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Kampf der Kulturen: Ein Kampf Gut gegen Böse?

Wer löste die Debatte über einen Kampf der Kulturen aus?

Das war der amerikanische Professor Samuel P. Huntington mit seinem 1993 erschienenen gleichnamigen Buch (Originaltitel: »Clash of Civilizations«). Huntington beschreibt darin ein mögliches neues globales Konfliktpotenzial auf der Basis kulturell-religiös-geschichtlicher Gegensätze und vor dem Hintergrund eines westlich geprägten Weltbildes. Die Thesen haben in westlichen Ländern heftige Diskussionen ausgelöst.

Was sind Zivilisationen?

Zivilisationen sind nach Huntingtons Definition die »höchsten kulturellen Gruppierungen von Menschen und die breiteste Ebene kultureller Identität, über die Menschen verfügen. ... Sie sind sowohl durch gemeinsame Elemente wie Sprache, Geschichte, Religion, Gewohnheiten, Institutionen definiert, wie auch durch die subjektive Selbstidentifikation der Menschen.« Gemeinsame Weltbilder, Lebensweisen und entsprechende gesellschaftliche und politische Wertesysteme würden sich demnach auf das Handeln von Menschen gleicher oder ähnlicher kultureller Herkunft auswirken. Unter den Kulturen sieht Huntington die größten Konfliktpotenziale und -bereitschaften im Islam und im Konfuzianismus.

Wie könnten künftige Konflikte aussehen?

Nach Huntington wird die Weltpolitik der Zukunft nicht mehr von konkurrierenden Ideologien oder von Nationalstaaten oder Wirtschaftsblöcken bestimmt. Die entscheidende Quelle von künftigen Konflikten sei vielmehr das Zusammenprallen der von »Kernstaaten« wie den USA, China und Russland angeführten, unterschiedlichen und teils verfeindeten Kulturen. Kulturelle Konflikte seien aber nicht nur an den »Fronten« zwischen den Zivilisationen zu beobachten, sondern auch in multikulturellen Staaten wie dem ehemaligen Jugoslawien, Indonesien und dem Sudan.

Sind Huntingtons Thesen plausibel?

Nur bedingt. Sein größtes Schreckgespenst ist eine anti-westliche konfuzianisch-islamische Allianz. Gerade am Beispiel des Islam lassen sich aber einige seiner Grundannahmen widerlegen. Die islamische Staatenwelt ist ethnisch, religiös, wirtschaftlich und sozial zu heterogen, als dass sie sich unter eine einheitliche Herrschaft zwingen ließe und so zu einem Gegenspieler des Westens werden könnte. Große Machtrivalitäten unter den führenden Staaten verhindern die Herausbildung eines islamischen »Kernstaates«, dem sich der Rest der Region unterwerfen würde. Die innenpolitische Entwicklung des Iran in den letzten Jahren zeigt zudem, dass das Experiment eines islamischen Gottesstaates gerade in der jüngeren Generation nur noch wenig Begeisterung hervorruft.

Besitzt der Islam ein Konfliktpotenzial?

Ja, denn man darf das Solidaritätsgefühl unter Muslimen nicht unterschätzen. Darüber hinaus ist von Bedeutung, dass der Konflikt zwischen der islamischen und westlichen Welt vor allem deshalb besteht, weil beide Kulturkreise universale Werte vertreten, die nicht vereinbar sind. Der Westen: Demokratie, Menschenrechte, Säkularismus – extremistische Kreise des Islam dagegen: islamische Rechtsordnung (Scharia), Auflösung der Nationalstaaten, Gottesherrschaft.

Gegen den Rest der Welt?

Trennung von Kulturen, Politik der Abgrenzung: Huntingtons Darstellungen folgen einem einfachen, verführerischen und daher gefährlichen »Wir-und-die-Anderen«-Schema, das die multikulturelle Realität vieler Gesellschaften ignoriert. Die Beschneidung des Asylrechts und Zuwanderungsquoten werden nicht verhindern, dass Migranten nach Europa strömen. Daher müssen in modernen Gesellschaften mit Menschen aus verschiedenen Kulturen ebenso Spielregeln für ein gewaltloses Miteinander gefunden werden wie auf internationaler Ebene. Der Anspruch von universalistischer Orientierung muss aufgegeben werden zugunsten eines globalen Klimas des Vertrauens unter allseitiger Beachtung, dass Kulturen unterschiedliche Werte haben.

Wie viele Zivilisationen gibt es?

Huntington unterscheidet sieben bzw. acht »Zivilisationen«: die westlich-christliche Kultur Europas, Nordamerikas und Ozeaniens; die orthodox-christliche Kultur der slawisch-griechischen Welt; die indisch-hinduistische Kultur; die konfuzianische Kultur Chinas mit ihren »Ablegern« in Ost- und Südostasien; die japanische Kultur; die islamische Kultur, die sich Osten bis nach Zentralasien und Indonesien erstreckt. Die Kultur Afrikas südlich der Sahara ist in diesem Modell nur möglicherweise als eigener Kulturkreis zu sehen. Bei Lateinamerika ist sich Huntington nicht sicher, ob es dem westlichen Kulturkreis zugeordnet oder als kulturell selbstständig betrachtet werden sollte.

Wussten Sie, dass …

Samuel P. Huntington Professor für Internationale Beziehungen in Harvard und Berater des US-Außenministeriums ist?

Huntingtons Theorie nicht erklären kann, warum in den letzten Jahren Konflikte innerhalb von Zivilisationen, wie in Ruanda oder Somalia, dominierten?

Huntington außer Acht lässt, dass häufig die ungleiche Verteilung von Reichtum auf der Welt sowie die Habgier der Nationen als die eigentlichen, äußeren Ursachen für das Entstehen von Konflikten anzusehen sind?

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