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Das antike Rom: Staatstragender Glaube mit Integrationskraft

Woraus entwickelte sich die römische Religion?

In ihren Anfängen war die römische Religion noch recht archaisch. Jede Gottheit stand für einen bestimmten Lebensbereich – Vesta für das Haus, Ceres für Wachstum, Flora für die Blüte – und wurde niemals bildlich dargestellt. Man verehrte die Götter in heiligen Hainen oder Bezirken und brachte vor Altären Pflanzen- oder Tieropfer dar. Menschenopfer waren dagegen kein gängiger Bestandteil der römischen Religion. Dennoch wurden in den Katastrophenjahren 228 und 216 v. Chr., als das Römische Reich von Illyrern und von Hannibal bedroht war, jeweils Gallier und Griechen auf dem Forum Boarium lebendig begraben.

Welche neuen Elemente wurden aufgenommen?

Durch die Berührung mit der griechischen Kultur seit der Mitte des 3. Jahrhunderts v. Chr. änderte sich auch das Wesen der römischen Religion allmählich und die Gottheiten bekamen ein »Gesicht«. Mit der Schaffung von Götterbildern hielten die Götter Einzug in Tempel und die Gottheiten bekamen in zunehmendem Maße menschliche Züge, die man aus der griechischen Mythologie übernahm. Seit dem 2. Jahrhundert v. Chr. hielten zudem auch orientalische Mysterienkulte Einzug in das Römische Reich.

Wie wurde die römische Religion reformiert?

Unter Kaiser Augustus erlebte sie eine Erneuerung, nachdem es während der Bürgerkriege des 1. Jahrhunderts v. Chr. zu einem rapiden Verfall der Staatsreligion gekommen war. Durch Reformen und Baumaßnahmen wurde der Staatskult wieder belebt und verfallene Tempel restauriert. Zugleich übernahmen alle Kaiser seit Augustus das höchste Priesteramt (Pontifex maximus) und der Kaiser selbst wurde im ganzen Reich zum Gegenstand religiöser Verehrung. Durch die »interpretatio romana« erhielt die römische Religion während der Kaiserzeit einen weiteren wichtigen Impuls. Fremden Gottheiten mit ähnlicher Funktion wie die eigenen Götter gab man den Namen der römischen Götter oder fügte diesen hinzu. So wurde aus dem keltischen Gott Taranis »Jupiter« oder aus dem keltischen Gott Grannus »Apollo-Grannus«.

Als im 3. Jahrhundert n. Chr. Krisen fast zum Zusammenbruch des Reiches führten, wandten sich die Menschen verstärkt östlichen Mysterienkulten zu. Hierbei gewann das Christentum trotz starker Verfolgung unter den Kaisern Decius, Valerian und Diokletian immer mehr an Bedeutung und entwickelte sich unter Kaiser Konstantin und seinen Nachfolgern zur Staatsreligion.

Wie war die römische Götterwelt strukturiert?

Die altrömischen Götter standen gleichberechtigt nebeneinander und waren das Abbild einer auf Ackerbau und Viehzucht gegründeten Gesellschaft. Neben Gottheiten wie Faunus (Wald) oder den Laren (Felder und Häuser) verehrte man Volturnus (Flüsse), Saturnus (Aussaat), Volcanus (Feuer) oder Mars (Krieg). Auch für Männer und Frauen gab es eine entsprechende Schutzgottheit (einen persönlichen Genius und Juno). Nur Jupiter kam als Himmelsgott eine herausragende Bedeutung zu, da er das Gemeinwesen schützte. Zusammen mit Juno und Minerva bildete er seit dem Beginn der Republik die »kapitolinische Trias« und ihr Tempel auf dem Kapitol in Rom war das religiöse Zentrum der Stadt.

Welche Gottheiten wurden importiert?

Mit der Ausweitung der römischen Macht in Italien übernahm man seit dem 5. Jahrhundert v. Chr. auch Gottheiten, die von den Nachbarn der Römer verehrt wurden – so etwa die Gottheiten Minerva (Gewerbe), Diana (Jagd), Venus (Schönheit), Neptun (Meer) oder Fortuna (Glück). Durch die Berührung mit der griechischen Kultur kamen im 3. Jahrhundert v. Chr. Apollo (Heilung, Künste), Merkur (Reichtum, Gewinn) und Hercules (Verkehr) nach Rom.

Im Zuge der verheerenden Niederlagen gegen Hannibal bildete man im Jahr 217 v. Chr. eine Gemeinschaft aus sechs Götterpaaren, die seitdem als die zwölf großen Götter Roms verehrt wurden (Jupiter als oberster Gott und seine Gemahlin Juno, Neptun und Minerva, Mars und Venus, Apollo und Diana, Vulkan und Vesta, Merkur und Ceres). Als Vorbilder für ihre Statuen dienten die hochwertigen Schöpfungen der griechischen Bildhauerkunst. Während der Kaiserzeit betete man in den Nordprovinzen auch Gottheiten der Kelten und Germanen an.

Was versteht man unter Mysterienkulten?

Dabei handelt es sich um Kulte, denen etwas Geheimnisvolles und Fremdartiges anhaftet. Durch die römische Expansion im östlichen Mittelmeerraum kamen die Römer mit Gottheiten in Berührung, deren Verehrung ein Weiterleben der Seele im Jenseits versprach. Der Staat sah sich immer wieder gezwungen, die Ausübung dieser Mysterienkulte einzuschränken oder gar zu verbieten. Dem klassischen und traditionsverhafteten Römer waren diese Götter suspekt, dennoch nahm die Zahl der Gläubigen seit der ausgehenden Republik und in der Kaiserzeit rapide zu. Mit der Reichskrise im 3. Jahrhundert n. Chr. erlebten die Mysterienkulte ihre Blütezeit und wurden erst durch das Christentum verdrängt.

Welche Mysterienkulte gab es in Rom?

Der Kult der Kybele und des Attis war der erste Mysterienkult, der zu Beginn des 2. Jahrhunderts v. Chr. aus Kleinasien nach Rom gelangte. In diesem Kult spiegelte sich der ewige Kreislauf von Tod und Wiedergeburt; er wurde begleitet von wilden Tänzen und lärmender Musik. Auch der Isis-Kult aus Ägypten beinhaltete den Kampf zwischen Tod und Leben, da Isis der Sage nach ihren Gatten Osiris aus der Unterwelt erweckt hatte. Ihre Anhänger sollten durch Beten und Fasten ein süßes Leben nach dem Tod erhalten. Der Mithras-Kult kam aus Persien und wurde seit dem 1. Jahrhundert v. Chr. vor allem von Soldaten praktiziert. Vorherrschendes Thema war der Kampf des Guten gegen das Böse; am Ende des Lebens nahm Mithras seine Anhänger in der Ewigkeit auf. Der Kult enthielt verschiedene Weihegrade und eine Vielzahl von geheimnisvollen Riten formte seine Anhänger zu einer elitären Gruppe. Der Dionysos-Kult kam ebenfalls aus Kleinasien. Als »Schenker des Reichtums« versprach Dionysos seinen Anhängern im Jenseits ein Leben im Überfluss. Hierbei spielte der Weinkonsum eine zentrale Rolle, da er als das Blut des Dionysos galt. Weitere Mysterienkulte waren der Kult des Sabazius aus Thrakien oder der Kult des Sol Invictus (Baal) aus Syrien, die in der Kaiserzeit in Rom ihren Einzug hielten.

Wann entwickelte sich der Kaiserkult?

Er entstand mit dem Wechsel von der republikanischen Staatsform zum Kaisertum unter dem Kaiser Augustus. Nach der Ermordung Caesars wurde erstmals ein Römer unter die Götter erhoben und im Jahr 29 v. Chr. weihte sein Neffe Octavian-Augustus den Tempel für den »Divus Julius« (vergöttlichter Caesar) ein. Außerdem gestattete er griechischen Städten, zu Ehren seines eigenen Genius (göttliche Verkörperung) spezielle Tempel zu errichten und eigene Priester zu bestellen. Allerdings war er peinlich darauf bedacht, die Gefühle der Römer nicht zu verletzen, die äußerst empfindlich auf diese griechischen Bräuche reagierten, und verband zu diesem Zweck die Kaiserverehrung mit der Verehrung Roms als Gottheit (Roma). Zudem durften während seiner Regierungszeit in der Stadt Rom selbst keine Tempel für den Kaiserkult errichtet werden und er untersagte den römischen Bürgern zusätzlich die Kultausübung. Nach seinem Tod erhob man auch den Kaiser Augustus unter die Götter. Dies wurde zur gängigen Praxis für alle nachfolgenden Kaiser.

Welche Ausprägung nahm der Kaiserkult an?

Der Kaiserkult entwickelte sich im ganzen Reich zunehmend zur Staatsreligion und durch die Stiftung von Tempeln und die Bestellung von Priestern bekundeten die einzelnen Provinzen ihre Loyalität gegenüber dem Kaiserhaus und damit gegenüber dem Imperium. Dort entstanden an zentralen Orten große Altarbezirke für den Kaiserkult, die zugleich als Versammlungsorte für die dort lebenden Stämme dienten. So war in Lyon das Zentralheiligtum für die drei gallischen Provinzen, und man nimmt an, dass Köln dieselbe Funktion für die Provinz Germanien jenseits des Rheins erfüllen sollte (diese Pläne wurden aber nach der Varus-Niederlage aufgegeben). Gerade dieser Aspekt der römischen Religion brachte die Juden und Christen in Konflikt zum römischen Staat. Die Weigerung, dem Genius des Kaisers zu opfern, ließ sie den übrigen Reichsbewohnern und den staatlichen Behörden suspekt erscheinen.

Welche Stellung hatten die Priester?

Die römischen Priester waren Teil der staatlichen Verwaltung. Während in der altrömischen Zeit einzelne Familiengeschlechter ein bestimmtes Priesteramt innehatten, übernahmen später priesterliche Genossenschaften (collegia) diese Funktion. Zu den Voraussetzungen für das Priesteramt gehörten freie Geburt, körperliche Unversehrtheit und ein unbescholtener Lebenswandel. Während die Priester ursprünglich vom König und später von den Priesterkollegien selbst ausgewählt wurden, übernahmen seit dem Jahr 104 v. Chr. die Volksversammlungen das Auswahlverfahren.

Wie war die Priesterschaft gegliedert?

Der Pontifex maximus war der oberste Priester der römischen Religion und leitete das wichtigste Priesterkollegium Roms, welches aus 15 Priestern bestand. Diese führten die Aufsicht über den staatlichen und privaten Kult. Die sechs Vestalinnen hüteten das heilige Herdfeuer im Tempel der Vesta, das immer brennen musste, da von ihm das Schicksal des Staates abhing. Die Priesterinnen unterstanden direkt dem Pontifex maximus, waren der Keuschheit verpflichtet und genossen ein sehr hohes Ansehen im Staat. Die viri sacris faciundis (Männer zur Durchführung von Opfern) führten die Aufsicht über die fremden Kulte und befragten auf Anordnung des Senates die Sibyllinischen Bücher über das Schicksal des Staates, während die Auguren spezielle Vorzeichen wie zum Beispiel Vogelflug oder Blitzschläge deuteten.

Welche weiteren Aufgaben übernahmen die Priester?

Weitere bedeutende Priesterschaften waren die epulones, welche den obersten Staatstempel auf dem Kapitol betreuten und die sodales augustales, die mit der Abhaltung des Kaiserkultes betraut waren. Die berühmten haruspices (Opfer-, Eingeweideschauer) stammten aus der etruskischen Religion und erkundeten die öffentliche und private Zukunft durch die Deutung von Wunderzeichen.

Wussten Sie, dass …

die Römer ihren Göttern Opfer darbrachten, um sie zu besänftigen oder um etwas zu erbitten? Neben pflanzlichen Opfergaben wie Getreide, Wein, Bohnen, Früchten, Milch oder Honig opferte man zu besonderen Anlässen auch Stiere, Kühe, Schweine, Schafe oder Ziegen.

im Shintoismus und Hinduismus heute noch aus ähnlichen Gründen den Göttern Opfer dargebracht werden?

das lateinische Wort für Opfertier, hostia, heute noch in der katholischen Kommunion verwendet wird?

Wie entstand der römische Kalender?

Als Vorläufer unseres heutigen Kalenders beinhaltete der römische Kalender bereits alle wichtigen Bestandteile der heutigen Jahresrechnung. Seit der frührömischen Zeit teilte man das Jahr in zwölf Monate ein, deren Namen sich bis heute überliefert haben. Seit Julius Caesar hatte das Jahr 365 Tage, wobei alle vier Jahre ein Schaltjahr mit 366 Tagen einsetzte. Die Monatstage zählte man rückwärtig zu den Stichtagen an den Kalenden (1. Tag im Monat), Nonen (5. oder 7. Tag) und Iden (13. oder 15. Tag). So ist der 24. Dezember der 9. Tag vor den Kalenden des Januar. Im 3. Jahrhundert n. Chr. wurde die siebentägige Planetenwoche eingeführt, die wir noch heute benutzen. Seit Kaiser Konstantin feiern wir den Sonntag als wöchentlichen Feiertag. Des Weiteren gab es zahlreiche »feriae« (Festtage), von denen wir unser Wort Ferien herleiten und die heutigen Feiertagen ähnelten. So beschenkte man sich an den Saturnalien am 17. Dezember mit Kerzen und Puppen.

Wussten Sie, dass …

im Staatskult im Laufe der Zeit die Tieropfer an Bedeutung gewannen? Dabei opferte man den männlichen Göttern männliche Tiere und den weiblichen Göttern weibliche Tiere. Jede Gottheit bekam dabei ein bestimmtes Opfertier – Jupiter einen weißen Stier, Juno eine Kuh oder Merkur einen Ziegenbock.

der römische Kaiserkult im Zuge der Christianisierung des Reichs im 4. nachchristlichen Jahrhundert nicht mehr praktiziert wurde? Die göttliche Legitimierung des Kaisers blieb jedoch bis in die Neuzeit erhalten. Der Gottkönig wurde zum Kaiser »von Gottes Gnaden«.

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