, die eigene Tonwelt in Noten zu fassen und so für die Menschheit hörbar zu machen. Während die Presse über eine Schaffenskrise spekulierte und als Beweis Krankheiten und die jahrelangen Gerichtsprozesse mit der Mutter seines Neffen Karl um die Vormundschaft anführte, reiften nicht nur die »Hammerklaviersonate«, die »Diabelli-Variationen« und die »Missa solemnis« zur Vollendung, es bildeten sich auch die ersten Keimzellen für eine neue, eine neunte Symphonie.
Anlass war 1817 ein Auftrag der Londoner Philharmonic Society für zwei Symphonien. Es entstanden erste Skizzen und Entwürfe, an denen sich erkennen lässt, wie beharrlich Beethoven an der Themenbildung feilte. Schon 1818 dachte er daran, das Finale der in d-Moll angelegten Symphonie um Singstimmen zu erweitern. Dennoch stand der Auftrag lang auf der Warteliste, bevor Beethoven 1822 alle schöpferischen Kräfte mobilisierte. Die Uraufführung 1824 machte beim Wiener Publikum gewaltigen Eindruck, nicht zuletzt wegen des Finales mit Solistenquartett und Chor, wofür der Komponist einige Strophen aus Schillers »Ode an die Freude« ausgewählt hatte.
Was ist so neu an der »Neunten«?
Indem Beethoven die klassische Form der Symphonik vollendet, sprengt er sie gleichzeitig. Er erweitert nicht nur die Kontraste innerhalb der Sätze, sondern setzt sie durch den Tausch von Scherzo und Adagio auch in einen neuen Bezugsrahmen. Mit fallenden Quinten bereitet er den Hörer auf das Hauptthema des ersten Satzes vor, dessen weiträumige Entwicklung und Verarbeitung ebenso ungewöhnlich ist wie im Scherzo das eintaktige Kernmotiv, aus dem sich das Hauptthema formt. Im langsamen Satz bilden zwei Themen eine Variationskette von großer Vielfalt.
Wodurch wird der letzte Satz so einzigartig?
Das Finale wird zunächst mit Orchesterrezitativen und rekapitulierenden Zitaten von Themen der vorangegangenen Sätze eingeleitet. Erst jetzt nimmt das Orchester die berühmte Freudenmelodie auf, um sie anschließend an Chor und Solisten weiterzureichen. Damit ist der Bereich der absoluten Musik verlassen. Von retardierenden Momenten unterbrochen, steigert sich der Freudenhymnus zu einer Feier allumfassender Brüderlichkeit, die den Schiller'schen Idealismus in Beethovens Klangwelt versetzt.
Wussten Sie, dass …
die Berliner Mauer 1989 unter den Klängen der 9. Symphonie Beethovens fiel?
Wagner sagte, die »Neunte« sei »Erlösung der Musik aus ihrem eigensten Elemente heraus zur allgemeinsamen Kunst. Sie ist das menschliche Evangelium der Kunst der Zukunft.«
der Komponist exhumiert und auf dem Wiener Zentralfriedhof neu bestattet wurde?
Wie kam der Bonner zu dem »van« in seinem Namen?
Das »van« brachten die Vorfahren aus dem flämischen Mecheln mit, die ins Rheinland eingewandert waren und von denen die Musikerfamilie Beethovens abstammte. Nach dem Vorbild Mozarts sollte auch er ein musikalisches Wunderkind werden. Der Vater und später Bonner Musikerkollegen bildeten Ludwig aus, der 1787 nach Wien ging, um dort sein Studium fortzusetzen. Zu einer Ausbildung bei Mozart kam es nicht, der frühe Tod der Mutter ließ ihn nach Bonn zurückkehren. Erst 1792 siedelte Beethoven nach Wien über, wo Joseph Haydn und Antonio Salieri die Ausbildung übernahmen. Zunächst vor allem als Pianist und Interpret eigener Werke berühmt, zwang ihn ab 1819 seine Taubheit, sich auf das Komponieren zu beschränken. Beethoven starb 1827 in Wien, wohl an den Folgen einer chronischen Bleivergiftung.
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