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Podcast 96: Herbst - Porträt einer Jahreszeit

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"Zeit der Früchte", "Zeit des Pflückens", so die ursprüngliche Bedeutung des Wortes Herbst. Doch der Übergang zwischen Sommer und Winter schenkt uns nicht nur reich gefüllte Obst- und Gemüsekörbe und saftige Trauben für jungen Wein. Er verzaubert uns mit Farbenpracht, gibt Anlass innezuhalten und zu danken, stimmt uns milde und vielleicht sogar melancholisch. Der Wald lässt nun seine Blätter fallen. Die Zugvögel machen sich allmählich auf in Richtung Süden. Meister Petz bereitet sich auf seinen Winterschlaf vor. Und wir? Wir verabschieden uns mit Wehmut von der fröhlichen Sommerzeit und suchen nach ein wenig Ruhe in den eigenen vier Wänden. Während der Sommer astronomisch erst am 23. September endet., befinden wir uns meteorologisch gesehen schon seit dem 1. September im Herbst.

 

Die Natur öffnet die Farbtöpfe

Der Herbst ist die Zeit einer kaum fassbaren Schönheit und Vielfalt. Und er ist zugleich die Zeit des Rückzugs und des Vergehens.  Eine bizarre Verbindung gegensätzlicher Eindrücke, die in vielen von uns gemischte Gefühle wecken.

"Goldene Jahreszeit“. Schon vor vielen Jahrhunderten gaben die Menschen dem Herbst diesen klangvollen Namen. Die Laubfärbung der Bäume, die meist Anfang Oktober einsetzt, gleicht im Sonnenlicht einem wild-romantischen, einem goldenen Naturschauspiel. Und all die Rot-, Gelb-, Orange-, Bronze- und Goldtöne, die sich wie ein Flickenteppich über die Landschaft gelegt haben, sind die eigentlichen Farben der Natur. Das Chlorophyll ist nach und nach abgebaut worden, und somit ist auch die grüne Färbung, die in den vorangegangenen Monaten die anderen Farbstoffe in den Blättern überlagert hatte, verschwunden. Die Natur zeigt noch einmal ihr schönstes Gesicht, bevor sie ihre Vorbereitungen auf die harte Winterzeit abgeschlossen hat.

Am Morgen ziehen Nebelfelder durch die Täler, und der Tau glitzert im Gras. Man mag sich noch nicht so recht entscheiden für die gefütterten Stiefel und dicken Mäntel. Es ist doch gerade noch Sommer gewesen! Aber es riecht schon ganz deutlich nach Herbst, erdig und leicht modrig, nach feuchtem Laub, das sich auf dem Boden sammelt. Hat es sich zersetzt, bildet es die Grundlage, aus der im nächsten Frühling neues Wachstum hervorgeht. Aber das hat noch Zeit.

Jetzt ist die Nordhalbkugel nicht so stark der Sonne zugeneigt wie im Frühjahr und Sommer. Das Licht der Sonne trifft flacher auf unser Land, wirft längere Schatten, wirkt sanft und unaufdringlich. Lärm und Hektik wollen jetzt gar nicht mehr passen.

 

Die Regeneration setzt ein

Was macht uns so melancholisch in dieser Zeit? Im Herbst stehen die Zeichen auf Abschied. Die Redewendung "Herbst des Lebens“ kommt uns in den Sinn: eine Metapher für das fortgeschrittene Alter.

Im Herbst verwelken die Blumen, die Bäume und Sträucher schütteln ihre Blätter ab. Abende werden kühler, und die Kraft der Sonne schwindet allmählich. Jetzt ziehen wir uns zurück in unsere Häuser und Wohnungen mit dem Bedürfnis nach Ruhe und Gemütlichkeit. Nach der beschwingten Fröhlichkeit der Sommermonate, die sich so schnell verabschiedet hat, wie sie gekommen ist, mag das manch einen betrübt stimmen. Denn nun liegt eine lange Zeit des Wartens vor uns, bis die Natur zu neuem Leben erwacht und uns das erste Vogelgezwitscher weckt. Aber gerade der Herbst mit seinen kurzen Tagen hat diese ganz besonderen Glücksmomente im Gepäck: Nach einem Spaziergang an der frischen Luft und raschelndem Laub unter unseren Füßen, locken wohlige Wärme und Entspannung zurück in die eigenen vier Wände. Heißer Tee und Fliederbeersaft, eine Wolldecke und leise Musik. Jetzt hat man Lust auf Schmökern, auf einen Herr der Ringe-Marathon mit Freunden oder fast in Vergessenheit geratene Brettspiele aus der Abseite zu holen.

Wenn der kalte Wind die Bäume vor den Fenstern bewegt und der Regen an die Scheiben prasselt, ist es gut, sich zu Hause zu fühlen. Zeit für neue Pläne gibt es noch genug.

 

Dem Herbst in die Kochtöpfe geschaut

Auf den Wochenmärkten findet man sie wieder, die Farbenpracht der Jahreszeit: Äpfel mit roten Bäckchen, saftig-grüne Trauben, bizarre Kürbisgewächse wie von Hand bemalt oder Herbstblumen wie Astern und Dahlien in leuchtenden Tönen.

Wir haben Appetit auf kräftige Eintöpfe, die von innen wärmen, auf Wildgerichte mit frischen Pilzen und auf geröstete Kastanien. Ein Festmahl zum Erntedank mit kräftigen Weinen oder deftiger Zwiebelkuchen mit Ferderweißer – die kulinarische Saison bietet so viele Kontraste wie das herbstliche Naturschauspiel selbst. Die Abhängigkeit des Menschen vom Naturkreislauf findet sich besonders jetzt, in der Zeit des Erntedanks,  wieder. Denn während die Erntezeit und Weinlese ihre Hochphase erreichen, finden allerorts Erntefeste statt mit Jahrhunderte alten Bräuchen in geselliger Atmosphäre. Kürbiscremesuppe und Gänsebraten im Kreise der Familie, dazu als Tischdekoration ein paar Mitbringsel, die man nachmittags beim Spaziergang vom Boden aufgelesen hat, bieten einen kleinen Vorgeschmack auf die näher rückende Weihnachtszeit.

 

Der Herbst in Wort und Bild

 

Im Nebel ruhet noch die Welt,

Noch träumen Wald und Wiesen:

Bald siehst du, wenn der Schleier fällt,

Den blauen Himmel unverstellt,

Herbstkräftig die gedämpfte Welt

In warmem Golde fließen.

Septembermorgen – Naturgedicht und Stimmungslyrik von Eduard Mörike aus dem Jahre 1827 behandelt das Motiv des Wandels der Natur zum Tagesanbruch. Kaum ein Naturmotiv ist in der Lyrik so häufig und in der Malerei so intensiv behandelt worden wie der Herbst mit all seinen Farben und Stimmungen.

In der bildenden Kunst erscheinen die charakteristischen Attribute des Herbstes wie beispielsweise Wein nicht selten in personifizierter Darstellung. Man denkt zuallererst an Giuseppe Arcimboldos Gemälde „Der Herbst“, das im Musée de Louvre in Paris zu sehen ist. Gustav Klimts "Birkenwald im Herbst“ oder Vincent van Goghs „Pappelallee im Herbst“ offenbaren jene Gabe dieser Jahreszeit, die Farbenpracht und -vielfalt dezent zu verwalten. Das Herbstmotiv zieht sich wie ein roter Faden durch alle Epochen, ob Rokoko oder Romantik, Realismus oder Impressionismus. Der begnadetste Künstler aber ist die Natur selbst, wenn sie in ihre eigenen Farbtöpfe greift und uns mit ihrer Stimmung verzaubert.

 

Tina Denecken, wissen.de Redaktion

 

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