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Woran wir „toxische“ Beziehungen erkennen können
Zu Beginn einer neuen Beziehung schwebt das frisch verliebte Pärchen oft auf Wolke sieben. In einigen Partnerschaften kann sich dieses Bild jedoch schnell ändern. War man zunächst Hals über Kopf verliebt, gibt es nun dauernd Streit, einige Partner fühlen sich sogar sozial isoliert oder ausgelaugt – mit der Zeit entpuppt sich die neue Beziehung als wahres Gift.
Ein Drittel der Deutschen war schon in einer „toxischen Beziehung“
Ständige Kritik, Unehrlichkeit oder mangelnder Respekt in der Beziehung sind vielen bekannt. So ergab eine Studie aus dem Jahr 2021, dass knapp ein Drittel der Deutschen laut Eigenaussage bereits in einer „toxischen Beziehung“ waren – insbesondere Frauen gaben an, dass sie bereits einen schädlichen Partner an ihrer Seite hatten.
Doch toxisch ist nicht gleich toxisch. Welche Faktoren eine nicht besonders gesunde Beziehung von “emotionaler oder psychischer Grausamkeit” unterscheidet, untersuchten Mitarbeiter der Online-Therapieplattform Hallo Morgen. Sie befragten fast 3.000 Teilnehmer zu den Verhaltensweisen ihrer Partner und unterteilten die Paare darauf basierend in drei Gruppen: wenig, mittelstark und stark belastete Beziehungen.
Manipulation: Ein kontrollierendes Verhaltensmuster
Manipulation – verstanden als gezielte Kontrolle und Beeinflussung des Partners durch Drohungen, Schuldzuweisungen oder emotionale Erpressung – erwies sich in der Studie als ein besonders stark ausgeprägter Faktor in schädlichen Beziehungen. Ein solches Verhalten kann das Leben der betroffenen Partner massiv beeinträchtigen.
„Manipulation ist eine der subtilsten und gleichzeitig schädlichsten Verhaltensweisen in toxischen Beziehungen. Sie untergräbt das Selbstwertgefühl der Betroffenen, die ständig versuchen, den Forderungen des Partners nachzukommen, selbst wenn diese den eigenen Überzeugungen widersprechen“, erklärt Johanna Trittien, Psychotherapeutin und Gründerin von Hallo Morgen.
Das bestätigten auch die Studienergebnisse. Knapp 85 Prozent der Befragten in der Gruppe mit den stärksten Anzeichen für Toxizität bestätigten, sich oft unter Druck gesetzt zu fühlen und Dinge gegen ihren Willen zu tun. Ähnlich viele Betroffene berichteten, dass ihre Partner sogar durch Schuldzuweisungen oder Drohungen versuchten, sie zu bestimmten Entscheidungen zu drängen.
Abgeschnitten vom sozialen Umfeld
Auch Isolation, also das gezielte Abschneiden des Partners vom sozialen Umfeld, ist in stark schädlichen Beziehungen häufig zu finden. Fast 80 Prozent der Befragten in sehr stark schädlichen Beziehungen gaben an, sich isoliert oder alleingelassen zu fühlen, im Gegensatz zu knapp 20 Prozent in der leicht betroffenen Gruppe.
„Isolation verstärkt die toxische Dynamik in einer Beziehung, da der Zugang zu externen Unterstützungsquellen blockiert wird. Betroffene empfinden es dadurch als viel schwieriger, ihre Situation zu erkennen oder den Mut zu fassen, die Beziehung zu beenden“, erklärt Trittien.
Teilweise schränken toxische Partner die Kontakte zu Familie und Freunden direkt ein. Doch auch subtilere Kontrolle kann verhindern, dass der Betroffene soziale Unterstützung erfährt. Besonders aufschlussreich ist hier die Frage: „Hat dein Partner je kritisiert oder abgewertet, mit wem du Zeit verbringst?“. Sie wurde von 91 Prozent der stark Betroffenen bejaht.
Kontrolle verstärkt schwierige Dynamiken
Ob die Forschenden eine schädliche Beziehung als „stark belastend“ oder als eher „mittelstark belastend“ einteilten, entschieden sie zudem anhand eines dritten Faktors: Kontrolle. So gaben in der Gruppe mit stark schädlichem Beziehungsmuster knapp 80 Prozent der Befragten an, dass ihre Partner ihre Handlungen überwachten, verglichen mit nur 16 Prozent in der mittelstark belasteten Gruppe.
„Kontrolle verstärkt die toxische Dynamik in einer Beziehung“, erklärt Trittien. „Sie schafft ein Klima ständiger Überwachung und schränkt die Freiheit der betroffenen Person stark ein. Diese Dynamik kann bei Betroffenen dann auch dazu führen, sich bestimmte Dinge nicht mehr zu trauen oder sich rechtfertigen zu müssen.
Flunkereien sind „normal“
Unehrlichkeit und mangelnde Kommunikation in Beziehungen sind hingegen nicht unbedingt schädlich. „Probleme mit Kommunikation oder Unehrlichkeit kommen in vielen Beziehungen vor und deuten nicht zwangsläufig auf eine stark toxische Beziehung hin – solange sie nicht zu häufig auftreten“, erklärt Trittien.
41 Prozent der weniger belasteten Gruppe hatten ihre Partner schon einmal bei einer Lüge ertappt, im Vergleich zu 67 Prozent der stark betroffenen Gruppe. Dabei macht es allerdings einen Unterschied, ob es sich bei der Lüge um eine kleine Flunkerei handelte oder um tiefgreifende Geheimnisse.
Der schwere Weg aus der schädlichen Partnerschaft
Doch egal, ob leicht, mittel oder stark betroffen – erst einmal in einer schädlichen Beziehung gefangen, gelingt es oft schwer, dieser wieder zu entkommen. „Der Satz ‚Warum bist du geblieben?‘ ist eine häufig gestellte und gefürchtete Frage an Missbrauchsopfer, da viele Menschen die Hürden nicht verstehen, eine gewalttätige Beziehung zu verlassen“, erklärt die Psychologin Nicoly Charlot. Nur etwa die Hälfte der Betroffenen schafft es demnach, eine schädliche Beziehung allein zu beenden.
Der Grund: Normalerweise zeigt der missbräuchliche Partner beim ersten Date noch seine freundliche Seite. Manipulation und Eifersucht treten erst schleichend auf. Wie der sprichwörtliche Frosch im Kochtopf gewöhnt sich das “Opfer” mit der Zeit an das Verhalten und erkennt die schädliche Natur der Beziehung erst, wenn sie das eigene Leben bereits massiv beeinträchtigen. Im schlimmsten Fall haben die Betroffenen dann jedoch bereits Kinder mit dem Täter, sind finanziell abhängig oder sozial isoliert – das erschwert es ihnen wiederum, zu gehen.
Gefährliche Muster frühzeitig erkennen
Wie können Datende also erkennen, ob der zukünftige Liebste eine gute Partie ist oder doch eher missbräuchliche Tendenzen hat? Laut einer Studie sind starke Indikatoren und Warnsignale für zukünftige Misshandlung in der Beziehung schon früh einsetzender sexueller Druck, die Missachtung der Meinung des Partners und ständige Kritik. Je mehr und je häufiger diese Verhaltensweisen vorkommen, desto wahrscheinlicher ist auch zukünftiger Missbrauch.
Dank der Einteilung in wenig, mittelstark und stark belasteten Beziehungen, könnten Angehörige laut Trittien besonders schädliche Beziehungen zielgerichteter erkennen und Betroffene entsprechend unterstützen. „Eine professionelle Therapie, ob vor Ort oder online, kann dann helfen, eine toxische Beziehung zu beenden und die Betroffenen vor langfristigen Folgen für die mentale Gesundheit zu schützen“, so die Therapeutin.