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Digital Afterlife Industry – KI als Helfer für ewiges Leben?

Nach dem Tod als KI-Avatar den Enkeln von damals erzählen oder ihnen Gute-Nacht-Geschichten vorlesen – genau das ist Ziel der „Digital Afterlife Industry“ (DAI). Es gibt immer mehr solcher Anwendungen, die es uns ermöglichen sollen, digital weiterzuleben. Welche Möglichkeiten gibt es? Wie funktionieren solche Anwendungen? Kann ein digitaler Avatar tatsächlich Trost spenden oder hält er uns vom Abschiednehmen ab?
SSC, 12.03.2025
Blau getönte digitale Schaltung, männliche Gestalt tritt durch elektronische Tür

© oonal, iStock

Viele Menschen wünschen sich, nach ihrem Tod ihrer Familie und ihren Liebsten etwas Tröstliches hinterlassen zu können. Umgekehrt würden viele Hinterbliebene gerne noch einmal mit dem Verstorbenen reden, ihm Fragen stellen oder einfach seine Gegenwart genießen. KI-gestützte Avatare und digitale Gedenkprofile sollen genau das ermöglichen. Sie nutzen meist künstliche Intelligenz, um Sprache, Erinnerungen und Persönlichkeitsmerkmale eines Menschen zu simulieren. Angehörige können dann auch nach dem Tod des Verstorbenen mit dessen Avatar oder Chat-Persönlichkeit interagieren.

„KI light“ – geplante Geburtstagsgrüße und digitales Archiv

Um über den Tod hinaus in gewisser Weise fortzubestehen, gibt es verschiedene Möglichkeiten – Einige kommen dabei auch ohne KI aus. Das Unternehmen „GoneNotGone“, das bereits 2016 gegründet wurde, ermöglicht es Sterbenden, vor ihrem Tod selbst Text-, Sprach- oder Videobotschaften aufzunehmen. Nach dem Tod bekommen Angehörige diese Botschaften beispielsweise zu Geburts- und Feiertagen oder ähnlichen Anlässen zugesendet. Zurzeit ist die Website des Unternehmens jedoch nicht aufrufbar.

Eine Art digitales Archiv bietet hingegen der Anbieter „HereAfter AI“. Hier können Personen auf Grundlage vorgeschlagener Kategorien und Fragen Audiodateien aufnehmen und Fotos hochladen. Nach dem Tod dieser Person können dann Hinterbliebene per Spracheingabe Fragen stellen und bekommen passende, mündlich aufgezeichnete Erzählungen und Fotos des Verstorbenen vorgespielt. Die KI hilft hier lediglich, die Fragen der Angehörigen den zuvor aufgenommenen Erinnerungen des Verstorbenen zuzuordnen.

Auch nach dem Tod auf Social Media

Einen Schritt weiter geht das Unternehmen „Eter9“, das auch generative KI nutzt – also künstliche Intelligenz, die eigenständig Inhalte erstellen kann. Nutzer können zu Lebzeiten auf einem sozialen Netzwerk des Unternehmens posten und so ihre „KI-Kopie“ mit Informationen füttern. „Je aktiver ein User auf der Plattform ist, desto mehr Informationen erhält der Counterpart und desto präziser kann dieser sein menschliches Vorbild imitieren“, erklären Forschende des Fraunhofer-Instituts für Sichere Informationstechnologie (SIT) und der Universität Tübingen.

„Einmal angelernt, kann die KI auch weiterposten, wenn die betreffende Person ausgeloggt oder gar verstorben ist“, so die Wissenschaftler weiter. „Kommunizieren kann der Counterpart dann sowohl mit den noch lebenden Mitgliedern des Netzwerks als auch mit weiteren Künstlichen Intelligenzen.“

Ein Abbild seiner selbst

Ein Mensch, der bereits jetzt in gewisser Weise als künstliche Intelligenz weiterlebt, ist Michael Bommer. Der inzwischen verstorbene Geschäftsmann erkrankte 2022 an Darmkrebs. Als feststand, dass der Krebs unheilbar ist, wandte sich ein Freund an Bommer. Sein Vorschlag: Bommer könnte mithilfe der Firma „Eternos.Life“ und einer KI einen digitalen Zwilling seiner selbst anfertigen.

Bommer beantwortete dazu über 100 vorgefertigte Fragen über Ansichten, Vorlieben und Ereignisse in seinem Leben, zum Beispiel über den Heiratsantrag an seine Frau. Die KI ist dann in der Lage, mit der Stimme des Verstorbenen zu sprechen und wie ein Chatbot zu agieren. Sie versucht auch, auf Fragen zu antworten, die Bommer nicht im Voraus beantwortet hat, indem sie auf Basis ihres Vorwissens seine Persönlichkeit imitiert.

Bommers Ehefrau Anett nutzt den Chatbot jedoch nicht für ihren persönlichen Trauerprozess, wie sie in einer Dokumentation der ARD erzählt. Vielmehr sieht sie die KI als eine Art Memoiren und als Möglichkeit, verblassende Erinnerungen an ihren Mann aufzufrischen.

Risiken des digitalen Weiterlebens

Aber welche Schattenseite könnte das digitale Weiterleben haben? Zum einen kosten alle dieser KI-Anwendungen Geld, was die Frage aufwirft, ob sie wirklich dem Gedenken dienen oder vor allem kommerziellen Interessen folgen. Auch um den Schutz der persönlichen Daten bei der KI-gestützten  Verarbeitung und Aufbewahrung selbst intimster Informationen sorgen sich viele Menschen, wie die Studie des STI und der Universität Tübingen zeigt. Hinzu kommt, dass die Reaktionen der KI-generierten Avatare mit der Zeit auch das Bild des Verstorbenen verfälschen können.

Ein weiteres Risiko kann ein Realitätsverlust und eine Blockierung des Trauerprozesses durch solche Anwendungen sein. Denn schon unter normalen Umständen wollen einige Menschen den Verlust eines geliebten Menschen zunächst nicht wahrhaben. Doch das kann die psychologische Bewältigung des Verlusts erschweren, wie psychologische Studien zeigen.  Ein KI-Avatar des Verstorbenen könnte  dies zusätzlich behindern.

Erfahrungen mit KI-Chatbots und Avataren beispielsweise in Form virtueller Partner legen noch einen weiteren negativen Effekt nahe: Das Chatten oder Reden mit der KI-Kopie eines oder einer Toten könnte geradezu süchtig machen. Betroffene ziehen sich dadurch oft von realen Menschjen zurück und versinken förmlich in der (Schein)-Beziehung mit der künstlichen Intelligenz. Im Falle eines verstorbenen Liebsten könnte dies den Trauerprozess komplett verhindern, so die Kritiker.

Hilft oder erschwert uns KI die Trauer?

„Es lässt sich jedenfalls nicht verallgemeinernd sagen, ob die betreffenden technischen Anwendungen menschliche Beziehungen (sowohl zwischen Lebenden untereinander als auch zwischen Lebenden und Verstorbenen) erleichtern oder erschweren“, schreibt das Forschungsteam des SIT und der Universität Tübingen.

Während manche dieser KI-Anwendungen einigen Menschen helfen könnten, ihre Trauer besser zu bewältigen, könnte sie anderen den Abschied von dem Verstorbenen erschweren. Vermutlich ist es entscheidend, wie wir mit solchen Anwendungen umgehen, und wichtig, dass wir hinterfragen, ob sie uns die Trauer erschweren oder erleichtern.

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