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Indien für Anfänger: Eine Reise durch das goldene Dreieck (Podcast 213)

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Prunkvolle Paläste, Gräber und Festungen – der Norden Indiens ist reich an Sehenswürdigkeiten. In den Millionenstädten vermengen sich Moderne und Tradition, Religiosität und Industrie in scheinbarem Chaos. Sich hier zurechtzufinden, ist gar nicht so einfach, stellte unsere Redakteurin Dagmar Oberndorfer auf ihrer Städtereise fest.

Pushkar ist eine Oase der Ruhe und ein guter Beginn für eine Reise durch Indien. Nach der Hitze draußen ist der Marmorboden des Tempels angenehm glatt und kühl unter den nackten Füßen. Durch ein freistehendes Tor, von dessen oberen Querbalken eine Glocke hängt, treten die Gläubigen ein. Um den Hauptaltar scharen sich Frauen in schicken Saris und Männer in heller, leichter Kleidung. Wespen schwirren um geopferte Süßigkeiten, es riecht nach Räucherstäbchen. Der Tempel ist dem Gott Brahma geweiht und dadurch eine kleine Seltenheit. Im Pilgerort Pushkar ist er der einzige seiner Art. Das Dorf liegt am Pushkar-See. Zahlreiche Treppen führen zum Wasser hinab. Sich dort zu waschen soll eine ähnlich positive Wirkung auf die Seele haben wie ein Bad im Ganges – viele ausländische Touristen werfen jedoch lieber nur ein paar Blumen ins Wasser und kühlen sich stattdessen in den Pools der Hotels ab.

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Willkommen im Moloch

Für uns, meinen Freund und mich, ist Pushkar allerdings die zweite Station und gleicht nach drei Tagen in Delhi einer Erlösung. Denn die tosende Hauptstadt Indiens ist permanent in eine Wolke aus Abgasen und Staub gehüllt, die gewürzt ist mit dem Aroma von Räucherstäbchen, Essen und Urin - je nach Standort. Nach zwei Tagen kratzt die Luft hinten im Rachen und auch ansonsten schockt der Moloch unerfahrene Indien-Reisende.

Menschen, freilaufende Kühe und herrenlose Hunde teilen sich die Straße mit Bussen, Autos und den dreirädrigen Fahrrad- und Autorikschas. Für den reibungslosen Ablauf des Verkehrs sorgen die Hupen, welche bei Bedarf oder auch zum Spaß eingesetzt werden. Zahllose Taxis und Touristenschlepper suchen die Aufmerksamkeit naiver Touristen, um überteuerte Ausflüge und Fahrten an den Mann zu bringen. Viele Arbeiter haben keine Unterkunft; diese schlafen nachts in Grüppchen, ordentlich aufgereiht, auf den Gehsteigen oder den Ladeflächen von Lastwagen. 

 

Stelldichein hinter der Hecke

Das Auge im Sturm ist der kreisrunde Connaught-Platz, in dessen Mitte ein kleiner Park zum Verweilen einlädt. Hier treffen sich hinter den niedrigen Hecken junge Liebespaare, um gemeinsame Zeit zu genießen und heimlich den einen oder anderen Kuss zu tauschen. Indien mag die Heimat von Kamasutra und Bauchtanz sein, den Alltag bestimmt Prüderie.

 

Erleichterung: Jaipur ist keine Barbie-Stadt

Die Reiseroute, der wir folgen, wird als „goldenes Dreieck“ bezeichnet. Die nordindischen Städte Delhi, Jaipur und Agra bilden die Ecken dieser Figur. Unsere nächste Station ist Jaipur, das für seine „Pink City“ berühmt ist. Zu meiner Erleichterung ist dieses Rosa im europäischen Farbverständnis eher ein Lachsrot. Vermutlich wäre ein ganzes Viertel im Barby-Stil aber auch  den farbverliebten Indern zu viel. Die Arkaden dieser Altstadt füllt ein großer Markt, der nach Handwerk sortiert ist. Touristen und Einheimische flanieren dort und erstehen Gewürze, bunt gefärbte Nudeln und Tee. Eisenwarenhändler, deren Geschäfte von herabhängenden Ketten eingerahmt werden wie von Vorhängen, reihen sich ein mit Tuch- und selbstverständlich Schmuckgeschäften, für die Jaipur bekannt ist.

 

Nette und zwielichtige Bekanntschaften

In der Straße der Steinmetze kommen wir mit zwei gleichaltrigen Einheimischen, Sani und Wiki, ins Gespräch. Beide sind wegen der anstehenden Hochzeitssaison nach Jaipur gekommen, der eine Art Einkaufs-Festival vorausgeht – für die Familien von Braut und Bräutigam ist dies die ideale Gelegenheit, um vom Armreif bis zum Brautsari alles nötige zu erwerben. Unsere Gesprächspartner sind aber als Touristen unterwegs. Wir verabreden uns zu einem gemeinsamen Abendessen.

In einer schummrigen Kellerkneipe schwatzen wir angeregt über europäisch-indische Kulturunterschiede, als unvermittelt Wikis Vorgesetzter auftaucht und uns einen Vorschlag macht: Wir schmuggeln für ihn Schmuck nach Deutschland und erhalten dafür 5.000 Euro – alles ganz legal, versichert er. Als wir ablehnen, lädt uns Wiki zu einer Feier im Hause seiner Eltern ein, die angeblich in einem Vorort Jaipurs wohnen. Das kommt uns spanisch vor und wir lassen den Abend lieber auf der Terrasse im Hotel ausklingen, enttäuscht darüber, dass das Interesse der anderen wohl nicht dem interkulturellen Austausch galt.

 

Harem bis Hellseher: Jaipurs bezaubernde Vergangenheit

Wie es sich für fleißige Touristen gehört, klappern wir die Sehenswürdigkeiten der Stadt ab: Wir spähen aus den Fenstern des Hawa Mahal und beobachten das Treiben auf der Straße unten, so wie es früher die Haremsfrauen getan haben. In der Waffenkammer des Stadtpalastes bestaunen wir brutale Morgensterne und ellenlange Messer mit Kristallgriff. Im Jantar Mantar, einer historischen Sternwarte, zeigen monströse Sonnenuhren die Zeit an. Andere Instrumente hätten früher Wahrsagern dazu gedient, die Sternzeichen der Neugeborenen zu bestimmen, erklärt uns ein Museumsführer. Heute treffe man hier jedoch nur noch Touristen, fährt er mit ernster Miene fort, denn die Hellseher würden für ihre Horoskope inzwischen Computer verwenden.

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Weiter geht die Reise. Rajasthan ist der zweitgrößte Bundesstaat Indiens und sehr trocken. Auf der Zugfahrt nach Bharatpur, wo wir einen Nationalpark besuchen wollen, zieht am Fenster eine ungewohnte Landschaft vorbei: Bäume stehen in losen Gruppen, mannshohe Grasbüschel mit gefiederten Enden wiegen sich im Wind, zwischen ihnen blitzt rotbraune Erde hervor.

 

Schlangenhaut und Vogelschwärme

Das Keoladeo-Reservat ist eine wichtige Station für Zugvögel aus Europa und Asien. Untypisch für das trockene Rajasthan ist es ein Feuchtgebiet und steht auch außerhalb der Monsunzeit zu großen Teilen unter Wasser. Am frühen Morgen starten wir mit geliehenen Fahrrädern zur Erkundungstour. Auf überschwemmten Wiesen stolzieren wilde Pfauen, Hirsche und Antilopen. Störche nisten in den Zweigen der Bäume, zwischen stacheligen Büschen flattern Schmetterlinge und gelegentlich brummen Käfer vorbei, die ihre dicken Hinterteile nur mit Mühe in der Luft halten. Am Wegrand hat eine Schlage, die etwa so dick wie mein Handgelenk gewesen sein muss, ihre Haut abgeworfen.

 

Im Shoppingfieber

Wir nehmen den Bus nach Agra. Inzwischen recherchieren wir vor dem Kauf eines Produkts die Preise, indem wir den Einheimischen mehr oder weniger unauffällig beim Einkaufen über die Schulter sehen. So gewappnet lasse ich mir in einer der Einkaufsstraßen für wenig Geld eine Hennazeichnung anfertigen. Meinem Begleiter ist das recht, denn die feuchte Farbe an den Händen hindert mich effektiv daran, die vielen Schuh- und Kleiderläden weiter nach Schnäppchen zu durchkämmen.

 

Eine verschleierte Schönheit

Der nächste Tag gehört zum größten Teil dem Taj Mahal. Das berühmte Grabmal ist gleichzeitig schöner und hässlicher als erwartet. Hässlicher, weil es nicht wie auf den Postkarten strahlend weiß vor blauem Himmel thront, sondern von grauen Dunstschleiern eingehüllt wird. Die Luftmessstation auf dem Gelände zeigt an, dass die Sollwerte für Abgase um ein Vielfaches überschritten sind. Aber kein noch so farbenfrohes Bild gibt die stolze Größe des Bauwerks wieder und von Nahem sieht man erst die kunstvollen Einlegearbeiten und Schnitzereien im weißen Marmor. Den besten Blick auf das Bauwerk haben wir vom gegenüberliegenden Ufer des Yamuna aus, im Mehtab Bagh Park. Rotblühende Büsche, Springbrunnen, der „Taj“ im Hintergrund - damit in dieser romantischen Umgebung keiner auf falsche Gedanken kommt, verbietet ein Schild am Eingang das Sitzen hinter den Hecken.

 

Es hat sich ausgetempelt

Nachdem wir schließlich noch ausführlich das Agra Fort und die geschichtsträchtigen Gemäuer in Fatehpur Sikri bestaunt haben, reicht es uns mit Tempeln, Festungen und Palästen. Wir buchen einen Flug nach Goa, der in Delhi startet. Um rechtzeitig am Bahnhof zu sein, brechen wir mitten in der Nacht auf. Ein Taxi zu bekommen ist einfach, denn die Rikschafahrer schlafen in ihren Fahrzeugen, aber auf dem Weg zum Bahnhof ist plötzlich der Reifen platt. Der Fahrer deutet zwei Minuten an und beginnt, die Muttern am Rad zu lösen. Wir wundern uns schon, wie er das Bauteil ohne Wagenheber austauschen will, als er uns mit Gesten anweist, das dreirädrige Auto anzuheben. Tatsächlich ist das Tuk-Tuk so leicht, dass drei Personen es ohne Probleme auf die Seite kippen können. Kurz darauf sind wir wieder unterwegs.

Mit Gepäck sprinten ist anstrengend, aber es lohnt sich: Wir schaffen es rechtzeitig zum Gleis. Als am Morgen die anderen Passagiere erwachen, stellt sich heraus, dass wir inmitten einer Hochzeitsgesellschaft reisen. Hin und her gerissen zwischen Schüchternheit und Neugierde stellen uns zwei Geschwister im Teenager-Alter ihre gesamte Verwandtschaft vor und wollen dann genau wissen, wo die fremdländischen Touristen herkommen und was sie in Indien tun.

 

Goa, die Urlaubsperle

In Goa ist die Luft feucht und heiß wie in einer Sauna. Wo der Mensch nicht eingreift, wuchert prachtvoller Dschungel. Wir verziehen uns in den Süden des zwergenhaften Bundesstaats, wo spärlich bevölkerter Strand sich von Horizont zu Horizont zieht. Der feine, weiße Sand quietscht ein bisschen, wenn man darüber läuft. In der Brandung leben Krabben und unzählige, pastellfarbene Muscheln, die sich eilig eingraben, sollte eine Welle sie freilegen. Das Wasser ist so warm, dass wir im Meer bleiben, bis uns die Finger verschrumpeln.

 

"Indien light" für Entspannungssuchende

Goa stand 451 Jahre unter portugiesischer Herrschaft, mehr als ein Viertel der Bevölkerung ist katholisch. So stehen vielerorts Kirchen statt hinduistischer Tempel. Im Restaurant zählt die Karte hauptsächlich Fleischgerichte auf, alkoholische Getränke sind wie selbstverständlich im Sortiment. Kaum jemand versucht uns Souvenirs oder Taxifahrten zu verkaufen – welch ein Kontrast zum Norden. Fast scheint es, als seien die ausländischen Gäste in der Überzahl. So faulenzen wir ungestört am Strand, freunden uns im Hotel mit anderen Weltenbummlern aus Europa an und schwelgen in Ananas-Lassi und gebratenem Fisch, bis die Urlaubszeit abgelaufen ist und wir uns wehmütig von Indien verabschieden.
 

von wissen.de-Autorin Dagmar Oberndorfer, November 2012

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