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Der Ekel von Sartre: Die radikale Freiheit des Individuums
Welche Absicht verfolgte Sartre mit »Der Ekel«?
»Der Ekel« enthält die Kernsätze von Jean-Paul Sartres (1905–1980) Existenzialismus und stellt sie in einer fiktiven Handlung konkret dar. Sartre legte damit 1938 einen Roman über die Problematik der menschlichen Freiheit vor, bevor er die grundlegenden Gedanken seiner Existenzphilosophie in seinem theoretischen Hauptwerk »Das Sein und das Nichts« (1943) formulierte.
Wie geht der Roman vor?
In der Form eins Tagebuchs beschreibt Antoine Roquentin seinen Aufenthalt in der Provinzstadt Bouville (Dreckstadt), in deren Bibliothek er seit drei Jahren historische Studien treibt. Er beginnt, das Tagebuch zu führen, um dem Ekel auf den Grund zu kommen, der ihn immer wieder überfällt. Er empfindet diese Abscheu zunächst bei der Berührung bestimmter Gegenstände, die ihm in seinem gleichförmigen Alltag begegnen, später vor anderen Menschen und schließlich vor sich selbst. In der Reflexion über seinen Ekel vor der Welt, der zum Normalzustand wird, enthüllt sich Roquentin das Wesen der menschlichen Existenz.
Was erkennt der Held?
Roquentin erkennt die grenzenlose Freiheit des Individuums, indem ihm die Überflüssigkeit und Absurdität der Dinge, der anderen Menschen und seiner selbst, also alles Existierenden, bewusst wird. Gleichzeitig muss er aber begreifen, dass der Mensch mit dieser Freiheit ganz auf sich selbst zurückgeworfen wird: Nur sich selbst verantwortlich, ohne jeden transzendentalen Rückhalt, existiert der Einzelne in einer nicht zu überwindenden Einsamkeit: »Aber diese Freiheit ähnelt ein wenig dem Tod.«
Welche Konsequenz zieht die Romanfigur?
Roquentin bricht die sinnlos gewordene Arbeit ab und verlässt Bouville, um einen Roman zu schreiben, wodurch er sein existenzielles Dilemma zu überwinden hofft. Die radikale Erkenntnis der Nichtigkeit, die seinen Ekel ausgelöst hatte, und der Freiheit des Menschen, das Leben eigenverantwortlich nach eigenen Vorstellungen gestalten zu können, hatte ihn zunächst zu einem Bedürfnis nach Revolution geführt. Er musste aber erkennen, dass er zu unbedeutend ist, um als Einzelner gesellschaftliche Veränderungen bewirken zu können, und allenfalls sich selber ändern kann – doch wegen seines unbeständigen Wesens gelingt ihm nicht einmal das. Am Ende sucht er eine Lösung in der Kunst: Ob ihm das gelingt, bleibt offen, die Tagebuchaufzeichnungen brechen hier ab.
Hält Sartre die menschliche Existenz für sinnlos?
Nein, Sartre leugnet zwar alle transzendentalen Gehalte und damit einen übergreifenden gegebenen Sinn, daraus folgt für ihn aber nicht die gänzliche Sinnlosigkeit allen menschlichen Handelns, sondern die Möglichkeit des Einzelnen, sich als autonomes Ich zu verwirklichen. Indem sich vor dem Menschen das Nichts auftut, eröffnet sich ihm zugleich eine unbegrenzte Freiheit. Die Freiheit besteht in der umfassenden Verantwortung des Menschen für sein Tun; jeder muss sich den Sinn seiner Existenz selbst schaffen und dies ist nur in einem »totalen Engagement« möglich. Für Antoine Roquentin – und für Sartre– geschieht dies im künstlerischen Akt. Ob Roquentin seinen Roman schreibt, wissen wir nicht; Sartre jedenfalls hat seiner Existenz durch »Der Ekel« einen Sinn gegeben.
Was ist existenzialistische Literatur?
Sie versteht sich als künstlerische Gestaltung der Ideen und Fragestellungen der Existenzphilosophie, die sich mit dem konkreten Dasein des Menschen und seiner Bedeutung in der Welt auseinandersetzt. Es geht um die Freiheit des Einzelnen, Entscheidungen über sein Dasein treffen zu können – eine Freiheit, zu der der Mensch verdammt ist und die ihm eine elementare Angst einflößt. Als Begründer der Existenzphilosophie gilt Sören Kierkegaard (1813–1855); wichtige Vertreter waren Friedrich Nietzsche und Martin Heidegger. In den 1940er Jahren erlebte die Existenzphilosophie durch Sartre, der seine Gedanken theoretisch-abstrakt und auch literarisch-konkret formulierte, einen neuen Höhepunkt.
Was sind die wichtigsten Eckdaten in der Biografie Sartres?
Der am 21.6.1905 in Paris geborene Jean-Paul Sartre arbeitete nach seinem Studium an der Eliteschule École Normale Supérieure zunächst als Gymnasiallehrer in der Provinz. Schon damals lernte er seine spätere Weggefährtin Simone de Beauvoir kennen. Während des Zweiten Weltkrieges engagierte sich Sartre in der französischen Widerstandsbewegung. Nach Kriegsende avancierte er zum tonangebenden Intellektuellen Frankreichs. Zu Sartres Hauptwerken zählen neben dem Roman »Der Ekel« Dramen wie »Die Fliegen« (1943) und »Geschlossene Gesellschaft« (1948) sowie philosophische und essayistische Werke wie das »Das Sein und das Nichts« (1943) und »Was ist Literatur?« (1947). 1947 sorgte Sartre für einen Eklat, als er den Literatur-Nobelpreis ablehnte. Er starb am 15.4.1980 in Paris.
Wussten Sie, dass …
»Der Ekel« Sartre 1938 schlagartig bekannt machte? Der Roman, löste vor allem in Frankreich eine Welle gleichgesinnter Literatur aus. Sartres Lebensgefährtin Simone de Beauvoir befasste sich in ihren erzählerischen Werken ebenso mit den Folgen der Absurdität der menschlichen Existenz wie Albert Camus, mit dem Sartre lange eine enge Freundschaft pflegte.
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