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„Entscheidend ist, was hinten rauskommt“
Der Oggersheimer, der Mann aus der Pfalz, hat einige Rekorde in seiner politischen Laufbahn aufgestellt, nicht nur als der bislang am längsten amtierende Bundeskanzler. Kohl war auch bis dato jüngster Parlamentarier im Landtag von Rheinland-Pfalz, jüngster Fraktionschef der Bundesrepublik, später, mit nur 39 Jahren, als Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz Deutschlands jüngster Regierungschef. Und über wen kann man schon sagen, dass er eine ganze Ära geprägt hat. Nicht immer glanzvoll, aber ein Blick zurück stimmt ja manchmal auch milde. Von 1982 bis 1998 saß Helmut Kohl im Kanzleramt, wobei es zwei Epochen in dieser Ära gab: die Zeit bis zum Mauerfall und nach der Einheit. Als Deutschland noch geteilt war, ging es um viel Innenpolitik, eine geistig-moralische Wende, die der selbsternannte „Enkel Adenauers“ anstoßen wollte, den Protest gegen Atomwaffen, die 35-Stunden-Woche und natürlich die Grünen. Nach der Einheit war Kohl der international gefeierte Einheitskanzler, der den Mantel der Geschichte ergriffen und die Zeichen der Zeit erkannt hatte – kein Paradigmenwechsel, aber die Sicht sowie die Schwerpunkte hatten sich auf einmal verschoben.
Blick zurück - geistig-moralische Wende, Saumagen und Machtpolitik
Aber stopp – zunächst ein Blick zurück: Geboren wurde Helmut Kohl am 3. April 1930 als jüngstes von drei Kindern in Ludwigshafen. Das Elternhaus war konservativ-katholisch. Der Krieg prägte die ersten Jahre – Kinderlandverschickung, Rückkehr in die Heimatstadt im letzten Kriegsjahr, Entbehrungen, Schule, 1950 schließlich das Abitur mit anschließendem Studium der Geschichte und Rechtswissenschaften in Frankfurt am Main, danach in Heidelberg, Magister, Promotion.
In den 50er Jahren war Deutschland Wirtschaftswunderland – die Industrie boomte und bot jungen und gut ausgebildeten Kräften hervorragende Aufstiegschancen. Helmut Kohl war obendrein schon früh parteipolitisch vernetzt. Bereits kurz nach dem Krieg war er in die CDU eingetreten und schon bald Mitglied im geschäftsführenden Vorstand der Landes-CDU. Ende der Dekade heuerte Kohl als Referent beim Verband der Chemischen Industrie in Ludwigshafen an. Auch privat ging’s vorwärts: 1960 heiratete er Hannelore Renner. Das Paar bekam zwei Söhne. Das Leben von Hannelore Kohl endete tragisch: 2001 nahm sie sich – nach krankheitsbedingter Leidenszeit – das Leben.
Kohl, mittlerweile Landtagsabgeordneter in Rheinland-Pfalz und rasch Fraktionsvorsitzender, startete durch. Der machtbewusste Jungpolitiker galt als Reformer und Modernisierer. Klug scharte er eine Gruppe Gleichgesinnter um sich, baute ein Netz auf und die eigenen Polit-Karriere aus. Landesvorsitzender, ab 1969 Ministerpräsident seines Landes als Nachfolger des 21 Jahre lang regierenden Peter Altmeier. „Mit Kohl, dem emporstrebenden Manager der Christenunion, soll zwischen Rüben und Reben eine neue Zeit beginnen“, schrieb das Nachrichtenmagazin Der Spiegel. Das System Kohl funktionierte – wie auch der Spiegel schon früh erkannte: „Schnoddrig und hemdsärmelig im Umgang mit der Macht, formte er die 49köpfige CDU-Fraktion zu einer treuen Schar von Vollzugsparlamentariern. Und die Treuesten wurden nun auch mit Ämtern belohnt.“
Helmut Kohl wurde CDU-Parteivorsitzender (1973-1998), Bundestagsabgeordneter (1976-2002), schließlich Vorsitzender der Fraktion (1976-1982). Franz-Josef Strauß, den polternden und scharfzüngigen Kontrahenten aus Bayern, hielt er erstaunlicherweise und mit viel Ausdauer stets auf Abstand, innenpolitische Widersacher gab es schon bald nicht mehr. Nach dem konstruktiven Misstrauensvotum gegen Helmut Schmidt wurde er 1982 dessen Nachfolger, war am Ziel seiner Träume.
Es war durchaus eine Zeitenwende. Nach dem kantigen und wortgewandten Hanseaten, der als Weltökonom das große Ganze im Blick hatte, hielt nun – so schien es – die Provinz Einzug. Der sechste Kanzler der Bundesrepublik wirkte nicht nur aufgrund seiner Körpergröße oft tapsig, seine pfälzisch gefärbte Aussprache und die Wahl seiner Worte boten reichlich Angriffsfläche: „Geistig-moralische Wende“ und die „Gnade der späten Geburt“ gehören zur Ära Kohl wie der Saumagen zur Pfalz.
Kanzler der Einheit und unrühmliches Karriereende
Und dann kam sein Jahr, wenn man so will. Nach dem Fall der Mauer 1989, die Bundes-CDU war eigentlich in der Wählergunst auf dem absteigenden Ast, nutzte Kohl die Gunst der Stunde. Instinktsicher und kompromisslos führte er Deutschland zur Einheit. Dass er letztlich nie einen amerikanischen Präsidenten verprellt, die Kontakt zu Frankreich gepflegt und einen Draht zum Kreml-Chef Gorbatschow hatte, halfen ihm und Deutschland. „Blühende Landschaften“ gab es im Osten zwar noch nicht so schnell, aber Kohls Vision brachte der CDU Wählerstimmen. Nicht zu vergessen: Kohl baute Angela Merkel, „sein Mädchen“, auf und förderte ihre Karriere.
Gewann seine CDU die Wahl 1994 noch knapp, so reichte es 1998 nicht mehr. Kohl, der sich nach der Einheit verstärkt um die europäische Architektur gekümmert hat, wurde vom SPD-Herausforderer Gerhard Schröder abgelöst. Unrühmlich die Parteispendenaffäre, in der Kohl die Herkunft von Geldzahlungen verschwieg – bis zuletzt. Auch ein Untersuchungsausschuss verhedderte sich im parteipolitischen Kleinklein.
Helmut Kohl, gesundheitlich schwer angeschlagen, heiratete 2008 ein zweites Mal. Bereits seit 2005 lebte er mit Maike Richter, geboren 1964, in einer Beziehung. Kohl blieb der Kanzler der Einheit, seine Bilanz halten viele für glänzend – wenn auch nicht für makellos. So oder so ähnlich werden es auch die Schulbücher vermelden. Und um den Oggersheimer noch einmal zu zitieren: „Entscheidend ist, was hinten rauskommt.“