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Helmut Schmidt – Ein Mann geht in die Verlängerung (Podcast 28)

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Er ist und war ein Politiker, ein Krisenmanager und ein Arbeitstier. Seine große Leidenschaft gilt noch immer der Musik und der Malerei. Auch ein Kind der Hansestadt Hamburg ist er geblieben. Und natürlich Liebhaber von Kaffee, Cola und Tabak. Ein Künstler, ein typisches Nordlicht, ein bekennender Genießer. Der ehemalige Bundeskanzler Helmut Schmidt wird am 23. Dezember 90 Jahre alt. wissen.de über Schmidts ereignisreiches und spannendes Leben. Und auf einen Mann, der heute fast noch immer so sehr gefragt ist wie zu seiner achtjährigen Kanzlerzeit. Ein Mann geht in die Verlängerung – Helmut Schmidt wird 90.
 

Der RAF-Terror:  eine der größten politischen Herausforderungen
 

7. Mai 1974 – der Norddeutsche Rundfunk gibt den Rücktritt von Regierungschef Willy Brandt bekannt. Sein Nachfolger wird neun Tage später Bundesfinanzminister Helmut Schmidt.
In der darauffolgenden Amtszeit steht der neue Kanzler großen Herausforderungen gegenüber: die weltweite Ölkrise, aber auch der Terror der Rote Arme Fraktion, kurz RAF, im so genannten Deutschen Herbst 1977. Gerade Letzteres trifft Helmut Schmidt besonders hart und bewirkt ein Umdenken des Kanzlers. Steht Schmidt zunächst für seine Verhandlungsbereitschaft, wird er später für eine härtere Linie und seine Unnachgiebigkeit bekannt.

Es ist die Zeit, in der RAF-Terroristen den deutschen Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer gewaltsam als Geisel nehmen. Die Entführer fordern von der Regierung die Freilassung von elf RAF-Gefangenen. Unterstützt werden sie einen Monat nach Schleyers Entführung von einem palästinensischen Terrorkommando, das die Lufthansa-Maschine „Landshut“ in seine Gewalt bringt. Das Flugzeug wird nach fünf Tagen vom GSG-9-Kommando gestürmt. Die Befreiung verläuft erfolgreich, es kommen weder Geiseln noch Polizisten ernsthaft zu schaden. Helmut Schmidt sagt heute noch, er hätte nicht mit dem Erfolg der Aktion gerechnet. Nachdem er die Nachricht von der Befreiung erhalten habe, sei er in Tränen ausgebrochen.
 

Umso tragischer ist die Meldung, die RAF-Terroristen hätten Hanns Martin Schleyer in Folge der Ereignisse um die „Landshut“ umgebracht. Seine Leiche wird im französischen Mülhausen im Kofferraum eines Wagens gefunden. Es ist einer der schwärzesten Tage im politischen Leben des Bundeskanzlers.
 

Schmidts Bemühungen werden belohnt, die Drahtzieher der Entführung ausfindig gemacht und verhaftet. Der Terror des Deutschen Herbstes ist nach nur zwei Monaten im November 1977 beendet. Seiner fehlenden Bereitschaft zum Kompromiss ist es letztlich zu verdanken, dass die RAF-Terroristen keinen zweiten Versuch mehr unternehmen, die Regierung und Staat derart unter Druck zu setzen.
 

Deutschlands Nachbarn: Schmidts Bemühungen um gute politische Beziehungen
 

Gewiss erlebt Helmut Schmidt in seiner Kanzlerzeit auch immer wieder die guten Seiten der Politik. So gelingt es ihm zusammen mit seinem Freund, dem französischen Staatspräsidenten Valéry Giscard d’Estaing, die deutsch-französischen Beziehungen zu verbessern. Auch ist er stets um ein gutes Verhältnis Deutschlands zu Polen bemüht, dem, wie er heute noch bekennt, nach Frankreich wichtigstem Nachbarn.


In Zusammenarbeit mit Giscard hebt Schmidt zudem das Europäische Währungssystem sowie die Europäische Währungseinheit aus der Taufe. Vorarbeiten, ohne die es den Euro als gemeinsame europäische Währung nicht gäbe.
 

Die Person Helmut Schmidt: sein Leben vor der Kanzlerzeit
 

Schmidt kommt am 23. Dezember 1918 als unehelicher Sohn eines deutschen Kaufmanns und einer Kellnerin im Hamburger Arbeiterviertel Barmbek zur Welt. Er wird zur Adoption freigegeben und wächst fortan bei seinem Ziehvater auf. An ihm, der viel arbeitet und nebenher studiert, nimmt sich Schmidt, ob bewusst oder unbewusst, ein Beispiel; er wird mit der Zeit selbst zu einem Workaholic.


1933 erfährt Helmut Schmidt, dass sein ursprünglicher Vater jüdischer Abstammung sei. Von da an betreibt er Urkundenfälschung, um seine arischen Wurzeln zu belegen.
Schmidt tritt, wie es damals Usus war, in die Hitlerjugend an und zieht in den Krieg, in dem er an Ost- und Westfront gleichermaßen kämpft.
 

Im Juni 1942 heiratet der Oberleutnant Schmidt seine Frau Hannelore Glaser, auch bekannt unter ihrem Spitznamen „Loki“. Eines ihrer zwei Kinder stirbt bereits vor seinem ersten Geburtstag im Jahr 1945. Im gleichen Jahr gerät Schmidt in britische Kriegsgefangenschaft, kommt jedoch nach nur wenigen Monaten wieder frei. Nach seiner Entlassung tritt er der SPD bei. Dort durchläuft er etliche Stationen, wird 1969 Bundesminister der Verteidigung und schließlich 1974 zum Bundeskanzler gewählt. Schmidt gilt als intellektuell und rhetorisch gewandt. Ein Redetalent, was ihm bald auch den Beinamen „Schmidt Schnauze“ einbringt. Der Kanzler folgt einem autoritären Führungsstil, geleitet von den Begriffen Realismus, Pragmatismus und Vernunft. Kritiker werfen ihm vor, als Regierungschef absichtlich arrogant gewesen zu sein. Helmut Schmidt dementiert dies jedoch.
 

Nach acht Jahren Kanzleramt und dem Scheitern seiner Sozialliberalen Koalition wird Helmut Schmidt 1982 nach einem konstruktiven Misstrauensvotums vom Christdemokraten Helmut Kohl abgelöst.
 

Die Person Helmut Schmidt: sein Leben nach der Kanzlerzeit
 

Noch immer vertritt Schmidt öffentlich, intellektuell untermauert und mit Verve seine politischen Standpunkte. So hält er zurzeit die Massenarbeitslosigkeit für das größte Problem in Deutschland. Arbeitslosen müsste mehr zugemutet werden. Obwohl er SPD-Mitglied ist, zählt Schmidt zu den Befürwortern von Studiengebühren. Was nicht sonderlich überrascht: als Kettenraucher hält er nichts vom Rauchverbot.
 

Seine herausragenden publizistischen Fähigkeiten legte Helmut Schmidt als Mitherausgeber und Verleger der Wochenzeitung „Die Zeit“ an den Tag. Auch als scharfzüngiger Kolumnist trat er dort regelmäßig in Erscheinung. Schmidt ist seit jeher auch für seine Kunstvorliebe bekannt. Selbst mit 90 Jahren schwingt er gerne noch den Pinsel und malt eigene Bilder. Schwieriger geworden ist für ihn dagegen eine andere Leidenschaft: das Klavierspielen.
Das hat er zwar nicht verlernt, doch lässt sein Gehör immer stark nach, so dass er kaum mehr hört, was er spielt.
 

Verstimmt ist das Klavier wohl nicht. Auch die Deutschen sind ihm gegenüber nicht verstimmt. 2007 wird er zum besten Altkanzler und 2008 noch vor Till Schweiger zum „coolsten Kerl“ der Republik gewählt.
Helmut Schmidt wird am 23. Dezember 90. Rechnet man diese Zahl auf ein Fußballspiel um, so läuft für ihn bereits die neunzigste Minute. Wir wünschen ihm viele Minuten Nachspielzeit und eine Verlängerung. Damit würde er das biblische Alter von 120 erreichen. wissen.de wünscht dem Altkanzler alles Gute! 

Paul Sklorz