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Le Corbusiers Wallfahrtskirche Ronchamp: Poesie der Architektur
Was war Le Corbusiers Vorstellung von Architektur?
Le Corbusier, der es ohne formelle Architektenausbildung zur herausragenden Gestalt der Architektur des 20. Jahrhunderts gebracht hatte, veröffentlichte 1923 in der Schrift »Vers une architecture« seine erste kompromisslose Forderung nach einer funktionellen, ökonomischen Architektur, die nach den gleichen Prinzipien konzipiert werden sollte wie Ingenieurbauten – das war ein radikal neuer Gedanke. Die moderne Baukunst sollte der neuen, industriellen Maschinenwelt entsprechen. Seine Planungen zeigten nun streng mathematisch ausgerichtete Architektur aus geometrischen Formen wie Würfel, Zylinder und Kugel.
Mit der Villa Savoye in Poissy bei Paris ab 1929 und seinem Beitrag für die Weißenhofsiedlung in Stuttgart (1927) realisierte Corbusier seine »Fünf Punkte zu einer neuen Architektur«: Stahlskelettbauten auf so genannten Pilotis (Säulen), Fensterbänder anstelle herkömmlicher Fenster, variable Raumaufteilung im Innern und ein Dachgarten. Typisierte, industriell gefertigte Elemente sollten die Entwürfe preiswert und flexibel machen.
Le Corbusier war maßgeblich an der »Charta von Athen« (1933) beteiligt, die das Ideal einer autogerechten Stadt mit strikter Teilung von Wohn- und Arbeitswelt und Raum sparenden Zeilenbauten und Hochhäusern verfocht. Seine radikalen Pläne aus den 1930er Jahren für Paris und den Wiederaufbau französischer Städte nach 1945 blieben unrealisiert. Gebaut wurde die Unité d'Habitation in Marseille: ein Mietshaus, entworfen nach den fünf Punkten der Architektur, bei dem alle Bedürfnisse der Mieter innerhalb des Hauses erfüllt wurden.
Ist Ronchamp typisch für Le Corbusiers Stil?
Nein, das Gegenteil ist der Fall. Nach dem Zweiten Weltkrieg kam mit der Kirche Notre-Dame-du-Haut in Ronchamp Le Corbusiers Absage an den Rationalismus und die Hinwendung zu einer irrationalen, plastisch-organischen Architektur, die weniger lehrhaft war, vielmehr einfühlsam entworfen. Der Architekt baute nun keine Prototypen mehr, sondern individuelle Architektur-Ereignisse für den einen Ort und den einen Zweck.
Als Le Corbusier 1950 den Auftrag annahm, einen Ersatz für die von den Deutschen zerstörte Kapelle zu bauen, entwarf er eine Kombination von Außen- und Innenkirche. Im Innern finden bis zu 200 Gottesdienstbesucher Platz; an den Marienfeiertagen im Sommer noch Tausende mehr vor dem Altar im Freien.
Wie ist Ronchamp gebaut?
Betrachtet man die 1954 fertig gestellte Kirche von Süden, fällt ihre Massigkeit auf. Schwer scheint das Dach auf den meterdicken, leicht nach innen geneigten Mauern zu liegen, der hohe Glockenturm wirkt wie ein Monolith. Doch dieser Eindruck täuscht: Fast alle Außenwände sind in Wirklichkeit aus leichten zweischaligen Mauern konstruiert. Mit einer Maschine, die Le Corbusier »Zementkanone« nannte, wurde dafür Beton von zwei Seiten auf feinmaschige Stahlgitter aufgesprüht. Das Dach wird nicht von den Wänden getragen, sondern ist in Betonpfeiler eingehängt, die innerhalb der Wände stehen. Eine vom Wasser polierte Muschel, die der Architekt 1946 am Strand von Long Island gefunden hatte und bei sich trug, soll ihm als Anregung für die organisch wirkende Dachform gedient haben.
Die Nordwand, die keine tragende Funktion hat, ist aus den Steinen der alten Kirche gemauert und konnte durch viele Fenster geöffnet werden. Zwischen den niedrigen Zwillingstürmen liegt der Werktagseingang, das Dach ist von Norden nicht zu sehen.
Welche Rolle spielt das Licht?
Dem Licht kommt in dieser Architektur eine besondere Bedeutung zu. Der Innenraum ist überraschend hell. Die Fenster, die von außen klein und trutzig wie Schießscharten wirken, scheinen durch ihre schräge Laibung zum Inneren hin größer. Einige Fenster wurden nach den Entwürfen des Architekten bemalt. Zwischen Wänden und Dach zieht sich ein schmaler verglaster Streifen, der das gewölbte Dach leicht und schwebend wirken lässt.
»Der Schlüssel ist das Licht, und das Licht erhellt die Formen, und die Formen haben gefühlsmäßige Kraft«, schrieb Le Corbusier als Vorwort zu seinem Buch über Ronchamp.
Diesen Stil setzte er bis zu seinem Tod fort, so bei dem Kloster Sainte-Marie-de-la-Tourette und bei den Verwaltungsbauten von Candighar in Indien.
Wie kam Le Corbusier zu seinem Namen?
Der am 6. Oktober 1887 im schweizerischen La-Chaux-de-Fonds geborene Charles Édouard Jeanneret nannte sich seit Beginn der 1920er Jahre »Le Corbusier«, nach seinem Großvater und in Verehrung seines Lehrmeisters L'Eplattenier an der Kunstgewerbeschule. Architekt wurde er ohne besondere Ausbildung, einfach indem er als solcher arbeitete.
Im Laufe seines langen Architektenlebens baute Le Corbusier große Wohnhäuser, Villen, Studentenheime oder Verwaltungsgebäude. Am 27. August 1965, im Alter von 78 Jahren, erlitt er beim Baden im Meer einen Herzinfarkt und ertrank.
Wussten Sie, dass …
Le Corbusier auch journalistisch tätig war? Gemeinsam mit dem Maler Amédée Ozenfant und dem Dichter Paul Dermée gründete er die Zeitschrift »L'Esprit Nouveau«, die sich mit Kunst und Architektur befasste.
Le Corbusiers Büro 1927 zwar den Wettbewerb für den Bau des Völkerbundpalastes in Genf gewann, aber nicht bauen durfte? Man hatte versäumt, die geforderten Tuschezeichnungen der Entwürfe einzureichen.
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