Audio

Otto von Bismarck (Podcast 206)

0:00

„Eiserner Kanzler“, hochgebildeter Menschenkenner und brillanter Machtpolitiker: Otto Eduard Leopold von Bismarck, die überragende Gestalt der deutschen Geschichte im 19. Jahrhundert, fasziniert bis heute. Nach seiner Ernennung zum preußischen Ministerpräsident am 23. September 1862 veränderte der preußische Junker die deutsche Landkarte grundlegend. Geschickt nahm Bismarck die nationalen Bestrebungen seiner Zeit auf und schmiedete mit „Blut und Eisen“ zwischen 1866 und 1871 das deutsche Kaiserreich unter preußischen Vorzeichen, das auch wesentlich von ihm als Reichskanzler geprägt wurde. Als er 1890 entlassen wurde, ging schon für die Zeitgenossen erkennbar eine Ära zu Ende. Der Kult um seine Person setzte bald nach seinem Tod ein, der Mann wurde zum Mythos, auch zum Kampfinstrument der politischen Lager. Bis weit ins 20. Jahrhundert stilisierten die Rechten Bismarck zum Nationalhelden, für die Linken blieb er lange nur der „reaktionäre Monarchist“, wobei von der historischen Figur immer weniger übrigblieb. wissen.de-Autor Christoph Marx rekapituliert das politische Wirken und historische Erbe eines politischen Ausnahmetalentes, das scheinbar Widersprüchliches in sich kongenial vereinte: Er war konservativ, ohne aber dogmatisch zu sein; er war ein eigenständiger Kopf, ohne seine Loyalität gegenüber der Krone aufzugeben; er orientierte sich pragmatisch an den sich wandelnden Interessen des eigenen Staates, ohne dabei das eigentliche Ziel aus den Augen zu verlieren: die Macht Preußens zu sichern und zu mehren. 

 

Der Weg zum Einiger Deutschlands

Der am 1. April 1815 in Schönhausen in der Altmark geborene Bismarck entstammte einer uralten ostelbischen Adelsfamilie, die über erheblichen Grundbesitz verfügte. Nach einem kurzzeitigen Leben als Gutsherr auf dem väterlichen Herrensitz, begann 1847 seine politische Karriere im preußischen Landtag. Im Revolutionsjahr 1848 profilierte er sich als monarchistischer Scharfmacher und 1851 wurde er preußischer Gesandter, zunächst am Frankfurter Bundestag, später in Sankt Petersburg und Paris, wo er das diplomatische Geschäft von der Pike auf lernte. Das Wissen über außenpolitische Zusammenhänge kam Bismarck zugute, als der preußische König Wilhelm I. ihn 1862 in höchster Not als „Retter der Monarchie“ zum Ministerpräsidenten ernannte. Die Liberalen pochten im Zuge der angestrebten Heeresreform auf mehr Mitspracherechte des Parlaments und gewannen immer mehr Zulauf. Bismarck setzte in der Folge den Willen der Krone kompromisslos durch und überzeugte die national Gesinnten seiner liberalen Gegner, ihm wegen einer „größeren Sache“ zu folgen: nämlich der deutschen Einheit. Dabei war Bismarck kein Nationalist, die nationale Einigung ihm keine Herzensangelegenheit. Aber er erkannte in der Nationalbewegung eine unausweichliche Entwicklung, die, wenn schon nicht zu verhindern, von der Obrigkeit im Sinne Preußens gesteuert werden sollte. Dazu bot sie ihm die Möglichkeit, den den Deutschen Bund seit 1850 lähmenden preußisch-österreichischen Dualismus endlich zugunsten von Preußen zu entscheiden. Deutschland sollte ohne Österreich unter preußischer Führung geeint werden. Nach dem gemeinsamen Sieg gegen Dänemark 1864 provozierte Bismarck die militärische Auseinandersetzung gegen Österreich. In Geheimverhandlungen mit den Nachbarn hatte er sich vorher für den Kriegsfall abgesichert. In der Schlacht von Königgrätz am 3. Juli 1866 wurde Österreich vernichtend geschlagen. Bismarck schuf schnell Tatsachen. Die bisher unabhängigen norddeutschen Staaten schlossen sich unter preußischer Führung zum Norddeutschen Bund zusammen, mit den süddeutschen Staaten wurden militärische Schutzbündnisse vereinbart. Der von Bismarck gewollte Krieg gegen Frankreich brach im Juli 1870 aus und wurde innerhalb weniger Wochen zugunsten der deutschen Truppen entschieden. Der Weg zur Einigung war jetzt frei, auch wenn sich Württemberg und Bayern zunächst noch zierten. Nach Einräumung zahlreicher Sonderrechte und Zahlung hoher Bestechungsgelder an den bayerischen König Ludwig II. erklärten sich die süddeutschen Staaten schließlich zum Anschluss bereit. Am 18. Januar 1871 wurde der preußische König Wilhelm I. im Spiegelsaal zu Versailles zum neuen deutschen Kaiser ausgerufen. Damit waren die Deutschen erstmals in einem Nationalstaat vereint.

 

Konsolidierung nach außen, Konfrontation nach innen

Als Mentor der nationalen Einigung war Bismarck in dem neuen Deutschen Kaiserreich der starke Mann. Als Reichskanzler und enger Vertrauter des Kaisers bestimmte er zunächst wesentlich die Richtlinien der Politik. Im Bewusstsein, dass in Zentraleuropa ein neues Machtzentrum entstanden war und insbesondere Frankreich auf Rache sann, zielte Bismarck außenpolitisch strikt auf Friedenswahrung. Mit mehreren Verträgen schuf er zwischen 1879 und 1890 ein kompliziertes Bündnissystem, das Deutschland vor einem Angriff absichern sollte. Innenpolitisch gab sich Bismarck wesentlich angriffslustiger. Im Schulterschluss mit den Liberalen leitete Bismarck mit der Vereinheitlichung des Rechts- und Wirtschaftsraumes eine umfassende Modernisierung Deutschlands ein, die mit einem stürmischen Wirtschaftsaufschwung einherging. Ansonsten scheiterte Bismarck aber diesmal bei seinem Versuch, seine politischen Gegner zu marginalisieren: die katholische Zentrumspartei und die aufkommende Sozialdemokratie. Bismarck sah die katholische Loyalität zum Staat gefährdet und versuchte, mit gesetzlichen Maßnahmen den kirchlichen Einfluss, insbesondere auf die Bildungspolitik, zu begrenzen. Langfristig erwies sich dieser sogenannte „Kulturkampf“ als genauso erfolglos wie der Kampf gegen die Sozialdemokraten, die Bismarck trotz seines Wissens um die Bedeutung der „sozialen Frage“ als „revolutionäre Vaterlandsverräter“ empfand. Er setzte 1878 ein „Sozialistengesetz“ durch, das diesen jegliche Parteiaktivität verbat, wenn auch die Partei selbst weiter an Wahlen teilnehmen konnte. Daneben drückte er eine umfangreiche Sozialgesetzgebung durch, in der Hoffnung, die Arbeiter an den Staat zu binden. Doch das Gegenteil trat ein: Die SPD gewann von Wahl zu Wahl Stimmen hinzu.

 

Das Erbe

Heute gibt es in fast jeder größeren Stadt eine Bismarck-Straße, einen Bismarck-Platz, oder sogar eine Bismarck-Statue. Aber abgesehen von Beton bleibt die Frage: Welches Erbe hinterließ Bismarck, ein bekennender Antidemokrat und Monarchist, den Deutschen, das heute noch wirksam oder spürbar ist? Zu nennen ist sicher in erster Linie der deutsche Nationalstaat. Wesentlich von Bismarck geschaffen und gesichert, besteht dieser trotz der territorialen Verluste im Gefolge zweier Weltkriege im Kern noch immer und ist spätestens seit 1990 als Heimat der Deutschen allgemein akzeptiert. Schwerer zu tragen war sein innenpolitischer Nachlass. Jenseits seiner Leistungen bei der Ausbildung eines modernen Verwaltungs- und Wohlfahrtstaates hinterließ Bismarcks destruktiver Umgang mit Linksliberalen, Sozialdemokraten und Katholiken tiefe Spuren in der politischen Kultur des Landes und begünstigte die verhängnisvolle Polarisierung der politischen Lager in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Zu guter Letzt bleibt Bismarck aber auch als Schriftsteller in Erinnerung: Seine an seinem Friedrichsruher Alterssitz geschriebenen „Erinnerungen und Gedanken“, geistreich, polemisch und sprachgewaltig, sind zu einem Klassiker der politischen Memoirenliteratur geworden und werden bis heute immer wieder aufgelegt. Bei welchem anderen Politiker des 19. Jahrhundert wäre das heute noch vorstellbar?

 

von wissen.de-Autor Christoph Marx

Mehr Artikel zu diesem Thema

Weitere Lexikon Artikel

Weitere Artikel aus der Wissensbibliothek

Weitere Artikel aus dem Wahrig Synonymwörterbuch

Weitere Artikel aus dem Wahrig Fremdwörterlexikon

Weitere Artikel aus dem Wahrig Herkunftswörterbuch

Weitere Artikel aus dem Wahrig Herkunftswörterbuch