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Marcel Duchamps Fontaine: Kunst aus dem Alltag

Worin besteht Duchamps Beitrag zur Entwicklung der Kunst?

Der französische Dadaist Marcel Duchamp (1887–1968) erfand in New York das so genannte Readymade, das vorgefertigte Kunstwerk aus dem Alltag. Mit Arbeiten wie »Fontaine« wurde er zum Vorbild für die Pop-Art und die Konzeptkunst der 1960er Jahre.

In einem New Yorker Haushaltswarengeschäft kaufte Marcel Duchamp ein Pissoirbecken aus Porzellan, signierte es mit R. Mutt (was an den Namen der Herstellerfirma, Mott, erinnerte) und der Jahreszahl 1917. Dann präsentierte er das Objekt als Kunstwerk für eine Ausstellung. Die Veranstalter wiesen den Beitrag zurück. Der Name »Fontaine« (zu deutsch »Brunnen«) entstand als witzige Umkehrung der eigentlichen Funktion eines Pissoirbeckens.

Was ist ein »Readymade«?

Readymades (eigentlich »Konfektionsware«) sind industriell vorgefertigte Gebrauchsgegenstände, die vom Künstler, ohne dass er sie verändert (aber signiert), zu Kunstwerken erklärt werden. Duchamp führte diesen Begriff für Kunstwerke wie »Fontaine« ein. Das Pissoirbecken war für Duchamp ab dem Zeitpunkt ein Kunstwerk, an dem er es dazu erklärt hatte: Kunst als kreativer Akt der Auswahl. Die Zufälligkeit dieser Auswahl spielte in der Kunstströmung des Dadaismus eine wichtige Rolle, half sie doch mit, gegen das traditionelle Kunstverständnis zu rebellieren. »Fontaine« ist nur ein Beispiel für Duchamps kompromissloses, radikales Vorgehen gegen den herkömmlichen Kunstbegriff, das das gesamte Kunstschaffen des 20. Jahrhunderts beeinflussen sollte. Seine »Anti-Kunst« wurde zum Vorreiter zahlreicher späterer Entwicklungen.

Wie begann Duchamps Karriere als Künstler?

Duchamp studierte an der Académie Julian in Paris Malerei. Kubismus und italienischer Futurismus waren die Vorbilder für das Gemälde »Akt, eine Treppe herabsteigend« (1912). Mit dem Stilmittel der futuristischen Simultan-Darstellung, die kubistisch zerlegte Formen nebeneinanderreiht, malte Duchamp die Bewegungsabläufe eines weiblichen Aktes beim Heruntersteigen einer Treppe. Bei der Armory-Show 1913, der großen Ausstellung zeitgenössischer Malerei in New York, erregte das Werk großes Aufsehen und machte den 26-jährigen Künstler berühmt. Und doch gab Duchamp die Malerei, die er als »Netzhautkunst« abtat, bald auf und wandte sich seinen Readymades zu, die die Kunstwelt provozierten. Das erste Readymade war das »Fahrrad-Rad« (1913), 1914 folgte der »Flaschentrockner«, 1917 dann »Fontaine«. Mit den – beabsichtigten – negativen Reaktionen der Kunstwelt auf diese Werke hatte Duchamp deren nur scheinbar liberale Haltung entlarvt.

Was ist Dada?

Dada entstand 1916 als literarische Bewegung in der Schweiz, der Name wurde zufällig beim Blättern in einem Wörterbuch gefunden und ist ein Schweizer Kinderwort für Schaukelpferd. Das Mouvement Dada war eine Reaktion auf die Barbarei des Ersten Weltkriegs. Dada war »Antikunst« mit dem Ziel, Sinn aus Unsinn und in einer Welt aus Bruchstücken Kunst aus Bruchstücken zu schaffen. Schnell ergriff die Dada-Bewegung auch Maler und Bildhauer. Duchamp war 1915 nach Amerika gereist und hatte dort mit seinem Pariser Freund Francis Picabia und dem Fotografen Man Ray einen Ableger der Dada-Gruppe gegründet.

Was verbirgt sich hinter »L.H.H.O.Q.«?

Duchamp und Picabia malten 1919 auf eine Postkarte von Leonardo da Vincis »Mona Lisa« der berühmten Dame einen Lippen- und Kinnbart und schrieben darunter die geheimnisvollen Buchstaben L.H.H.O.Q. Liest man sie laut auf Französisch, erschließt sich die obszöne Bedeutung: Elle a chaud au cul: »Sie ist heiß«. Diese »Neufassung« der »Mona Lisa« ist ein typisches Dada-Produkt.

Wussten Sie, dass …

ein Kritiker Duchamps Gemälde »Akt, eine Treppe herabsteigend« als »Explosion in einer Ziegelfabrik« beschrieb?

Duchamps letztes Gemälde eine pseudomechanische Installation aus Ölfarbe, Lack, Bleidraht und Staub zwischen zwei zerbrochenen Glasscheiben ist, die als verschlüsseltes Symbol für die Mechanismen einer Hochzeitsnacht steht? Das Gemälde heißt »Die Braut selbst, von ihren Junggesellen entkleidet, sogar«.

Wie kam der Konzeptkünstler zur Schacholympiade?

Kunsthistoriker vermuten, dass er sich damit dem etablierten Kunstbetrieb entziehen wollte, den er in seiner aktiven Zeit als Maler und Konzeptkünstler reichlich provoziert hatte. Tatsächlich beschäftigte sich Duchamp von 1928 bis 1933 im Wesentlichen mit Schach, wurde Mitglied der französischen Nationalmannschaft und nahm an mehreren Schacholympiaden teil. Schach interessierte ihn nicht nur als geistige Herausforderung, sondern auch unter künstlerischem Aspekt. 1968 veranstaltete er zusammen mit dem Komponisten John Cage eine Performance, bei der die beiden Künstler Schach spielten und Sensoren im Schachbrett die Bewegungen der Figuren in Tonfolgen umsetzten.

Seine Berufung zur Kunst erkannte der am 28. Juli 1887 in Blainville bei Rouen geborene Duchamp früh: Mit 15 Jahren begann er bereits zu malen – und befand sich dabei in einer Familie von Künstlern in bester Gesellschaft.

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