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Die Geschichte der Zeitmessung (Podcast 163)

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Zeit ist heute ein extrem kostbares Gut. Wie oft hören wir von unserem Mitmenschen den Satz “Dafür habe ich überhaupt keine Zeit!” oder sagen selber “Tut mir leid, keine Zeit!”. Mit seiner Zeit umzugehen, ist heute bei vielen Berufstätigen eine Aufgabe des Zeitmanagements geworden. Ein ganzer Berufszweig lebt davon, anderen Menschen beizubringen, wie sie mit ihrer Zeit besser umgehen. Aber die Geschichte der Zeit ist auch eine Geschichte der Zeitmessung. Sozusagen vom Mondkalender bis zur Atomuhr, die am 6. Dezember 1946 erstmals von Willard Frank Libby präsentiert wurde. Genauer geht Zeitmessung nicht – zumindest noch nicht. Folgen Sie wissen.de-Autor Kai Jürgens auf eine Reise in “Die Geschichte der Zeit”.

 

Zwischen Anfang und Ende

Das Verstreichen von Zeit ist für uns so selbstverständlich, dass wir dem Vorgang an sich kaum Aufmerksamkeit schenken. Natürlich fällt uns auf, dass wir älter werden und dass Zeit "vergeht“ – wir feiern Geburtstage, freuen uns auf Weihnachten oder bereiten die Silvesterfeier vor. Doch das sind die Anlässe, die lediglich die persönliche Lebenszeit strukturieren. Zeit an sich ist erheblich größer. Ohne Zeit gäbe es keine Ereignisse, ohne Zeit könnte buchstäblich nichts passieren. Das ist nicht einfach zu verstehen. Wenn wir etwa alte Fotos im Familienalbum anschauen, nehmen wir diese als Beleg dafür, dass vor unserer Geburt bereits etwas passiert sein muss – dass es die Welt schon gegeben hat, bevor es uns gab. Doch dass die Zeit erst mit dem Beginn unseres Universums einsetzte, dass es vor dem "Big Bang“ des Urknalls buchstäblich nichts gab, entzieht sich unserem Verständnis.

Ein Beispiel soll das erläutern. Jeder Mensch orientiert sich mehr oder minder mühelos in unserer dreidimensionalen Welt. Drei Dimensionen, das bedeutet: eine Welt, die sich in die Größenbegriffe der Länge, der Höhe und der Breite einteilen lässt. Wir haben keine Schwierigkeiten damit, aus einem Raum herauszugehen, solange die Tür unverschlossen ist. Befinden wir uns allerdings in einem Raum, dessen Tür verriegelt wurde, und wir haben keinen passenden Schlüssel, so sind wir gefangen. Das hat damit zu tun, dass wir uns nicht durch die Zeit bewegen können, sondern nur mit der Zeit. Hätten wir diese Fähigkeit, könnte uns kein verschlossener Raum halten. Wir gingen einfach an jenen Punkt zurück, an denen es das Hindernis noch nicht gab, oder an jenen, an denen es das Hindernis nicht mehr geben wird. Doch da wir über jene Fähigkeit nicht verfügen, können wir der Zeit ebenso wenig entrinnen wie die Fliege, die an der Glasscheibe klebt. Das macht das Phänomen Zeit so wenig durchschaubar.

Ohnehin ist es mit der Zeit so eine Sache. Oft haben wir das Gefühl, sie sei "gegen“ uns, weil wir uns in Zeitnot befinden; dann wieder haben wir vielleicht zu viel Zeit und langweilen uns, während wir auf den Anschlusszug am Bahnhof warten. "Zeit totschlagen“, sagen manche dazu. Zeit ist eben etwas sehr persönliches. Albert Einstein sagte, Zeit wäre relativ, und ihm wird das Beispiel zugeschrieben, dass einem Mann eine Minute auf einer heißen Herdplatte sehr lang, eine Minute in den Armen einer schönen Frau zweifellos sehr kurz vorkäme. Zeitwahrnehmung ist also ein Thema für sich. Unbestritten hingegen ist die Notwendigkeit, die verstreichende Zeit objektiv zu messen und nach einem bestimmten System zu gliedern. Zwar reimte Christian Morgenstern sehr zutreffend: "Es gibt ein sehr probates Mittel, // die Zeit zu halten am Schlawittel: // Man nimmt die Taschenuhr zur Hand // und folgt dem Zeiger unverwandt“, doch die Wirklichkeit nimmt sich deutlich komplexer aus. Es war ein langer Weg bis zur wirklich exakt gemessenen Zeit.

 

Von Jahr zu Jahr: Die Erfindung des Kalenders

Dass nicht nur Tage und Nächte wechseln, sondern dass auch die Jahreszeiten wiederkehren, gehört wohl zu den Basiserfahrungen der Menschheit. Viel hing und hängt davon ab, den Wintereinbruch bestimmen zu können – oder den Fruchtbarkeitszyklus der Frau. Zunächst gaben die leicht zu beobachtenden Mondphasen Orientierung. Diese war allerdings höchst vorläufig. Selbst der Vollmond lässt sich mit den Augen nur bedingt auf den Tag genau bestimmen, und bei schlechtem Wetter wird zudem die Sicht getrübt. Viel gravierender aber: Der Mondkalender lässt keine Rückschlüsse auf den Sonnenstand und damit auf die Jahreszeit zu. Genau um diese ging es aber in der beginnenden Jungsteinzeit, als erste Menschen sesshaft wurden. Die Frage, wann die Saat auszubringen ist, gewann zu dieser Zeit überlebenswichtige Bedeutung.

Abhilfe schaffte der so genannte synodische Sonnenkalender. Hier wurde das Jahr erstmals als jener Zeitraum definiert, der zwischen zwei wiederkehrenden Fixpunkten liegt – zwischen zwei Sommersonnenwenden beispielsweise. Bereits seit dem alten Babylon war bekannt, dass das Jahr 365 Tage hat, aber es blieb das Problem der Monatseinteilung, das bisweilen zu kuriosen Resultaten führte; außerdem haben alle Kalendermacher mit der Notwendigkeit von Schalttagen zu kämpfen. Exemplarisch sei der Römische Kalender erwähnt, der sich zunächst an den Mondphasen orientierte und in unregelmäßigen Abständen an das Sonnenjahr angepasst wurde. Nach und nach aber wandelte er sich dann zu jenem System, wie wir es bis heute benutzen. Maßgeblich war die Reform, die Julius Caesar im Jahr 45 v. Chr. in Kraft treten ließ und die regelmäßige Schaltzyklen vorsah. Der später ihm zu Ehren "julianisch“ genannte Kalender bestand aus elf Monaten mit je 30 oder 31 Tagen sowie einem Monat mit 28 Tagen.

Allerdings erwies sich das Julianische Jahr gegenüber dem Sonnenumlauf der Erde um gut 11 Minuten zu lang. Das klingt wenig aufregend. Aber über die Jahrhunderte summierten sich diese Minuten schließlich zu Tagen, so dass eine erneute Reform nötig wurde. Diese wurde im Jahr 1582 von Papst Gregor XIII. durchgeführt. Er ordnete nicht nur eine verbesserte Schaltregel an, sondern auch, dass zehn Tage zu überspringen waren, um den Kalender den Verhältnissen anzupassen. Und so folgte auf Donnerstag, den 4. Oktober 1582 direkt Freitag, der 15. Oktober 1582 – ein erstaunlicher Vorgang. Noch erstaunlicher aber: Der Gregorianische Kalender ist heute weltweit gültig – auch in islamisch geprägten Ländern, die nur zu religiösen Zwecken noch den Mondkalender benutzen.

 

Von Stunde zu Stunde: Die Erfindung der Uhr 

Sich im Jahr orientieren zu können, war eine wichtige Errungenschaft – und eine der Grundvoraussetzungen für eine funktionierende Landwirtschaft. Als erheblich schwieriger sollte es sich erweisen, die exakte Stunde zu bestimmen. In den frühen Hochkulturen dienten Sonnenuhren zur Messung, die jedoch über gravierende Nachteile verfügten – bei Bewölkung waren sie nicht einsetzbar, und in der Nacht ohnehin nicht. Auch Wasseruhren oder die sich im Europa des einsetzenden Mittelalters etablierende Kerzenuhr erwiesen sich als wenig praktikabel. Den Ausweg wies erst die Mechanik in Gestalt der sogenannten Räderuhr, die um 1300 aufkam und durch Gewichte angetrieben wurde. Sie lief jedoch noch sehr ungenau und musste daher jeden Tag nachgestellt werden.

Ab dem 14. Jahrhundert wurden zunehmend öffentliche Uhren in den Städten installiert, deren von einem Schlagwerk verursachtes Läuten weithin gehört werden konnte. Hundert Jahre später wurden die ersten Stand- und Tischuhren konstruiert, die bereits eine aufziehbare Feder als Antrieb nutzten. Der Nürnberger Mechaniker Peter Henlein griff in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts dieses Prinzip auf und konstruierte die ersten am Körper tragbaren Uhren, die eine aus heutiger Sicht allerdings etwas klobige Dosenform hatten. Außerdem zeigten sie – wie übrigens alle Uhren zu dieser Zeit – nur die Stunden an. Erst ab 1700 kamen auch Minutenzeiger zum Einsatz. Es dauerte bis ins frühe 20. Jahrhundert, bis die Armbanduhr entwickelt war und sich allgemein durchgesetzt hatte. Nun stand prinzipiell jedem Menschen ein eigener Zeitmesser zur Verfügung, den er jederzeit nutzen konnte.

Aber: Wie genau arbeitet die Uhr? Geht sie vor oder nach? Muss sie regelmäßig korrigiert werden? Fragen wie diese berühren uns im Alltag nur sehr bedingt, weil es für gewöhnlich ausreichend ist, wenn wir "ungefähr“ wissen, wie spät es ist – Zugreisende einmal ausgenommen. Doch natürlich gibt es auch Uhren, die die Zeit wirklich exakt angeben können: Atomuhren. Dazu muss man wissen, dass die Genauigkeit der Uhr von ihrem Taktgeber abhängt, was sich an den alten Pendeluhren besonders schön beobachten lässt. Eine Atomuhr orientiert sich hierzu an den Grundbausteinen der Materie selbst. Deren regelmäßiger Übergang zwischen zwei Energiezuständen ist nämlich messbar – und der derzeit genaueste Taktgeber überhaupt. Die Grundlagen der Atomuhr bildeten Untersuchungen des US-Amerikaners Isidor Isaac Rabi, der hierfür 1944 den Nobelpreis für Physik erhielt; gebaut wurde sie aber von seinem Landsmann und Kollegen Willard Frank Libby. Am 6. Dezember 1946 präsentierte er eine Atomuhr, die sich an der Eigenschwingung von Cäsium-Atomen orientiert. Weltweit gibt es heute über 250 Atomuhren.

 

Wer die Zeit hat …

Die Zeit messen zu können, bedeutet noch lange nicht, welche zu haben. In den letzten Jahrzehnten haben die Prozesse der Arbeitswelt enorm an Geschwindigkeit zugenommen. Brauchte ein Geschäftsbrief früher per Luftpost mehrere Tage, um von einem Kontinent zum anderen zu gelangen, sind E-Mails heute binnen Sekunden am Ziel. Apropos: Jede Sekunde beantwortet Google über 11.000 Suchanfragen, und es werden zehn neue Videos bei YouTube hochgeladen. Pro Sekunde wächst das Internet um mindestens eine neuregistrierte Website, und pro Minute zirkulieren 168 Millionen Mails – eine unfassbare Zahl. Doch die globale Vernetzung, die buchstäblich alles mit allem verbindet, fordert ihren Tribut. Wie viel Zeit wir uns für bestimmte Aufgaben nehmen können, liegt immer weniger in unseren eigenen Händen. Entsprechend oft fällt der Blick auf die Uhr, der wir uns kaum noch entziehen können. Doch die Uhr zählt nur die Sekunden, die sie zählen soll. Welcher Rhythmusist uns angemessen? Welche Struktur wollen wir unserem Leben geben? Die Beantwortung dieser Frage wird im Zeitalter des Taktgebers Internet immer drängender.

 

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