Vor Hunderten von Jahren zogen die Menschen durch die ganze Welt, um Stoffe, Gewürze, Tees und andere Waren zu kaufen und zu verkaufen. Auf diese Weise etablierten sie eine Vielzahl von Handelsrouten, darunter die Salzstraße und die Seidenstraße. Meist handelte es sich um ganze Wegenetze. Menschen und Tiere schleppten ihre Waren mühsam über Berge, Täler, Trampelpfade, Schlaglöcher oder Flüsse. Aber ihre Mühen waren fruchtbar: Wo Wege sich kreuzten, entstanden Märkte oder ganze Städte. Sitten und Gebräuche vieler Kulturen hinterließen ihre Spuren und prägen uns bis heute. Zwischen den Städten entstanden später die ersten Fernstraßen. Heute erinnern nur die Straßennamen an einst. Tauchen Sie mit uns ab in die Geschichte historischer Straßen. In unserem Beitrag "Weihrauch, Seide, Salz – berühmte kulturelle Straßen der Menschheit"
Die Seidenstraßen
Kamele tragen kostbare Seide und orientalische Gewürze auf dem Rücken. Es duftet nach Safran, Muskatnuss und Pfeffer. Die Menschen schleppen sich mühsam voran, setzen einen Fuß vor den nächsten. Die Mühsal der Reise hat nicht nur die Füße wund werden lassen, sondern auch die Gesichtszüge der Reisenden geschärft. Von weitem lockt bereits der Mondsichelsee.
Dort wartet Süßwasser auf die müden Menschen und Tiere.
So in etwa könnte sich eine Karawane durch die Wüste geschoben haben. Ohne Kamele waren manche Passagen unpassierbar. In der Wüste selbst gab es keine Raststätten. Da war der Mondsichelsee eine ersehnte Station. Er liegt wenige Kilometer von der chinesischen Oasenstadt Dunhuang entfernt und diente den Karawanen, die damals auf der Seidenstraße unterwegs waren, als Rastplatz.
Den Namen „Seidenstraße“ prägte Ferdinand Freiherr von Richthofen, auch bekannt als der „rote Baron“ im Jahr 1877. Der Name ist irreführend, war die Seidenstraße doch keine Straße mit Anfang und Ende, sondern ein 140.000 Kilometer umfassendes, dichtes Wegenetz. Die Trassen führten von China durch ganz Asien bis nach Europa. Manche Karawanenstraßen verliefen parallel zueinander und kreuzten und verzweigten sich wieder und wieder. Das hatte den Vorteil, dass die Reisenden schon an den verschiedenen Stationen kaufen und verkaufen konnten und nicht erst bis zum Ziel warten mussten.
Die Reise auf der Seidenstraße war mit Strapazen und Gefahren verbunden. Unter anderem musste man das Pamirgebirge und die Taklamakan-Wüste durchqueren. Überall konnten Räuber und Wegelagerer lauern. Vor allem im Mittelalter geriet Mittelasien in die Fänge mongolischer Reiternomaden. Und wer wusste schon, ob eine Reisegruppe nicht unwissentlich Pestflöhe in der Kleidung hatten?
Mehr als 1500 Jahre lang war die Seidenstraße der wohl wichtigste Handelsweg. Auch, weil sich hier die Kulturen und verschiedenen Weltreligionen trafen, beeinflussten und mischten. Auf der Seidenstraße entwickelte sich die Menschheit mehr als auf anderen historischen Wegen. Zwischen Ost und West wurden Ideen über Erfindungen ausgetauscht: etwa Pflug und Papier. China erfuhr die Einführung des Buddhismus aus Indien als Bereicherung.
Im 15. und 16. Jahrhundert verlor die Seidenstraße an Bedeutung, weil nicht mehr Kamele, sondern zunehmend Schiffe die Ware transportierten. Einst bedeutende Städte an der Seidenstraße versanken in Bedeutungslosigkeit. Die damalige Route existiert heute als Pipeline, Eisenbahnstrecke oder geteerte Straße. Sie dient als wirtschaftliche Achse zwischen China, Indien, Russland und Europa.
Die Salzstraßen
Eine weitere bedeutende historische Straße ist die Alte Salzstraße. Sie entstand in Europa schon in vor- und frühgeschichtlicher Zeit und war für die Menschen das, was die Nabelschnur für ein Baby ist: Lebensnotwendiger Versorgungsstrang. Neben der Alten Salzstraße gab es noch viele andere Salzstraßen, unter anderem die Bayerischen, die Halleschen, die Thüringer und die Sächsischen Salzstraßen. Weitere entstanden in Österreich und in Italien. Die Vielzahl der Salzrouten zeigt, wie kostbar und wichtig das Gewürz war. Nicht bloß Genuss-, sondern auch Konservierungsmittel, das besonders bei Fischern gefragt war. Gerber verarbeiteten damit Felle, Metzger pökelten ihr Fleisch; Landesherren, Bischöfe und Klöster verdienten am Salztransport, indem sie Maut und Wegezoll erhoben.
Die Salzstraße führte von der Atlantikküste bzw. den Ostalpen quer durch ganz Europa. Es wurde von Westen nach Osten gehandelt.
Zur Hansezeit war Lüneburg bedeutende Salzstadt. Von dort exportierten Händler einen Großteil des Salzes in den Ostseeraum bis Skandinavien und das Baltikum.
Die Bernsteinstraßen
Insgesamt wurde Europa von vier Bernsteinstraßen durchzogen. Ob roh und unbearbeitet, als Schmuck, Kultobjekt oder Amulette gegen bösen Zauber - Bernstein war begehrt. Schon in der älteren Steinzeit haben Menschen an den Küsten die goldgelb bis rot schimmernden Steine aufgelesen.
Die Ritter des Deutschen Ordens bereiteten der wilden Bernsteinsammlerei ein Ende, als sie im 13. Jahrhundert Herrscher über das ganze Land geworden waren. Wer Bernstein fand, musste ihn an den Orden abtreten. Der allein hatte das Recht, mit Bernstein zu handeln und ihn zu verarbeiten. Wer sich nicht an diese Regel hielt, musste mit dem Tod am Galgen rechnen.
Die Bürger Danzigs widersetzten sich. Sie verweigerten dem Orden 1454 jeden Gehorsam – endeten aber nicht am Galgen, sondern schafften es, aus ihrer Stadt eines der größten Hafenstädte Europas und ein Wirtschafts- und Kulturzentrum zu machen. Neben Goldschmieden, Uhrenmachern und Möbelherstellern waren die Bernsteindreher nicht unwesentlich daran beteiligt. Sie verarbeiteten das kostbare Harz massenweise zu Rosenkränzen und machten damit ein Vermögen.
Die Weihrauchstraße
Ähnlich wie Bernstein sehen die Tropfen aus, die aus dem Weihrauchbaum hervorquellen, wenn man ihn anritzt. „Tränen der Götter“ wurden sie damals auch genannt. Weihrauch war so wertvoll wie Gold, und die Weihrauchstraße entsprechend bedeutend. Über mehrere Jahrhunderte hinweg verband sie Orient und Okzident. Über eine Länge von 3.400 Kilometern zog sich die Strecke von Dhomar (im Oman) über Gaza nach Damaskus durch den Jemen.
Nicht nur Weihrauch wurde auf dieser Straße transportiert, auch Zimt, Balsam, Myrrhe, Aloe und Safran trugen die Kamele von Südarabien bis ans Mittelmeer. Zentrum war Marib, die Hauptstadt des Königreiches von Saba. Von hier aus wurden Weihrauch- und Myrrhe-Handel kontrolliert.
Auf dem Weihrauchweg kamen die phönizische Schrift und griechisch-hellenistische Kultureinflüsse nach Arabien, das als Arabia felix, glückliches Arabien gepriesen wurde. Aber es lauerten auch Gefahren und Beschwerlichkeiten auf dem Weg: Auf dem Land musste man hohe Zölle zahlen und mit Überfällen durch Beduine rechnen, auf See konnten Stürme oder Piraten die Reisenden überraschen.
Kein Wunder, so kostbar wie Weihrauch war. Woher die Karawanenführer ihn bezogen, behielten sie lange für sich, woben allenfalls Sagen und Geschichten um das teure Handelsgut. Hauptabnehmer waren Juden, Babylonier, Alt-Ägypter, Alt-Perser, Griechen und Römer. Die einen brauchten das Gewürz für Kulthandlungen. Mediziner verwandten es als desinfizierendes und entzündungshemmendes Räuchermittel oder verarbeiteten es zu Salben. Andere, vor allem die Römer, liebte ihn wegen seines Geruchs. Mit Weihrauchduft wollten sie den Gestank in den Gassen überdecken.
Der Weihrauchhandel blühte. Im 8. Jahrhundert vor Christus formierten sich entlang der Route südarabische Königreiche. Die Nachfrage nach Weihrauch wuchs jahrzehntelang - bis im 1. Jahrhundert vor Chr. ägyptische Herrscher den Seeweg über das Rote Meer erschlossen. Sie stiegen nicht nur in den Weihrauchhandel mit ein, sondern umgingen die hohen Zölle und Abgaben, die auf dem Landweg erhoben wurden.
Übrigens beenden Araber ein Gastmahl heute noch mit Weihrauch, das aus qualmenden Gefäßen aufsteigt.
Heute spielen die kulturellen Straßen meist eine kommerzielle Rolle, zum Beispiel im Tourismus. In entsprechenden Broschüren heißt es dann: „Wandeln auf den Spuren von…“ Alte Straßen haben etwas Romantisches, Nostalgisches, Abenteuerliches und Mythisches, sie sind Relikte, manchmal auch Weltkulturerbe. Und das lässt sich eben gut vermarkten.
Die neuen kulturellen Straßen, die vielerorts aus dem Boden geschossen sind, haben mit den damaligen Wegen wenig zu tun. Deren Namen – wie beispielsweise Weinstraße, Käsestraße, Schokoladenstraße - stehen nicht für historisch gewachsene Handelswege, sondern sind Ideen von Marketing-Experten. Heute geht’s um Fun und Geld. Damals ging’s in erster Linie ums nackte Überleben. Ein Sprichwort sagt, man solle alte Wege und alte Freunde in Würden halten. Warum? Wilhelm von Humboldt hat die Antwort schon einmal formuliert: „Nur wer die Vergangenheit kennt, hat eine Zukunft!“
Dorothea Schmidt, wissen.de-Redaktion