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Melvilles Moby Dick: Abenteuerroman mit tiefgründiger Symbolik

Was war das bevorzugte Thema von Melville?

Herman Melville (1819–1891) schrieb am liebsten über das Meer. Wo immer er sich aufhielt, glaubte Melville, auf dem Meer zu sein. »Jetzt, da alles mit Schnee bedeckt ist, habe ich hier auf dem Lande das Gefühl, als wäre ich auf See«, notierte er in sein Tagebuch: »Morgens, wenn ich aufstehe, schaue ich aus dem Fenster wie aus dem Bullauge eines Schiffs auf dem Atlantik.« In Abenteuerromanen wie etwa »Moby Dick« verarbeitete Melville auch seine Zeit als Walfänger auf hoher See. Bereits das Erzähldebüt »Taipi« (1846) schildert seinen 18-monatigen Aufenthalt unter den Südseeinsulanern der Marquesas-Inseln. In New York und Boston wurde er daraufhin schnell berühmt als »der Mann, der unter Kannibalen lebte«. Danach sank Melvilles Stern, und als »Moby Dick« 1851 herauskam, wurde das Buch als »übel zusammengeschusterte Mischung aus Abenteuerroman und Tatsachenbericht« verrissen. Auch alle späteren Romane waren finanzielle Desaster.

Worum geht es in »Moby Dick«?

»Moby Dick« erzählt von den maritimen Abenteuern des Ich-Erzählers Ishmael, der zunächst im Walfangzentrum New Bedford die Bekanntschaft des bedrohlich wirkenden Polynesiers (und Kannibalen) Queequeg macht. In Pittsburg heuern beide auf dem Walfänger »Pequod« an, der nach einem ausgestorbenen Indianerstamm benannt ist und von Kapitän Ahab befehligt wird. Zur Mannschaft gehören außerdem der kluge Schiffsmaat Starbuck, der unbeschwerte Stubb und der clownhafte Flask sowie die Harpuniere Tashtego (ein Indianer) und Daggoo (ein Afrikaner).

In der Folge schildert Melville, wie der einst von dem riesigen weißen Wal Moby Dick verstümmelte Kapitän besessen nach dem Untier sucht, das ihm als »monomane Inkarnation aller bösen Kräfte« erscheint. Zu diesem Zweck hat Ahab extra eine zwielichtige Truppe unheimlicher Malaien unter Deck versteckt – und dies ist nicht die einzige gespenstische Situation an Bord.

Worauf weist die versteckte Symbolik hin?

Auf den ersten Blick handelt »Moby Dick« vom irrsinnigen Rachefeldzug eines Seemanns, der seine Beinprothese dem weißen Wal verdankt. Kapitel wie »Weiß« über das Feierliche beziehungsweise Unheimliche der Farbe aber lassen eine symbolische Lesart des Romans zu: Dann wäre die besessene Jagd Kapitän Ahabs als Versuch zu deuten, hinter das Geheimnis der Welt oder des Bösen (personifiziert in der weißen »Außenhaut« des Wals) vorzustoßen. Das Walfangmanöver wäre Höhepunkt eines faustischen Pakts, bei dem der nach höherer Erkenntnis und »Wahrheit« strebende Ahab seine Seele dem Teufel verschrieben hat.

Welche Bedeutung hat das Ende der Geschichte?

Am Ausgang der Geschichte offenbart sich der tiefere Sinn des Romans. Nach dreitägigem erbittertem Kampf verhakt sich der Kapitän im Seil seiner Harpune und wird auf dem Rücken Moby Dicks in das unergründliche Meer gerissen. Über das Seil auf Gedeih und Verderb mit seinem Widersacher verbunden, wird »sein zerrissener Körper und seine tiefverwundete Seele« vom »Leviathan« endgültig vernichtet. Die »Pequod« versinkt; nur Ishmael, in der Bibel der von Gott Verstoßene, kann sich mithilfe eines Sarges retten, den Queequeg für sich hatte anfertigen lassen. Über die anderen senkt sich »das weiße Leichentuch des Meeres«. Das Geheimnis der Welt bleibt unergründlich.

Welche Einflüsse finden sich im Roman?

In »Moby Dick«, den er auf Anraten seines Freundes Nathaniel Hawthorne überarbeitete, verwies Melville öfters auf seine literarischen Väter François Rabelais, Laurence Sterne, William Shakespeare oder Robert Burton. Auch walkundliche Fachliteratur und der englische Schauerroman werden gern zitiert. »Ich bin durch eine ganze Bibliothek geschwommen«, behauptet einmal Ishmael von sich. Seinen überaus detaillierten Beschreibungen des harten Walfängerlebens stellte Melville ausschweifende Passagen zur Seite, die das dramatische (und oft mit »Regieanweisungen« versehene) Geschehen philosophisch unterspülen. Trotz dieser Langatmigkeiten gehört das Buch zu den bedeutendsten Romanen des 19. Jahrhunderts. »Moby Dick« wurde 1955 von Orson Welles dramatisiert und ein Jahr später von John Huston verfilmt.

Wie wurde Melville zu seinem Abenteuerroman inspiriert?

Herman Melville wurde am 1. August 1819 in New York geboren; nach dem Bankrott des Vaters, eines Kaufmanns, arbeitete er als Pelzhändler, Bankangestellter, Schiffssteward und Grundschullehrer. 1841 segelte Melville in die Südsee, desertierte und wurde auf Tahiti kurzzeitig inhaftiert. 1843 heuerte er als Matrose der US-Marine an; ein Jahr später begann er, seine Erlebnisse in Romanen zu verarbeiten. 1850 zog Melville mit seiner Frau auf eine Farm in Massachusetts. 1861 musste Melville sein Anwesen aufgeben und bis zu seiner Pensionierung 1866 als Zollinspektor in New York arbeiten, wo er am 28. September 1891 starb.

Wussten Sie, dass …

Melville 1842 mehrere Wochen bei einem Volksstamm auf den Marquesas-Inseln im Pazifik zubrachte? Er war wegen der unmenschlichen Arbeitsbedingungen auf einem Walfänger von seiner Arbeit als Matrose desertiert.

Melville vergessen und als gebrochener Mann starb? Die »New York Times« vermeldete nur den Tod eines gewissen »Henry Melville«.

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