Homosexualität
Heute blicken wir ein wenig in die jüngste Geschichte zurück. Und wir beschäftigen uns mit der Situation der Homosexuellen in Deutschland. Die gerieten nämlich damals, im Februar 1987, ins Visier der bayerischen Gesundheitspolitik. Auf Initiative des bayerischen Staatssekretärs Peter Gauweiler hatte die Landesregierung einen Maßnahmenkatalog beschlossen, der die Ausbreitung der noch jungen Krankheit Aids eindämmen sollte. Schwule stellte das rigorose Regelwerk unter den Generalverdacht, Aids zu verbreiten. Wissen.de-Autorin Alexandra Mankarios hat für uns untersucht, was sich damals in Bayern abspielte und wie sich die Situation der Schwulen und Lesben in Deutschland seitdem verändert hat.
1987: Panikmache gegen Schwule im Namen der Gesundheit
München im Frühling 1987: Die Schwulenkneipen sind wie leergefegt. Der Grund: Am 25. Februar hatte die CSU-Regierung des Freistaats eine Reihe von Maßnahmen beschlossen, um die Ausbreitung von Aids zu verhindern. Neben dem Umgang mit Infizierten hatte die Regierung auch festgelegt, wie mit so genannten "Ansteckungsverdächtigen“ umzugehen sei. Aus dem Wortlaut: "Das Gesundheitsamt stellt Ermittlungen an, wenn sich ergibt, dass jemand krank, krankheitsverdächtig, ansteckungsverdächtig, Ausscheider oder ausscheidungsverdächtig ist, oder wenn anzunehmen ist, dass jemand ansteckungsverdächtig ist.“ Um unter Ansteckungsverdacht zu geraten, brauchte es nicht viel. Fixer und Prostituierte beiderlei Geschlechts hatten alle drei Monate zum Zwangstest zu erscheinen. Männer, die bei einem Anbahnungsgespräch mit einem Homosexuellen ertappt wurden, konnten ebenfalls vorgeladen werden. Bordellen und Homosexuellen-Treffs drohte die Schließung. Im gesamten Rest Deutschlands stieß der Katalog auf Entsetzen. "Ein Gesetz zum Fürchten“ titelte etwas die Bildzeitung. Den bayerischen CSU-Kultusminister Hans Zehetmair hingegen ließ die Kritik an dem harschen Umgang mit Homosexuellen kalt. In einer Fernsehsendung im bayerischen Fernsehen stellte er 1987 zum Thema Schwule klar: "Es kann nicht um noch mehr Verständnis für Randgruppen gehen, sondern nur darum, sie auszudünnen ... Diese Randgruppe muss ausgedünnt werden, weil sie naturwidrig ist.“
Die Homophobie der 80er Jahre
Heute, über 25 Jahre später, ist es nicht mehr vorstellbar, dass ein Politiker derart unverblümt seine homophoben Ansichten öffentlich kund tut. Damals aber wehte noch ein anderer Wind. Erst 1969 war der berüchtigte Paragraf 175 des Bürgerlichen Gesetzbuchs entschärft worden, der seit 1872 die Homosexualität zwischen Männern unter Strafe gestellt hatte. Ganz gestrichen wurde der Paragraf aber erst 1994.
Doch auch wenn in den 80er Jahren Sex zwischen erwachsenen Männern weitgehend legal war – die Gesellschaft war noch lange nicht so weit, Homosexualität als eine gleichberechtige Lebensweise zu begreifen. Die so genannte Kießling-Affäre, die in den Jahren 1983 und 84 die Öffentlichkeit beschäftigte, illustriert gut das gesellschaftliche Klima der Zeit. Günter Kießling war ein deutscher Vier-Sterne-General und stellvertretender NATO-Oberbefehlshaber. Seine bis dato ansehnliche soldatische Karriere fand 1983 ein jähes Ende, als beim NATO-Hauptquartier das Gerücht einging, Kießling sei in zwei Schwulenlokalen gesehen worden. Die Kriminalpolizei machte Zeugen ausfindig, die das Gerücht bestätigten. Ende des Jahres wurde Kießling unehrenhaft aus den Streitkräften entlassen. Die Begründung: Als Homosexueller sei er erpressbar, und dies sei nicht mit seiner verantwortungsvollen Position zu vereinbaren. Kießling selbst wies den Vorwurf von sich. Nachdem die Affäre wochenlang in den Medien und der Öffentlichkeit diskutiert und vor Gericht geprüft wurde, musste die Bundeswehr den geschassten General 1984 schließlich doch wieder aufnehmen – allerdings nicht aufgrund einer geläuterten Erkenntnis, dass Homosexualität gar nicht erpressbar macht, sondern nur, weil es keine ausreichenden Beweise für Kießlings Homosexualität gab. Erst im Jahr 2000 hat die Bundeswehr ihre Ächtung homosexueller Soldaten eingestellt. Seit 2006 schützt das "Gesetz über die Gleichbehandlung der Soldatinnen und Soldaten“ schwule und lesbische Angehörige der Streitkräfte.
Die Outingwelle der 90er Jahre
In den 90er Jahren kam ans Licht, worüber vorher allenfalls gemunkelt wurde: Unter den vielen Persönlichkeiten, die das öffentliche Leben in Deutschland bestimmen, gibt es auch Schwule und Lesben. Eine zentrale Figur, die diese so genannten Outings vorantrieb, was der Filmemacher Rosa von Praunheim. In einem legendären Auftritt im RTL-Magazin "Explosiv – der heiße Stuhl“ am 10. Dezember 1991 erklärte er dem überraschten Publikum: "Hape Kerkeling ist stockschwul, Alfred Biolek auch.“ Die beiden ersten deutschen zwangsgeouteten Prominenten reagierten zwar zunächst ungehalten, machten aber auch die Erfahrung, dass ihnen das Outing nicht zum Nachteil gereichte. 2006 berichtete Biolek in einem Interview: "Erst neulich hat mir wieder jemand unter Tränen erzählt, wie befreiend mein Outing auf ihn gewirkt hat. Seine Eltern wollten ihn verstoßen und haben seine Neigung – auch dank mir – akzeptiert.“ Bis ins neue Jahrtausend hinein outen sich immer mehr Prominente, so zum Beispiel die Tagesthemen-Sprecherin Anne Will, die Schauspielerin Ulrike Folkerts – besser bekannt als Tatort-Kommissarin Lena Odenthal – oder der Berliner Bürgermeister Klaus Wowereit. Mit diesen öffentlichen "Bekenntnissen“ haben Schwule und Lesben in Deutschland erstmals ein Gesicht bekommen – die Outings der 90er Jahre haben der Gesellschaft deutlich gemacht, dass Schwule und Lesben keine zwielichtigen Gesellen sind, sondern ganz normale, achtbare Persönlichkeiten. Ein wichtiger Schritt – aber sicher nicht der letzte. Auf das Outing eines deutschen Fußball-Nationalspielers etwa warten wir bisher vergebens.
Schwule und Lesben im Rest der Welt
Auch wenn in Deutschland noch nicht alles zum Besten steht mit der Gleichbehandlung Homosexueller: In manchen Ländern ist die Lage der Schwulen und Lesben viel dramatischer. So zum Beispiel im Iran: Dort wird Homosexualität mit der Todesstrafe geahndet – nicht nur in der Theorie, sondern mit grausamer Regelmäßigkeit auch in der Praxis. Über 4.000 Männer sind seit 1979 öffentlich hingerichtet worden. Ein besonders bestürzender Fall ging 2005 auch bei uns durch die Presse. Mahmoud Asgari und Ayaz Marhoni waren erst 16 und 18 Jahre alt, als sie am 19. Juli 2005 öffentlich in der iranischen Stadt Maschad an zwei Baukränen aufgeknüpft wurden. Beide waren noch minderjährig gewesen, als sie einvernehmlich miteinander geschlafen hatten. An einer angeblichen Vergewaltigung eines weiteren 13jährigen bestanden bis zum Schluss ernsthafte Zweifel. Vor ihrer Hinrichtung saßen die beiden Jugendlichen 14 Monate im Gefängnis, außerdem mussten sie eine öffentliche Auspeitschung über sich ergehen lassen. Der Iran ist nur die Spitze des Eisbergs. In über 70 Ländern weltweit steht Homosexualität noch immer unter Strafe. Vor allem islamisch geprägte Gesellschaften gehen rigoros mit Homosexualität um. Besonders Schwule haben gesetzlich häufig mit hohen Strafen zu rechnen. lesbischer Sex wird milder oder gar nicht geahndet.
Die Sicht der Religionen und die Geschichte von Sodom
Der stärkste Gegenwind weht der Schwulen- und Lesbenbewegung aus religiösen Kreisen entgegen. Papst Benedikt XVI. etwa betonte in seinen Ansprachen immer wieder, dass nur eine Familie, die aus der Ehe zwischen Mann und Frau hervorgeht, die Grundzelle einer gesunden Gesellschaft sein kann. Der so genannten „Homoehe“ erteilt er damit eine klare Absage. Andere kirchliche Kreise gehen noch weiter. Sie betrachten Homosexualität als eine Art psychischer Störung, die geheilt werden muss. Radikal christliche Institute, vor allem aus den USA, vermitteln auf ihren Internetseiten sogar Therapieplätze für das ethisch zweifelhafte und medizinisch nicht anerkannte Verfahren. Auch vielen muslimischen Religionsvertretern sind Schwule und Lesben ein Dorn im Auge. In den meisten islamisch geprägten Staaten werden Homosexuelle gesetzlich verfolgt und gesellschaftlich geächtet. Wie die Christen untermauern auch die Muslime ihren homophoben Standpunkt mit der Geschichte der Stadt Sodom. Sowohl die Bibel als auch der Koran berichten davon, dass es die sündigen Bewohner dieser Stadt nach Sex mit Männern verlangte. Gott ahndete dieses lasterhafte Leben, indem er kurzerhand die ganze Stadt Sodom dem Erdboden gleichmachte.
Schwule und Lesben im Zeitalter der Antidiskriminierungsgesetze
Heute ist Homosexualität in ganz Europa legal, in fast allen Ländern können Homosexuelle auch heiraten oder ihre Partnerschaft registrieren lassen. Echte gesellschaftliche Gleichberechtigung bedeutet das aber noch lange nicht. Hier sollen Anti-Diskriminierungsgesetze weiterhelfen. Sie schieben einen Riegel vor die vielen kleinen alltäglichen Benachteiligungen, die Homosexuelle, aber auch beispielsweise Behinderte oder Ausländer über sich ergehen lassen müssen. Ein Beispiel aus England: 2008 bucht ein schwules Paar ein Doppelzimmer in einem Hotel in Cornwall. Als dem Hotelbesitzer bei der Ankunft seiner Gäste klar wird, dass er es mit Schwulen zu tun hat, verweigert er ihnen das Zimmer. Seine Begründung: Sein christlicher Glaube erlaube ihm nicht, homosexuelle Paare unter seinem Dach zu dulden. "Unzulässige Diskriminierung!“ entschied im Januar 2012 ein Richter und verurteilte den Hotelbesitzer zu einer Entschädigungszahlung. Auch am Arbeitsplatz, in Schulen oder überall sonst im öffentlichen Leben können sich Homosexuelle dank der Anti-Diskriminierungsgesetze gerichtlich gegen Benachteiligung wehren.
Diskriminierung im zwischenmenschlichen Bereich
Dagegen, dass Diskriminierung überhaupt stattfindet, helfen Gesetze nur bedingt. Viele Schwule und Lesben ziehen es deshalb auch heute noch vor, unerkannt zu bleiben. Noch im Sommer 2011 riet die lesbische Schauspielerin Ulrike Folkerts zum Beispiel Fußballprofis davon ab, sich zu outen. Sie war der Ansicht, dass Fußballgemeinde und Fans nicht bereit seien, homosexuelle Kicker zu akzeptieren. Auch im Bildungsbereich sorgt Homosexualität noch immer für Anfeindungen. Laut einer Studie berichten acht Prozent der homosexuellen Lehrkräfte von Beleidigungen, 15 Prozent fühlen sich von den Kollegen ausgegrenzt.
Wie wenig man gesellschaftlich mit schwulenfeindlichen Äußerungen aneckt, zeigt auch das Beispiel Bushido. Der Berliner Rapper ist für seine schwulen- und frauenfeindlichen Texte bekannt. Trotzdem wurde er im November 2011 mit dem renommierten Fernsehpreis Bambi in der Kategorie "Integration“ ausgezeichnet. Die Begründung der Jury: "Bushido setzt sich ein gegen Gewalt und für ein respektvolles Miteinander in einer multikulturellen Gesellschaft.“ Als es daraufhin Proteste hagelte, verteidigte der Burda-Verlag, der den Bambi jedes Jahr verleiht, den Skandalrapper, und erklärte leicht gereizt: "Musik ist eine Kunstform, der bewusste Tabubruch ein Stilmittel des Raps – ob es einem gefällt oder nicht.“ Alles ist allerdings trotzdem nicht erlaubt. Wer homophobe Hasstiraden führt, kann sich nicht auf sein Recht auf freien Meinungsäußerung berufen – das stellte Anfang Februar 2012 der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in einem Fall aus Schweden klar. Aus der Urteilsbegründung: "Hassreden sind zerstörerisch für eine demokratische Gesellschaft, denn sie führen zu Diskriminierung und sogar Gewalt gegen Minderheiten.“