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Der Isenheimer Altar: Predigt in schockierenden Bildern

Was sind die Besonderheiten des Isenheimer Altars?

Das aus mehreren großformatigen Bildern bestehende Werk ist als Wandelaltar – das ist ein Altar mit auf- und zuklappbaren Flügeln – mit neun Tafeln und einer bemalten Gesamtfläche von 37 Quadratmetern angelegt.

Den Auftrag zu dem gewaltigen Opus erteilte 1512 der italienische Domherr Guido Guersi für ein Hospital des Antoniterklosters im elsässischen Ingelheim. Der Isenheimer Altar war Antonius, dem Ordensgründer und Schutzpatron bei ansteckenden Krankheiten, geweiht. Mit ergreifendem Realismus stellte der Künstler Matthias Grünewald mittelalterliche Themen in teils traditioneller, teils manieristisch-expressiver Form dar.

Die Bildtafeln des 1516 vollendeten Werks wurden 1794 ins nahe gelegene Colmar gebracht und sind seit 1852 im dortigen Unterlinden-Museum ausgestellt. Der einst mehr als fünf Meter hohe spätgotische Aufbau des Schnitzaltars blieb in Ingelheim und ging später verloren.

Wie sind die Tafeln des Altarbilds angeordnet?

In geschlossenem Zustand zeigt der Isenheimer Altar die Kreuzigung Christi, an den Seiten den heiligen Sebastian und den Ordenspatron Antonius sowie in der Predella (am Altarunterbau) die Grablege Christi. An Fest- und Feiertagen wurde der Altar geöffnet und die Gläubigen sahen drei verschiedene Ansichten: Auf dem linken Außenflügel die Verkündigung, im Mittelteil die Geburt Christi und rechts die Auferstehung des Herrn. Nur am 17. Januar, dem Festtag des heiligen Antonius, wurden auch die Innenflügel geöffnet, so dass der Schrein mit reich vergoldeten Holzskulpturen zu sehen war. Die hier versammelten Heiligen sind Augustinus, Antonius und Hieronymus, während in der Predella Christus inmitten der Apostel erscheint. Auf den Flügeln sieht man Szenen aus dem Leben des Einsiedlers Antonius.

Wie gestaltete der Künstler die zentrale Kreuzigungsszene?

Grünewald konfrontiert den Betrachter mit einem gequälten Christus am Kreuz. Der Leib ist gekrümmt und deformiert, der ausgemergelte Körper geschunden, die Hände sind krampfhaft gespreizt, die Füße verbogen. Nach der Geißelung stecken noch Dornen im Fleisch, aus den Wunden fließt Blut. Man fühlt geradezu, wie schwer die Dornenkrone drückt. Christi Haupt ist nach vorne gesunken, der letzte Atem ausgehaucht. Die dahinter ausgebreitete, trostlose Landschaft liegt in gespenstischem Dunkel. Angesichts der Agonie ihres Sohnes sinkt Maria in Ohnmacht, wird aber von Johannes, dem Lieblingsjünger des Herrn, gehalten. In ihrer Verzweiflung fällt Maria Magdalena auf die Knie und hebt flehend die Hände. Auf der gegenüberliegenden Seite steht Johannes der Täufer, der mit den Worten »Jener muss abnehmen, ich aber wachsen« auf Christus verweist. Neben ihm erscheint ein Lamm als Sinnbild des Opfertodes Christi; es trägt ein Kreuz und lässt sein Blut in den Abendmahlskelch fließen. Im Kontrast zu dieser Dramatik steht die stille Ruhe in der Predella, die sich mit der Bestattung des Christuskörpers einstellt.

Schuf Grünewald auch Bilder der Freude?

Ja. Die Weihnachtsszene zeigt eine glückliche junge Mutter mit ihrem Neugeborenen. Griffbereit stehen im Vordergrund Wiege und Badezuber. In einer strahlenden Himmelsgloriole im Hintergrund erscheint von Engelscharen umgeben Gottvater. Im prunkvollen Rundtempel zur Linken musizieren die Engel.

In der Szene der Auferstehung und Himmelfahrt Christi sehen wir den Erlöser als verklärte Lichtgestalt gemalt, von einem bunten Farbkranz umgeben und mit erhobenen Händen die Wundmale zeigend. Nach oben schwebend werden die Leichentücher, die in reicher Farbschattierung aufleuchten, mitgerissen, während die Kriegsknechte unten, vom himmlischen Licht geblendet, zu Boden stürzen.

Wussten Sie, dass …

sich Grünewald auf den Seitentafeln des Altars wohl selbst dargestellt hat? Die Forschung vermutet im Eremiten Paulus ein Selbstbildnis des Malers. Für den weißbärtigen Antonius soll dagegen der Auftraggeber Modell gestanden haben.

Ist Matthias Grünewald ein Phantom?

Nein, seine Werke sind nachgewiesen, aber seine Identität ist bis heute umstritten, sein Lebenslauf teilweise ungeklärt.

Mathis Nithart (oder Neithart) wurde wohl um 1460 in Würzburg geboren, verbürgt ist sein Sterbedatum, der 31.8.1528 (Halle an der Saale). Später änderte er seinen Familiennamen in Gothart. Durch eine vermutliche Verwechslung seines Biografen Joachim von Sandrart wird er schon seit dem 17. Jahrhundert in der Kunstgeschichte als Matthias Grünewald geführt. Sein erstes datiertes Werk stammt von 1503. Seit 1508 arbeitete er für den Mainzer Erzbischof Albrecht von Brandenburg. Von 1520 bis zu seinem Tod 1528 wirkte er in Albrechts Residenzstadt Halle als »Wasserkunstmeister«. Über seine privaten Verhältnisse ist wenig bekannt.

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