1965 ist ein Jahr der Übergangs. In der Bundesrepublik Deutschland nähert sich die restaurative Phase der Nachkriegszeit ihrem Abschluss. Die CDU, die seit 1949 unangefochten als stärkste Partei den Regierungschef stellt, kann sich auch bei der Bundestagswahl im September noch einmal mit Ludwig Erhard als Kanzler behaupten. Dennoch bahnt sich das Ende der christdemokratischen Ära an. Die »Adenauer-Zeit« hat die Westintegration der Bundesrepublik bewerkstelligt, das »Wirtschaftswunder« auf den Weg gebracht und Millionen von Flüchtlingen und Vertriebenen integriert. Der Nachfolger Adenauers, Erhard, regiert aber zu einer Zeit, in der sich das Selbstverständnis des jungen Staates verändert, in der sich aber auch erstmals wirtschaftliche Schwierigkeiten abzeichnen. Damit ändern sich für viele Bürger die Vorzeichen. Das in den 1950er Jahren entwickelte politische und gesellschaftliche Selbstverständnis der Bundesrepublik wandelt sich, und die SPD erscheint vielen erstmals wählbar.
Was sonst noch geschieht:
1965 nimmt der seit Jahren schwelende Konflikt zwischen den USA und dem kommunistischen Nordvietnam kriegerische Konturen an. Am 8. März landen erstmals reguläre US-Kampftruppen im Land. Die Auseinandersetzung zieht sich bis 1975 hin und fordert Millionen Todesopfer. Auch in Deutschland kommt es in den sechziger Jahren zu zahlreichen Demonstrationen gegen den Vietnam-Krieg.
Vollbeschäftigung und Arbeitskräftemangel kennzeichnen 1965 die Situation auf dem Arbeitsmarkt in der Bundesrepublik. Das Fehlen von Arbeitskräften führt sogar zu einem leichten Absinken der Steigerungsrate (8,0%) des realen Bruttosozialprodukts im Vergleich mit dem Vorjahr (8,3%).
Zunehmend erobern sich Großrechner neue Anwendungsgebiete in alltagsnahen Bereichen. Erstmals ermitteln Computer schon vor der Bundestagswahl nach demoskopischen Umfragen von repräsentativen Personengruppen Prognosen zum Wahlausgang; am Wahlabend wird das Wahlergebnis schon vor der Auszählung aller Wahlkreise durch Hochrechnung der Stimmverteilung aus ausgewählten Stimmbezirken mit großer Genauigkeit errechnet.
Mehr als eine Randnotiz:
Am 26. November 1965 führt der Künstler Joseph Beuys in Düsseldorf seine Aktion wie man dem toten hasen die bilder erklärt auf. Die Performance mit dem sprechenden Titel gilt als Schlüsselwerk und ironisiert das Erklären der Kunst, indem ein toter Hase der Adressat ist – und Beuys’ Zwiegespräch vom Publikum nicht gehört werden kann.
Hier hören Sie das Audio "Geschichte der Bundesrepublik Deutschland 1966"