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„Wir wollen führend sein im europäischen Supercomputing“

Die EU-Organisation EuroHPC JU hat sich zum Ziel gesetzt, die Top-Position Europas im Hochleistungsrechnen wiederherzustellen. Direktor Anders Jensen erklärt, wie dies gelingen soll.
Das Gespräch führte RALF BUTSCHER
 Computerraum des Stuttgarter Höchstleistungsrechenzentrums
Blick in den Computerraum des Stuttgarter Höchstleistungsrechenzentrums.

© Silicya Roth

Anders Jensen, was ist die Aufgabe der EuroHPC JU?

Die Organisation wurde 2018 als EU-Einrichtung gegründet – aus der Erkenntnis heraus, dass die einzelnen europäischen Regierungen lange Zeit nicht in der Lage waren, ausreichend in das Hochleistungsrechnen zu investieren. Dies spiegelte sich deutlich in der Top-500-Rangliste der weltweit leistungsfähigsten Hochleistungsrechner wider. Europa geriet immer weiter ins Hintertreffen, weil die nationalen Investitionen für größere Systeme nicht ausreichten. Das EuroHPC JU sollte dieses Problem lösen: Es bündelt nun die Ressourcen der Europäischen Union, von 33 europäischen Ländern und drei privaten Partnern mit dem Ziel, Europa weltweit führend im Supercomputing zu machen.

Können Sie uns den Hintergrund erläutern?

Wir fördern und investieren in die Entwicklung eines europäischen Ökosystems für das Höchstleistungsrechnen. Das EuroHPC JU beschafft und installiert daher Supercomputer in ganz Europa. Europäische Wissenschaftler und Nutzer aus der öffentlichen Verwaltung und Industrie, die in den Mitgliedsländern des Gemeinsamen Unternehmens ansässig sind, können von diesen EuroHPC-Supercomputern, die zu den leistungsfähigsten der Welt gehören, profitieren. Wir investieren nicht nur in Höchstleistungsrechenkapazitäten in ganz Europa, sondern finanzieren auch ein ehrgeiziges Forschungs- und Innovationsprogramm in diesem Bereich mit dem Ziel, eine komplette europäische Supercomputer-Lieferkette zu entwickeln: von Prozessoren und Software bis hin zu Anwendungen auf diesen Systemen.

Was haben Sie bisher erreicht?

Seit seiner Gründung hat das Gemeinsame Unternehmen EuroHPC die Gesamtinvestitionen in das Höchstleistungsrechnen in Europa erheblich gesteigert und Europas führende Position weltweit gesichert. Bisher wurden acht Höchstleistungsrechner in ganz Europa beschafft: in Bulgarien, Tschechien, Finnland, Italien, Luxemburg, Portugal, Slowenien und Spanien. Sechs davon sind bereits in Betrieb und können von europäischen Forschern genutzt werden. Alle diese Supercomputer sind in der Top-500-Rangliste. Zwei gehören zu den Top 5 der Welt: „LUMI“ in Finnland und „Leonardo“ in Italien, die den dritten und vierten Platz belegen. Ganz oben stehen die USA mit dem weltweit ersten Exascale-System: Frontier, ein Supercomputer, der 1.000 Peta-Flops, die Zahl der Gleitkommaoperationen pro Sekunde, übertrifft. Auf Platz 2 steht Fugaku in Japan.

Was machen Sie sonst noch?

Das Gemeinsame Unternehmen EuroHPC investiert auch in umweltfreundlicheres und nachhaltigeres Rechnen. LUMI in Finnland etwa ist nicht nur der drittstärkste Supercomputer der Welt, sondern auch einer der grünsten. LUMI ist, wie alle Systeme der EuroHPC JU, wassergekühlt. Damit entfallen die hohen Betriebskosten luftgekühlter Systeme, und der Energiebedarf wird reduziert. Dies ist ein wichtiger Schritt für Europa und für das globale Ökosystem der Höchstleistungsrechner.

Wie funktioniert die Förderung des EuroHPC JU?

Das Prinzip ist, dass die Europäische Union einen Teil der Finanzierung übernimmt und andere Partner den Rest beisteuern. Ein gutes Beispiel ist der finnische Supercomputer LUMI: Wir haben die Hälfte der Kosten übernommen und Finnland hat zusammen mit neun weiteren Ländern die andere Hälfte bereitgestellt. Das bedeutet, dass EuroHPC JU auch die Hälfte der Rechenkapazität besitzt, die wir Forschern aus ganz Europa zur Verfügung stellen.

Wer ist Teil des gemeinsamen Unternehmens?

Die Organisation besteht aus öffentlichen und privaten Mitgliedern: die EU, vertreten durch die Europäische Kommission, die Mitgliedstaaten und assoziierte Länder, die sich für eine Mitgliedschaft im Gemeinsamen Unternehmen entschieden haben, wie Montenegro, Nordmazedonien, Norwegen, Island, Serbien und die Türkei. Zurzeit haben wir 33 teilnehmende Staaten. Neben diesen öffentlichen Mitgliedern beteiligen sich drei private Partner.

Wie geht es weiter?

Bis 2024 wollen wir in Europa über Exascale-Supercomputing-Kapazitäten verfügen. Das EuroHPC JU beschafft derzeit einen Exascale-Supercomputer, der am Forschungszentrum Jülich in Deutschland installiert werden soll. Sein Name steht bereits fest: „Jupiter“. Deutschland wird 50 Prozent der Kosten tragen, das JU wird mit EU-Mitteln den Rest finanzieren. Der Auftrag für den Bau des Höchstleistungsrechners wird derzeit vergeben. Dieser europäische Supercomputer auf dem neuesten Stand der Technik ist ein bedeutender technologischer Meilenstein für Europa und wird einen großen Einfluss auf die Förderung der wissenschaftlichen Exzellenz in Europa haben.

Wie viel Geld steht zur Verfügung?

EuroHPC JU wird von seinen Mitgliedern gemeinsam mit einem Budget von rund 7 Milliarden Euro für den Zeitraum von 2021 bis 2027 finanziert. Der größte Teil davon stammt aus dem aktuellen langfristigen EU-Haushalt mit einem Beitrag von 3 Milliarden Euro. 1,9 Milliarden Euro werden wir für die Infrastruktur ausgeben. Das Budget für die neue Anlage in Jülich – für Beschaffung und Betrieb des Supercomputers über die gesamte Lebensdauer – beträgt 250 Millionen Euro aus den Mitteln des EuroHPC JU. Den Rest der Finanzierung wrd Deutschland übernehmen.

Wie lange ist ein Supercomputer im Einsatz?

Wir rechnen mit etwa fünf Jahren. Das hängt von den Komponenten ab, die für den Bau des Rechners ausgewählt werden. Um eine längere Lebensdauer und eine bessere Nachhaltigkeit unserer Rechner zu gewährleisten, wollen wir mit unseren Partnern so weit wie möglich sicherstellen, dass die Rechner kontinuierlich aktualisiert werden. Leider werden die wichtigsten Bauteile nicht in Europa hergestellt. Wir haben schon vor langer Zeit die Möglichkeit verloren, einen Prozessor für einen solchen Computer in Europa zu bauen. Aber jetzt investieren wir viel Zeit und Geld, um dieses Know-how wiederzuerlangen. SiPearl, ein französisches Unternehmen, das im Rahmen der von uns finanzierten Europäischen Prozessorinitiative gegründet wurde, wird den ersten europäischen HPC-Prozessor seit Langem auf den Markt bringen. Die Markteinführung wird für Anfang 2024 erwartet. Wir befassen uns auch mit einer anderen Art von Mikroprozessor: „RISC-V“. Das ist interessant, weil es eine Technologie mit offenen Standards ist. Wir haben kürzlich einen Aufruf zur Entwicklung solcher Prozessoren für Höchstleistungsrechner gestartet. Zudem sind wir dabei, sechs EuroHPC-Quantencomputer zu beschaffen und für die Forschung in ganz Europa bereitzustellen. Einer davon wird im Leibniz-Rechenzentrum in Garching installiert. Diese Technologie hat das Potenzial, in vielen Bereichen eine Wende herbeizuführen. Es gibt viele technische Ansätzen, aber noch ist unbekannt, welcher der beste ist. Wir wollen das herausfinden.

Welchen Nutzen werden diese Systeme haben?

Quantencomputer können besonders gut Probleme lösen, die die Fähigkeiten herkömmlicher Computer, sogar von Supercomputern, übersteigen: Optimierungsprobleme zum Beispiel. Eine Idee ist es, einen Hochleistungs- mit einem Quantencomputer zu verbinden. Wenn der Höchstleistungscomputer auf ein Problem stößt, das er nicht lösen kann, schickt er es an den Quantencomputer, erhält das Ergebnis und setzt seine Berechnung fort. Das ist ein Forschungsthema, in das wir derzeit investieren – damit Europa künftig auf diesem Gebiet führend sein kann.

Haben Sie noch andere Schwerpunkte?

Ein wichtiger Pfeiler unserer Arbeit ist die allgemeine und berufliche Bildung. Dies ist auch ein Bereich, der in Europa bisher nicht ausreichend gefördert wurde. Deshalb investieren wir viel Geld in Hochschulprogramme, etwa in einen europaweiten Masterstudiengang für Hochleistungsrechnen. Da arbeiten wir mit mehreren Universitäten zusammen, unter Führung der Uni Luxemburg. Ziel ist es, die nächste Generation von europäischen Experten im Supercomputing auszubilden. Und wir bauen ein Netzwerk für nationale Kompetenzzentren auf, um das Wissen über die Technologie und ihre Anwendung zu erweitern. Hier ist die Arbeit des HLRS sehr hilfreich. Die Forscher dort haben bei mehreren unserer Aktivitäten die Führung übernommen – auch bei der Zusammenabeit mit der Industrie. Das HLRS hat in diesem Bereich in Deutschland viel Erfahrung gesammelt.

Wie wichtig ist die Kooperation mit der Industrie?

Ich bin davon überzeugt, dass es viele Industrieunternehmen gibt, die keine Vorstellung davon haben, was sie erreichen könnten, wenn sie genügend Rechenleistung hätten. Wir hoffen, sie zur Zusammenarbeit mit Höchstleistungsrechenzentren zu ermutigen und ihnen zu zeigen, welche Ergebnisse erzielt werden können. Dies könnte in der Zukunft zu vielen neuen und nützlichen Anwendungen führen.

Dieser Artikel ist Teil einer Sonderpublikation in Kooperation mit dem Höchstleistungsrechenzentrum Stuttgart (HLRS). Hier finden Sie das vollständige bild der wissenschaft extra zum Download.

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